Pakistan, Afghanistan, Afghane, Flüchtlinge, Geflüchtete, Abschiebung,
Afghanische Geflüchtete in Pakistan sollen zurück nach Afghanistan © Abdul Majeed/AFP

Geld nehmen und sterben?

Die Verzweiflung eines Afghanen

Rund 2.000 Afghanen mit Aufnahmezusage warten auf ihre Einreise nach Deutschland. Nun bietet das Bundesinnenministerium Geld, damit sie aufgeben. Mohammad ist schockiert. Er befürchtet, dass eine Rückkehr nach Afghanistan für ihn den Tod bedeutet.

Von Donnerstag, 13.11.2025, 12:27 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 13.11.2025, 12:27 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Einige Tage hat Mohammad noch Zeit. Am 17. November läuft die Frist ab, die ihm das Bundesinnenministerium gesetzt hat. Dann muss der 29-jährige Afghane sich entscheiden, ob er weiterhin auf eine Einreise nach Deutschland hofft oder er für sich und seine vier Geschwister die 11.500 Euro „Starthilfe“ annimmt, die ihm das Ministerium angeboten hat.

Mohammad, der seine Nachnamen und seinen genauen Aufenthaltsort aus Sicherheitsgründen nicht angeben will, ist einer von rund 2.000 Afghaninnen und Afghanen, die seit Monaten in Pakistan und Afghanistan auf eine Einreise nach Deutschland warten. Einige von ihnen haben vergangene Woche ein Schreiben im Auftrag des Bundesinnenministeriums erhalten, in dem ihnen mehrere Tausend Euro geboten werden, um sich freiwillig aus den Programmen zurückzuziehen.

___STEADY_PAYWALL___

Das Angebot hat Mohammad und seine Geschwister schockiert. „Wenn eines meiner Familienmitglieder von den Taliban enthauptet wird, welchen Wert hätte dieses Geld dann für mich?“, fragt der 29-Jährige in einer WhatsApp-Konversation mit dem Evangelischen Pressedienst. Er wolle in Sicherheit leben, ohne ständige Angst vor Verhaftung.

Mohammad gehört zur Minderheit der Hazara

Die wartenden Afghaninnen und Afghanen haben die deutsche Regierung als Ortskräfte teilweise viele Jahre lang unterstützt, für Nichtregierungsorganisationen oder in der afghanischen Justiz gearbeitet und haben sich als Künstler oder Menschenrechtsaktivisten mit den Taliban angelegt. Seit die Terrorgruppe im August 2021 Kabul eroberte und die Macht übernahm, sind sie in Gefahr.

Mohammad hat als Menschenrechtsaktivist seine Stimme gegen die Taliban erhoben und Proteste organisiert. Er gehört zur ethnischen Minderheit der Hazara in Afghanistan, die unter anderem wegen ihres schiitischen Glaubens diskriminiert und auch verfolgt werden. Nach Angaben von Amnesty International kommt es seit der Machtübernahme auch immer wieder zu gezielten Verfolgungen und Tötungen durch die Taliban.

Mohammad hat in einem medizinischen Labor gearbeitet und studiert, bis die Machthaber auf ihn aufmerksam wurden. „Ich habe Drohanrufe von den Taliban erhalten und musste mehrfach umziehen“, erzählt er. Zwei Jahre lang musste er sich verstecken und konnte nicht arbeiten. Die Ersparnisse der Familie sind längst aufgebraucht.

Rund 200 Menschen bereits nach Afghanistan abgeschoben

Mohammad und seine Geschwister stecken in einer Zwickmühle. Ihre Aufnahmezusagen und die Aufforderung, nach Pakistan zu kommen, um dort auf eine Ausreise nach Deutschland zu warten, erhielten sie noch von der Ampel-Koalition. Als dann zwei Jahre später die schwarz-rote Regierung ihre Arbeit aufnahm, schrieb sie sich in den Koalitionsvertrag, alle Aufnahmeprogramme „soweit wie möglich“ zu beenden.

Monatelang gab es keine Ausreisen mehr. Dann verschlechterte sich die Lage, weil Pakistan seit diesem Sommer Afghaninnen und Afghanen wieder in ihr Herkunftsland abschiebt. Rund 200 Personen mit Aufnahmezusagen wurden bereits abgeschoben. Sie harren seit Monaten in einem Safehouse aus und warten auf Entscheidungen aus Deutschland.

Flüchtlingsschutzorganisationen forderten von der Bundesregierung, die Menschen schnell aufzunehmen. Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) besteht aber darauf, jeden Einzelfall zu prüfen, und will nur diejenigen einreisen lassen, deren Aufnahmezusage rechtsverbindlich ist.

Die pakistanische Regierung hat Deutschland bis zum Jahresende Zeit gegeben, die Verfahren abzuschließen. Mittlerweile geht die Bundesregierung selbst nicht mehr davon aus, die Frist einhalten zu können. „Leider ist nicht garantiert, dass alle Verfahren rechtzeitig abgeschlossen werden können. Wir bitten diesbezüglich um Ihr Verständnis“, heißt es in dem Schreiben aus dem Innenministerium.

Rückkehr „gleichbedeutend mit einem langsamen Tod“

Mohammad macht sich vor allem Sorgen um seine kleinen Geschwister. Seit dem Tod der Eltern sind die fünf auf sich allein gestellt. Seine kleinste Schwester Zahra ist erst 14 Jahre alt. Als die Taliban die Macht ergriffen, durfte sie nicht mehr in die Schule gehen. Mohammad ist enttäuscht von Deutschland, dem Land, das für ihn immer für ein Leben in Sicherheit stand und für die Achtung der Menschenrechte. „Warum hält ein Land, das sich als Verteidiger der Menschenrechte sieht, seine Versprechen nicht ein und verletzt nun selbst die Rechte, die es in seiner Verfassung schützt?“, fragt er.

Seine einzige Hoffnung sind die deutschen Gerichte. Mohammad hat, wie andere Afghaninnen und Afghanen in seiner Situation, Klage beim Verwaltungsgericht Berlin eingereicht. Am Montag kam die Entscheidung: Das Gericht gab ihm recht. Sein Anwalt Junis Mustafa dämpft jedoch die Erwartungen: „Es ist davon auszugehen, dass Deutschland Berufung einlegt.“ Dann würde der Fall beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg landen, das dem Verwaltungsgericht in der Vergangenheit widersprochen hat. Zahlreiche ähnliche Fälle beschäftigen derzeit die Gerichte – darunter die Beschwerde eines ehemals ranghohen Richters, die beim Bundesverfassungsgericht liegt.

In einigen Fällen durften Afghaninnen und Afghanen nach Gerichtsbeschlüssen nach Deutschland einreisen. Insgesamt rund 130 Personen kamen seit Mai per Flugzeug nach Deutschland.

Mohammad will weiter für sein Recht kämpfen – das Geld des Innenministeriums wird er wahrscheinlich ablehnen. „Die Rückkehr nach Afghanistan und ein Leben im Versteck ist gleichbedeutend mit einem langsamen Tod – ohne Wasser, ohne Nahrung, ohne das Nötigste zum Leben“, sagt er. (epd/mig) Leitartikel Politik

Zurück zur Startseite
MiGLETTER (mehr Informationen)

Verpasse nichts mehr. Bestelle jetzt den kostenlosen MiGAZIN-Newsletter:

UNTERSTÜTZE MiGAZIN! (mehr Informationen)

Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.

MiGGLIED WERDEN
Auch interessant
MiGDISKUTIEREN (Bitte die Netiquette beachten.)