
„Wem gehörst du?“
Was Migranten über Merz‘ „Stadtbild“ sagen
Wie kommt die „Stadtbild“-Debatte bei Migranten an? Viele sind nicht wirklich überrascht, denn sie kennen solche Aussagen aus dem Alltag. Und haben interessante Techniken entwickelt, damit umzugehen.
Von Christoph Driessen Dienstag, 28.10.2025, 10:52 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 28.10.2025, 12:57 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Cossu (36) ist eigentlich so deutsch, wie man sein kann. Er ist geboren und aufgewachsen im Schwarzwald, in Haslach im Kinzigtal. Dennoch wurde er ziemlich oft gefragt: „Wem gheastn?“ Das ist Badisch und bedeutet: „Wem gehörst du?“ – „Woher kommst du?“ Die Frage nach der Zugehörigkeit also. Seine Antwort war immer: „Ussem Schwarzwald.“ Das meinten die Leute aber nicht. Sie meinten, wo er ursprünglich herkommt. Denn Cossu ist Schwarz.
Die „Stadtbild“-Äußerung von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat Cossu deshalb nicht wirklich überrascht. „Dadurch dass ich schon mein ganzes Leben lang mit solchen Sprüchen konfrontiert bin, war ich jetzt nicht irgendwie empört oder schockiert.“ Wobei es „schon nochmal ’ne andere Nummer“ sei, dass das jetzt ein Bundeskanzler so raushaue. Merz hatte unter anderem gesagt, die Bundesregierung korrigiere frühere Versäumnisse in der Migrationspolitik. „Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem, und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen.“
Am Montag war er bei seiner Haltung geblieben und hatte nachgelegt: „Fragen Sie mal Ihre Töchter, was ich damit gemeint haben könnte.“ Am Mittwoch konkretisierte er, Probleme würden diejenigen Migranten machen, die keinen dauerhaften Aufenthaltsstatus hätten, die nicht arbeiteten und die sich nicht an die in Deutschland geltenden Regeln hielten.
Die Debatte, die Merz’ Äußerungen auslösten, ist so groß wie schon lange keine mehr. In vielen deutschen Städten gab es Demonstrationen, im Netz wird heftig diskutiert. Der Rapper Eko Fresh hat sogar einen Song dazu rausgebracht, Titel „Friedrich“. Darin singt er: „Lieber Friedrich, du hast echt bezaubernde Töchter. Wir auch – aber unsere hausen in Löchern. Junkies im Flur, Hochhaus mit Verbrechern, aber nicht, dass du denkst, dass wir Ausländer meckern.“
Was ist es, was die Äußerung von Merz so brisant macht? Haci-Halil Uslucan, Professor für Türkeistudien an der Universität Duisburg-Essen, sieht die Ursache in dem Wort „Stadtbild“. „Stadtbild“ zielt auf etwas Unveränderliches ab. „Wenn man sagt ‚Die Migranten müssen besser Deutsch lernen‘, dann ist das etwas, was man ändern, kann. Beim Stadtbild aber geht es darum, wie jemand aussieht. Und das kann man nicht ändern.“
Badischer Dialekt als Brücke zur Mehrheitsgesellschaft
Cossu – mit bürgerlichem Namen Lukas Staier – hat seinen aus dem Kongo stammenden Vater nie kennengelernt. Seine Mutter ist Deutsche. „Ich bin quasi weiß sozialisiert“, erzählt er der Deutschen Presse-Agentur. Und doch merkte er schon als kleiner Junge, dass er anders wahrgenommen wurde. Nicht voll dazugehörte. „Für Familie und Freunde gilt das nicht, aber wenn ich Leute getroffen habe, die mich nicht kannten, dann kamen da erstmal fragende Blicke – eben wegen der Optik.“
Er hat sich dann schon früh etwas ausgedacht, um dem zu begegnen: Er sprach bewusst badisch. „Da habe ich richtig so mein Steckenpferd draus gemacht, weil ich Wege gesucht habe, Zugang zu anderen zu bekommen, ihnen ihre Ängste zu nehmen.“ Visuell mochte er vielleicht nicht als typischer Deutscher wahrgenommen werden, aber dieser Eindruck wurde durch die Akustik gleichsam korrigiert. Im Laufe der Zeit entwickelte Cossu ein richtiges Faible für deutsche Dialekte. Irgendwann postete er auf Social Media erste Dialekt-Videos, die solche Renner wurden, dass er mittlerweile hauptberuflicher Comedian ist.
In seinem neuesten Video setzt er sich mit der „Stadtbild“-Äußerung von Merz auseinander: „Was kann ich denn noch machen?“, fragt er schulterzuckend – ein Gefühl, das er derzeit mit vielen Menschen mit Migrationsgeschichte teilt. „Es irritiert Zuwanderer enorm, dass sie sich einerseits integrieren sollen, aber doch nie voll als Teil der Gesellschaft anerkannt werden“, erläutert Uslucan. „‘Integrier dich – aber dazu gehörst du nicht‘ – das ist eine widersinnige Botschaft.“
Türkischstämmiger Berliner gibt Friedrich Merz recht
CDU-Politiker verteidigen Merz damit, dass er gerade auch vielen Migranten aus der Seele spreche. Auch die seien nämlich mit dem Verhalten vieler Neuankömmlinge und besonders krimineller Ausländer ohne Bleiberecht nicht einverstanden.
Einer, der tatsächlich so denkt und das auch offen ausspricht, ist Burak Işıkdağlıoğlu (38), Urberliner, Sohn türkischer Einwanderer und zweiter Vorsitzender des Fußballclubs BAK. Er macht dort die Jugendarbeit, hat ein Flüchtlingsprojekt für Afghanen und Syrer betreut. Die Entwicklung der vergangenen Jahre sieht er aber negativ: „Wir zum Beispiel als Sportvereine sagen: Wenn in einer Fußballmannschaft 100 Prozent der Spieler mit Migrationshintergrund sind, kann da keine Integration funktionieren. Wir brauchen eine gesunde Mischung.“
Die sei aber auch nicht mehr gegeben, wenn in manchen Straßen nur noch Läden aus einer Kultur zu finden seien. „Vielfalt bedeutet für mich den türkischen Imbiss, aber auch den Griechen und den deutschen Bäcker und Metzger.“ Işıkdağlıoğlu bemerkt ein Unsicherheitsgefühl sowohl bei alteingesessenen Deutschen als auch bei Migranten, die in Deutschland geboren seien: „Die fragen sich: Was passiert eigentlich mit unserem Land?“
Tatsache ist, dass Zuwanderer ähnlich wählen wie der Durchschnitt. „Wir haben ein bisschen weniger Grün, ein bisschen weniger CDU/CSU und dafür mehr SPD“, sagt der Politikwissenschaftler Andreas Wüst von der Hochschule München. Auch die AfD werde gewählt, besonders von Russlanddeutschen. Auch bei den Einstellungen ergäben sich keine großen Unterschiede, so sei ein ähnlich hoher Anteil der Wahlberechtigten mit Migrationshintergrund für eine Begrenzung von Migration und halte sowohl das Beherrschen der deutschen Sprache als auch den Erhalt von Traditionen in Deutschland für wichtig.
„Für diese Leute sind und bleiben wir die Ausländer“
Integrationsforscher Uslucan weist noch auf einen anderen Aspekt hin: „Die Erfahrung der Zuwanderer, die schon lange hier leben – zweite, dritte, vierte Generation -, ist, dass die Mehrheitsgesellschaft zwischen ihnen und den neu dazugekommenen Geflüchteten etwa aus Syrien nicht unterscheidet. Es wird eben nicht gesagt: ;Du bist schon seit 30 Jahren hier, du gehörst dazu – und du nicht;, sondern es werden alle über einen Kamm geschert. Und das löst ein Bedürfnis nach Abgrenzung aus.“
Cossu unterstellt Merz keinen Rassismus. „Aber er befördert Rassismus. Denn viele Leute hören das, denken sich ihren Teil – und das kriegen Menschen wie ich dann auf der Straße zu spüren. Denn für diese Leute sind und bleiben wir ‚die Ausländer‘.“ Cossu weiß deshalb schon genau, was er Merz sagen würde, wenn er ihn mal treffen würde. Das wäre: „Schwätz mir kei‘ Roscht ans Mofa.“ (dpa/mig) Gesellschaft Leitartikel
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