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Friedrich Merz (CDU) kurz vor seiner Wahl zum Bundeskanzler

Zoff nach Wadephul-Aussage

Merz dringt auf Abschiebungen nach Syrien

Mit einer Einschätzung zur freiwilligen Rückkehr nach Syrien hat der Außenminister Kritik ausgelöst. Auch in der Union. Jetzt schaltet sich der Kanzler ein. Er sieht keinen Grund mehr, bei der Rückführung von Syrern abzuwarten. Bundespräsident Steinmeier mahnt mehr Menschlichkeit im Umgang mit Syrern an.

Dienstag, 04.11.2025, 10:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 04.11.2025, 18:58 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Bundeskanzler Friedrich Merz dringt auf eine schnelle Wiederaufnahme der Abschiebungen nach Syrien und will sich beim syrischen Übergangspräsidenten Ahmed al-Scharaa persönlich dafür einsetzen. „Der Bürgerkrieg in Syrien ist beendet. Es gibt jetzt keinerlei Gründe mehr für Asyl in Deutschland und deswegen können wir auch mit Rückführungen beginnen“, sagte der CDU-Chef bei einem Besuch im schleswig-holsteinischen Husum. Er habe Al-Scharaa nach Deutschland eingeladen, um mit ihm über das Thema zu sprechen.

Er setze auch darauf, dass ein großer Teil der syrischen Flüchtlinge freiwillig zurückkehren werde, um sich am Wiederaufbau ihres Landes zu beteiligen, betonte der Kanzler. Ohne diese Menschen sei der Wiederaufbau nicht möglich. „Und diejenigen, die sich dann in Deutschland weigern, in das Land zurück(zu)kehren, die können wir selbstverständlich auch in naher Zukunft abschieben.“

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In dem arabischen Land wurde vor fast einem Jahr der langjährige Machthaber Baschar al-Assad durch die Miliz HTS gestürzt, angeführt von al-Scharaa. Dieser wurde zum Übergangspräsidenten ernannt und steuert das Land seitdem hin zu einer Öffnung und Annäherung an den Westen. Syrischen Staatsmedien zufolge will er kommende Woche Washington besuchen.

Wadephul-Äußerung sorgte für Aufsehen

Merz reagierte mit seinen Äußerungen auf einer Pressekonferenz auf eine Aussage von Außenminister Johann Wadephul. Der CDU-Politiker hatte bei einem Besuch im von vielen Jahren Bürgerkrieg gezeichneten Syrien angezweifelt, dass angesichts der massiven Zerstörung kurzfristig eine große Zahl syrischer Flüchtlinge freiwillig dorthin zurückkehren werde. „Hier können wirklich kaum Menschen richtig würdig leben“, sagte der Minister zu einem Besuch in Harasta, einer schwer verwüsteten Vorstadt von Damaskus.

Am Dienstag verteidigte Wadephul seine Syrien-Aussagen. Er sehe keinen Widerspruch zwischen seinen Aussagen und denen von Kanzler Merz. „Da gibt es überhaupt keine Differenz“, sagte der Außenminister. Er betonte, dass die Bundesregierung an der Rückführung von Menschen arbeite, „die hier kein Bleiberecht mehr haben, die es insbesondere dadurch verwirkt haben, dass sie Straftaten begangen haben und dass sie als Gefährder einzustufen sind.“ Seine Aussage hingegen habe sich auf die freiwillige Rückkehr einer größeren Zahl von Syrerinnen und Syrern bezogen.

Die syrische Regierung schätze die in Deutschland ausgebildeten jungen Syrer. Sie könnten aber frei entscheiden, welchen Weg sie wählten. „Jeder, der bei uns bleibt und sich bei uns in unsere Gesellschaft einbringt, integriert arbeitet“, sei weiterhin willkommen, hatte Wadephul ursprünglich gesagt. Wegen dieser Äußerungen hatte Wadephul Kritik aus der eigenen Partei einstecken müssen.

Unicef: Rückkehrer erschweren humanitäre Lage

Unicef wirft indes einen anderen Blick auf Syrien. Rückkehrer bauten das Land nicht nur auf, sondern verschärften die ohnehin prekäre Lage zusätzlich. Unicef-Geschäftsführer Christian Schneider zufolge ist der Krieg zu Ende, die humanitäre Krise halte aber an.

„Wenn wir über die Rückkehr von Familien sprechen, müssen wir sehen: Für Millionen Kinder in Syrien hat ein Ausnahmezustand den nächsten abgelöst“. In manchen Städten seien ganze Viertel weitgehend zerstört, in Dörfern stehe kaum noch ein Haus.

Steinmeier für Menschlichkeit im Umgang mit Syrern

Am Dienstag sprach sich auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dagegen ausgesprochen, nach Deutschland geflohene Menschen aus Syrien jetzt sofort in ihre zerstörte Heimat zurückzuschicken. „Jemand, der vor den Trümmern eines Krieges steht, sein Erschrecken äußert und sich selbst laut fragt, kann man darin wohnen – diesem Erschrecken kann man auch mal eine Weile Raum lassen“, sagte Steinmeier während seines Besuches in Ghana.

In der Rückkehrdebatte geht es um unterschiedliche Gruppen von Syrern. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums vom August halten sich 920 Personen in Deutschland auf, die ausreisepflichtig und ohne Duldungsstatus sind. Besonders schnell abschieben will die Bundesregierung diejenigen, die straffällig geworden sind. Seit 2012 sind alle Rückführungen wegen der Sicherheitslage im Land ausgesetzt.

Bei dem größten Teil der 951.406 Menschen aus Syrien in Deutschland geht es zunächst um eine freiwillige Rückkehr. Um diese zu ermöglichen, wolle die Bundesregierung zur Stabilisierung des Landes beitragen, sagte Merz.

2.000 Syrer freiwillig ausgereist, keine Erkundungsreisen

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Steffen Bilger (CDU), sagte im ARD-“Morgenmagazin“, es sei aus den unterschiedlichsten Ländern bereits etwa eine Million Flüchtlinge nach Syrien zurückgekehrt. Wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) auf Anfrage mitteilte, haben bis Ende Oktober 2.869 Syrer mit finanzieller Unterstützung des deutschen Staates in ihre Heimat zurückgekehrt.

Ob es mehr freiwillig nach Syrien zurückkehren würden, wenn sie sich ein persönliches Bild von der Lage machen könnten, wird Deutschland nicht herausfinden. Wie das Bundesinnenministerium am Freitag mitteilte, führen sogenannte „Erkundungsreisen“ nach Syrien weiterhin zum Verlust des Schutzstatus‘ in Deutschland. „Das Bundesministerium des Innern hat sich nach eingehender Prüfung dagegen entschieden, kurzzeitige Heimreisen für Syrerinnen und Syrer ohne Auswirkungen auf den Schutzstatus zu ermöglichen“, sagte ein Sprecher. Die vorherige Ampel-Regierung hatte noch überlegt, solche Erkundungsreisen zu ermöglichen, um eine mögliche Rückkehr vorzubereiten.

Kritik aus der Union – SPD verteidigt Wadephul

Der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Günter Krings (CDU) sagte dem Boulevardblatt „Bild“, der syrische Bürgerkrieg sei vorbei, in weite Teile des Landes sei für die allermeisten ausgereisten Syrer eine Rückkehr zumutbar. Der Zerstörungsgrad sei als Argument gegen eine „freiwillige oder pflichtgemäße Rückkehr“ ungeeignet. „Denn wer soll ein zerstörtes Land wieder aufbauen, wenn das nicht seine eigenen Staatsbürger und Staatsbürgerinnen tun?“

SPD-Fraktionschef Matthias Miersch verteidigte Wadephul dagegen. Der Außenminister habe zu Recht auf die Situation in Syrien hingewiesen. Gleichzeitig sei es aber Absicht der Koalition, „dass wir natürlich bei schweren Straftaten auch Abschiebungen vornehmen“.

Grüne und Linke kritisieren Fokus auf Abschiebung

Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Agnieszka Brugger, wirft der Union Populismus vor. Ihre Versprechen aus dem Wahlkampf träfen auf die Realität. „Unter Kanzler Merz werden brachiale Abschiebungen à la Dobrindt über die diplomatischen und sicherheitspolitischen Interessens Deutschlands in der Welt gestellt. Das ist nicht nur moralisch falsch, sondern es wird sich auch sicherheitspolitisch hart rächen, wenn Abschiebezahlen wichtiger sind als Außenpolitik“, erklärte Brugger.

Cansu Özdemir, außenpolitische Sprecherin Linksfraktion im Bundestag, springt Wadephul zur Seite. Er habe das Offensichtliche ausgesprochen und stehe nun unter Beschuss seiner eigenen Parteifreunde. „Dabei hat der Außenminister ja Recht: Syrien bietet momentan keine Lebensbedingungen, die ein sicheres oder menschenwürdiges Leben zulassen“, so Özdemir. Die Union verfolge eine Politik, die weder wertebasiert sei noch den Realitäten Rechnung trage.

Menschenrechtler kritisieren Bundesregierung: Syriens Machthaber nicht hofieren

Bei Menschenrechtler erntet Merz‘ Äußerungen und die Einladung des Machthabers Ahmed al-Scharaa scharfe Kritik. „Die Bundesregierung ignoriert die systematischen Menschenrechtsverbrechen“ und „hofiert einen Verbrecher, nur um innenpolitisch zu profitieren“, sagte Nahost-Referent Kamal Sido von der Gesellschaft für bedrohte Völker am Dienstag in Göttingen. (dpa/epd/mig) Aktuell Politik

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