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Rudern (Symbolfoto) © de.depositphotos.com

Merz rudert zurück

Können auf Menschen mit Migrationserfahrung nicht verzichten

Wegen seiner „Stadtbild“-Äußerung steht Bundeskanzler Merz seit Tagen in der Kritik. Nach anfänglicher Verweigerung hat er seine Aussage nun doch konkretisiert – und betont, dass es auch in Zukunft Einwanderung brauche. Sprachwissenschaftler sehen bei Merz ein Muster, Experten warnen vor verbaler Zuspitzung. Davon profitiere nur die AfD.

Donnerstag, 23.10.2025, 15:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 23.10.2025, 15:26 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Nach der teils scharfen Kritik an der „Stadtbild-Äußerung“ hat Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) seine Aussage konkretisiert. Es brauche auch in Zukunft Einwanderung, sagte Merz am Mittwochabend bei einem Besuch in London: „Das gilt ebenso für Deutschland wie für alle Länder der Europäischen Union.“

Bereits heute seien viele Menschen mit Migrationshintergrund „unverzichtbarer Bestandteil unseres Arbeitsmarktes“, sagte der Kanzler und betonte: „Wir können auf sie gar nicht mehr verzichten, ganz gleich, woher sie kommen, welcher Hautfarbe sie sind und ob sie erst in erster oder schon in zweiter, dritter oder vierter Generation in Deutschland leben und arbeiten.“ „Die meisten von ihnen sind auch schon Staatsbürger unserer Länder“, unterstrich Merz: „Das gilt auch für Deutschland.“

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Merz konkretisiert „Problem“

Zugleich sagte Merz, Probleme machten diejenigen, „die keinen dauerhaften Aufenthaltsstatus haben, nicht arbeiten und sich auch nicht an unsere Regeln halten“. Viele von ihnen bestimmten das öffentliche Bild in den Städten. „Deshalb haben mittlerweile so viele Menschen in Deutschland und in anderen Ländern der Europäischen Union – das gilt nicht nur für Deutschland – einfach Angst, sich im öffentlichen Raum zu bewegen.“

Der CDU-Politiker hatte vergangene Woche im Zusammenhang mit Migration von einem „Problem im Stadtbild“ gesprochen und als Lösung auf Rückführungen „im großen Umfang“ verwiesen. Die Aussage wurde sowohl in den sozialen Medien als auch von Vertreterinnen und Vertretern aus Politik und Wirtschaft als diskriminierend und teilweise als rassistisch kritisiert. Rückendeckung bekam Merz hingegen unter anderem vom bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU).

Sprachwissenschaftlerin kritisiert scharf

Auch die Sprachwissenschaftlerin Constanze Spieß kritisierte „Stadtbild“-Äußerung von Merz scharf. „Mit der Äußerung macht sich Merz sprachliche Muster der extremen Rechten zu eigen“, sagte die Sprecherin der Jury für das „Unwort des Jahres“ dem Evangelischen Pressedienst. Merz stärke mit solchen Äußerungen die AfD, statt Wählerinnen und Wähler zurückzugewinnen.

Besonders problematisch sei, dass Merz Migration pauschal mit Rückführungen verknüpfe, kritisierte Spieß. Damit stelle er Migration in einen bestimmten Rahmen, nämlich als nicht rechtmäßig. „Das ist ein Muster, das Merz auch schon im Wahlkampf bedient hat, indem er oft Illegalität und Kriminalität verknüpft hat“, sagte Spieß. Die „Stadtbild“-Äußerung reihe sich in eine ganze Serie problematischer Aussagen von Merz ein. So habe der Bundeskanzler 2023 von „kleinen Paschas“ gesprochen oder behauptet, abgelehnte Asylbewerber würden deutschen Bürgern die Zahnarzttermine wegnehmen.

Demokratieforscher: Merz bedient Ressentiments

Der Leipziger Demokratieforscher Oliver Decker vermutet hinter der umstrittenen Äußerung von Merz keinen verbalen Ausrutscher, sondern ein bewusstes Manöver. „Herr Merz bewegt sich mit Absicht an eine Grenzlinie“, sagte Decker der Deutschen Presse-Agentur. Der Kanzler spreche bestimmte Ressentiments selbst nicht offen aus, „aber er weiß, dass die Hinweise verstanden werden und er damit gleichzeitig die Ressentiments bedient, ohne den Teil der CDU vor den Kopf zu stoßen, die sie nicht teilen“.

Hintergrund sei, dass sich die CDU derzeit in einer Zwickmühle befinde, sagte Decker, der das an der Universität Leipzig angesiedelte Else-Frenkel-Brunswik-Institut leitet. „Es gibt Kräfte in ihr, die es zur AfD hinzieht, und ebensolche, für die die AfD-Programmatik mit den CDU-Werten nicht vereinbar ist.“ Zwischen diesen Polen versuche Merz mit seinen „eher geraunten als ausgesprochenen Ressentiments zu manövrieren“.

Politologe: So gewinnt die AfD

Demokratieforscher Hans Vorländer warnt hat vor einem Bedeutungsverlust konservativer Parteien durch die Übernahme rechtspopulistischer Positionen. Wer beim Thema Migration explizit zuspitze, „kann damit nicht gewinnen“, sagte der Direktor des Zentrums für Verfassungs- und Demokratieforschung an der Technischen Universität Dresden der in Berlin erscheinenden „tageszeitung“: „Das gilt gerade für Mitte-rechts-Parteien, die glauben, sie müssten die AfD rechts überholen. Das geht nicht gut.“

Erfahrungen aus anderen Ländern zeigten, „dass dann konservative Parteien zerrieben werden zwischen einer demokratischen Mitte und den Rechtspopulisten und Rechtsextremen“. Trotz eines harten Kurses in der Migrationsfrage wachse die Zustimmung für die AfD weiter. Konservative Parteien sollten vielmehr zeigen, „dass sie die politischen Probleme besser lösen können“. Sie müssten klarmachen, „dass die Rechtsradikalen keine Lösungen anbieten, nur Stimmungen erzeugen und Ressentiments mobilisieren“, sagte Vorländer.

Klingbeil: „Nicht Menschen verlieren, die dazugehören“

Merz hatte in den vergangenen Tagen viel Kritik vor allem aus der Opposition, aber auch vom Koalitionspartner SPD und selbst aus der eigenen Partei einstecken müssen. Vor seinem Statement in London schaltet sich sein Vizekanzler Lars Klingbeil ein. „Ich möchte in einem Land leben, in dem Politik Brücken baut und Gesellschaft zusammenführt, statt mit Sprache zu spalten“, hielt der SPD-Chef dem CDU-Vorsitzenden auf einem Gewerkschaftskongress in Hannover entgegen. „Und ich sage euch auch: Ich möchte in einem Land leben, bei dem nicht das Aussehen darüber entscheidet, ob man ins Stadtbild passt oder nicht.“

Man müsse in der Politik „höllisch aufpassen, welche Diskussion wir anstoßen, wenn wir auf einmal wieder in ‚wir‘ und ‚die‘ unterteilen, in Menschen mit Migrationsgeschichte und ohne“. Bei einem Bürgergespräch in Potsdam ergänzte er: „Wir müssen aufpassen, dass wir an dieser Stelle nicht Menschen verlieren, die dazugehören.“ Der SPD-Chef sagte: „Ich würde dem Kanzler nie was Schlechtes unterstellen, weil ich ihn kenne. (…) Aber trotzdem sage ich als SPD-Vorsitzender meine Meinung.“

Demonstrationen gehen weiter: 1.500 Teilnehmer in Kiel

Die Demonstrationen als Reaktion auf die Äußerungen des Kanzlers gingen unterdessen weiter. Nach einer Kundgebung in Berlin am Dienstag unter dem Motto „Wir sind die Töchter!“ mit mehreren Tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmern demonstrierten am Mittwoch in Kiel 1.500 Menschen. In Köln ist am Donnerstag eine weitere Demonstration geplant. Das Bündnis „Solidarisches Magdeburg“ rief ebenfalls zu einer Demo auf. Die Organisatoren wollen ein Zeichen für Vielfalt und Offenheit setzen.

Außerdem stieß die Initiative „Radikale Töchter“ eine Online-Petition an, die nach Angaben der Plattform innn.it innerhalb von 24 Stunden von etwa 100.000 Menschen unterzeichnet wurde. In dem Aufruf heißt es: „Wir sind die Töchter, die keine Angst vor Vielfalt haben – aber vor Ihrer Politik. Wir sind die Töchter, die sich für Ihren Rassismus nicht einspannen lassen. (epd/dpa/mig) Leitartikel Politik

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