
„Öl ins Feuer“
Christian Wulff: Merz „Stadtbild“-Aussage „absolut missglückt“
Die umstrittene „Stadtbild“-Äußerung holt Kanzler Merz immer wieder ein. Bei öffentlichen Auftritten und in Landtagsdebatten wird deutliche Kritik laut. Selbst die AfD spricht – wenn auch unglaubwürdig – von Rassismus. Der frühere Bundespräsident Wulff rät ihm nun, seine Aussage geradezurücken.
Sonntag, 23.11.2025, 13:03 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 23.11.2025, 13:11 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Alt-Bundespräsident Christian Wulff hat Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) wegen dessen umstrittener „Stadtbild“-Äußerung kritisiert. Die Aussage des Regierungschefs sei „absolut missglückt“, sagte Wulff der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ am Wochenende: „Es wäre hilfreich, wenn der Bundeskanzler das irgendwo sagen würde.“
Merz hatte Mitte Oktober im Zusammenhang mit Migration von einem „Problem im Stadtbild“ gesprochen und als Lösung auf Rückführungen „im großen Umfang“ verwiesen. Wulff erklärte, da, wo es Probleme mit Migration gebe, müsse man sie lösen. „Aber einer Gruppe die Probleme zuzuschieben und den Eindruck zu erwecken, dann seien sie gelöst, halte ich für falsch und gefährlich.“
Versachlichung der Debatte gefordert
Der ehemalige Bundespräsident forderte eine Versachlichung der Diskussion. Die Deutschen dürften nicht zulassen, „dass Politiker sagen: Wir haben drei Probleme in Deutschland: Migration, Migration, Migration.“ So etwas gieße Öl ins Feuer, erklärte Wulff, der als Staatsoberhaupt im Jahr 2010 mit dem Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ eine breite gesellschaftliche Debatte ausgelöst hatte. Daraufhin hatte das Boulevardblatt „Bild“ auf der Titelseite gefragt: „Warum hofieren Sie den Islam so, Herr Bundespräsident?“. Beobachtern zufolge folgte eine vom „Bild“ angetriebene Medienkampagne gegen Wulff, die zu seinem Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten führte.
„Wir dürfen Menschen, die zu uns kommen, nicht immer als Fälle für Kriminalität oder soziale Sicherungssysteme problematisieren“, betonte Wulff: „Wir müssen sie für unsere Vereine, für unsere Parteien, für unsere Verfassung, für unsere Wirtschaft, für unser Land gewinnen.“ Deutschlands Wirtschaft würde ohne Zuwanderung kollabieren.
Protest bei Merz-Rede zu Integration
Dass die „Stadtbild“-Äußerung nicht gut ankommt, wurde zuletzt auch bei einer Rede des Kanzlers am vergangenen Donnerstag in Berlin zum Thema Integration sichtbar. Aus Protest haben rund 30 Menschen bei der Verleihung des Talisman-Preises für gesellschaftlichen Zusammenhalt der Deutschlandstiftung Integration demonstrativ den Saal verlassen als Merz die Bühne betrat. Sie trugen Sticker mit der Aufschrift „Wir sind das Stadtbild“ und positionierten sich im Eingangsbereich für ein Gruppenbild. Erst nach der gut 20-minütigen Rede nahmen sie ihre Plätze wieder ein.
Bei der Veranstaltung wurden Sportlerinnen und Sportler geehrt, die sich zum Thema von Sport und gesellschaftlichem Zusammenhalt engagieren. Der Kanzler lobte das Engagement der Anwesenden. „Sie sind Vorbilder für so viele junge Menschen, wie wir sagen mit Migrationshintergrund“, sagte der Kanzler. „Sie zeigen, dass sich diese Anstrengung lohnt.“ Die meisten von ihnen hätten mehr Anstrengungen aufwenden müssen als Menschen ohne Zuwanderungsgeschichte und seien manchen Vorbehalten wegen ihrer Namen oder wegen Äußerlichkeiten ausgesetzt gewesen, und nicht wegen ihres Charakters oder Fähigkeiten beurteilt worden.
„Deutschland ist ein Einwanderungsland“, hob der Kanzler hervor. Die Geschichte der Bundesrepublik wäre ohne Einwanderung anders geschrieben worden, nicht besser, sondern schlechter. Merz machte zugleich deutlich, dass Zuwanderung gestaltet und gesteuert werden müsse.
Kontroverse erreicht Landtage
Die Debatte um die umstrittene „Stadtbild“-Aussage erreicht immer wieder auch Landtage, wie zuletzt in Schleswig-Holsteinischen. Anlass war ein Antrag der FDP-Fraktion zu den Themen Migration, Integration, Rechtsstaat und öffentlicher Raum. Folgen wollte den Ideen der Freien Demokraten nach einer kontroversen Debatte zwar niemand, der FDP-Antrag wurde abgelehnt, doch Kritik an Merz kam aus verschiedenen Richtungen.
Der Vorsitzende der Grünen-Fraktion, Lasse Petersdotter, kritisierte Merz für undifferenzierte und unbedachte Äußerungen. Ein Bundeskanzler brauche eine stärkere „kommunikative Impulskontrolle“. Für den SSW sagte die Abgeordnete Sybilla Nitsch, der Kanzler gehe mit anderen Augen durch die Welt. „Das ist traurig“. Sie kritisierte auch Medien, die häufiger über Straftäter mit ausländischem Hintergrund berichteten als über deutsche Straftäter.
Nach Überzeugung von Sozialministerin Aminata Touré (Grüne) hat die von Merz angestoßene Debatte viele Menschen sehr verletzt. Sie sprach offen über ihre Ängste, die sie als schwarze Frau ständig begleiteten. Aus Sicht von Oppositionsführerin Serpil Midyatli (SPD) tritt der Bundeskanzler von einem Fettnäpfchen in das andere. „Er verletzt Menschen. Das entspricht nicht meiner Erwartung an einen Bundeskanzler.“ Sie forderte eine sachliche Debatte. Es gebe eine Diskrepanz zwischen der gefühlten Wahrnehmung und der Faktenlage. Aufgabe des Bundeskanzlers sei es, die Gesellschaft zusammenzuführen und nicht zu spalten. „Am Ende profitiert nur der Rechtspopulismus.“
AfD wirft Merz „Rassismus pur“ vor
Das zeigte sich am vergangenen Donnerstag im niedersächsischen Landtag, wo die AfD die Aussage von Merz für sich zu nutzen versuchte. „Die Aussagen des Bundeskanzlers halte ich für klar rassistisch“, sagte der AfD-Abgeordnete Peer Lilienthal. Während die AfD nach Deutschen und Nicht-Deutschen unterscheide, was „völlig legitim“ sei, zielten die Aussagen von Merz auf das Aussehen der Menschen ab, um „nach richtigen und falschen Deutschen“ zu unterscheiden. Das sei „echter Rassismus“ und „Rassismus pur“, wie man ihn aus seiner Fraktion nicht hören würde, sagte Lilienthal.
Allerdings gab sich die AfD-Fraktion nach Ausschreitungen in der Silvesternacht 2022/23 ihrerseits nicht mit der Angabe der Staatsangehörigkeit zufrieden. Stattdessen versuchte sie, die Nennung der Vornamen von 19 deutschen Tatverdächtigen einzuklagen, da die deutsche Staatsbürgerschaft nichts über den Migrationshintergrund aussage, wie der Abgeordnete Stephan Bothe damals sagte. Der Staatsgerichtshof entschied 2024, dass die Landesregierung diese Vornamen nicht nennen muss.
Hintergrund von Lilienthals Aussagen im Landtag war ein AfD-Antrag für ein Baby-Begrüßungsgeld, das ausschließlich deutsche Kinder bekommen sollen. (epd/dpa/mig) Aktuell Panorama
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