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Verletztes Kind in Gaza (Archiv) © Eyad Baba/AFP

Politisches Signal

Bundesregierung lehnt Hilfe in Deutschland für Kinder aus Gaza ab

Während deutsche Städte verletzte Kinder aus Gaza aufnehmen wollen, blockiert der Bund. Die Bundesregierung lehnt die Initiative ab – offiziell wegen „unsicherer Lage“. Kritiker sehen darin ein politisches Signal: Hilfe ja, aber bitte nicht in Deutschland. Psychologin Brubakk erklärt, wie wichtig Hilfe wäre.

Mittwoch, 22.10.2025, 14:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 22.10.2025, 14:00 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die von Hannover und anderen Städten initiierte Hilfsinitiative für Kinder aus Gaza findet beim Bund keinen Rückhalt. „Das Bundesinnenministerium hat mitgeteilt, dass es die Hilfsinitiative nicht unterstützt“, sagte ein Sprecher der Stadt Hannover am Dienstag. Oberbürgermeister der beteiligten Städte, darunter Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne), hatten im August um die Unterstützung des Bundes gebeten. Sie wollten verletzte oder traumatisierte Kinder aus dem Gaza-Streifen sowie aus Israel in Deutschland in Obhut nehmen und medizinisch versorgen.

Das Bundesinnenministerium betonte, die Evakuierung von verletzten und kranken Kindern aus Gaza mit dem Ziel der medizinischen Behandlung in Deutschland sei in den vergangenen Monaten intensiv geprüft worden. Gegenwärtig sei die Situation im Nahen Osten aber noch „unübersichtlich und nicht berechenbar“, heißt es in einem Schreiben des Bundesinnenministeriums an Onay, das der Redaktion vorliegt.

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Onay bedauert Absage

Mit der Ausreise von Kindern seien aufwändige Verfahren verbunden. „Aus Sicht der Bundesregierung ist es angesichts der sich verändernden Situation in Gaza, der damit verbundenen besseren Bedingungen auch für Hilfen vor Ort weiterhin vorteilhafter, Behandlungen von Verletzten und Schwererkrankten vor Ort zu unterstützen.“ In dem Ziel, Kindern aus Gaza zu helfen, sei man sich einig. Aufgrund welcher Erwägungen die Bundesregierung zu diesem Schluss kommt, geht aus dem Schreiben nicht hervor.

Onay bedauerte die Absage für das Projekt, das vom Vorsitzenden der palästinensischen Gemeinde in Hannover, Yazid Shammout, und dem jüdischen Verbands-Chef, Michael Fürst, in Hannover angeregt worden war. „Ohne die Mitwirkung der Bundesregierung kann die Hilfsinitiative der Städte nicht gelingen“, sagte der Oberbürgermeister. Die Absage sei nicht nachvollziehbar: „Denn sie nimmt vielen verletzten und schwer traumatisierten Kindern aus Nahost die Möglichkeit, professionelle Hilfe in hiesigen Kliniken zu erhalten.“ Die Kommunen hätten bereits alles für die Aufnahme der Kinder vorbereitet.

Psychologin: Kinder brauchen Sicherheit

Psychologin Katrin Glatz Brubakk erklärt, wie dringend die vom Krieg traumatisierten Kindern im Gaza-Streifen Sicherheit und Hilfe benötigen. Die Erfahrungen von Tod und Zerstörung drohten das ganze Leben und die Zukunftschancen der Mädchen und Jungen zu zerstören, sagt Brubakk im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst. „Es gibt eine Million Kinder in Gaza und keines, kein einziges von ihnen ist nicht traumatisiert.“

Ohne psychologische Unterstützung hätten sie „in ihrem zukünftigen Leben Mühe, eine Ausbildung zu machen, eigene Bedürfnisse zu entwickeln“, erklärte die Kinderpsychologin und Traumatherapeutin, die für die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ Anfang des Jahres zweimal für mehrere Wochen im Nasser-Krankenhaus im Süden des Gaza-Streifens im Einsatz war. „Kinder, die lange in Unsicherheit leben oder im Krieg mit großer Angst, entwickeln das, was ich kognitive Kriegsschäden nenne.“

Laut oder apathisch

Stark traumatisierte Kinder und Jugendliche reagieren nach Erfahrung von Glatz Brubakk auf zweierlei Weise: Die einen seien „die lauten Kinder, die total unruhig werden, die nie entspannen können, die nicht schlafen können. Sie schreien oft, manche reißen sich die Haare aus vor lauter Verzweiflung“. Diesen Kindern sehe man das Leid sehr genau an, sagte die Kinderpsychologin. Es gebe aber auch Kinder, „die total apathisch werden, die die Augen nicht mehr aufmachen, die kaum noch reden, die nicht am Spielen teilnehmen“.

Die Kinder im Gaza-Streifen bräuchten dringend einen geborgenen, sicheren Alltag und längere Traumatherapien, betonte Glatz Brubakk. Das sei – anders als die Bundesregierung meint – unter den aktuellen Bedingungen jedoch nicht möglich. „Was wir anbieten können, sind diese kleinen Pausen, in denen sich das Nervensystem ein bisschen beruhigt.“

Kinder benötigen sicheres Umfeld

Um irgendwann wieder in ein Leben ohne Angst zurückzufinden, benötigten die Kinder jedoch wieder ein sicheres Umfeld. „Sie brauchen ein Haus, wo sie wohnen und sich sicher fühlen können“, sagte Glatz Brubakk. Sie müssten zur Schule gehen, spielen, einfach Kinder sein können. „Nur wenn wir ihnen wieder eine normale Kindheit anbieten können, gibt es Hoffnung für eine bessere Zukunft.“

Acht Städte hatten im Rahmen der Initiative ihre Bereitschaft erklärt, Kinder aus Gaza aufzunehmen, unter ihnen auch Düsseldorf, Bonn, Kiel, Leipzig, Freiburg und Aachen. Auch Politiker wie Niedersachsens Ministerpräsident Olaf Lies (SPD) und zuletzt die Bischöfe und leitenden Repräsentanten der evangelischen Kirchen in Niedersachsen hatten sich hinter die Hilfsaktion der Städte gestellt.

Kritiker sehen die Bundesregierung in einer besonderen Pflicht. Deutschland als Partner Israels komme eine besondere Verantwortung für das Leid in Gaza zu. Deutschland zählt zu den wichtigsten Unterstützern von Israel, auch militär- und rüstungspolitisch. Dem israelischen Regime werden zahlreiche Kriegsverbrechen und Völkermord vorgeworfen. Die Entscheidung, Kinder aus Gaza nicht in deutsches medizinisches Obhutssystem aufzunehmen, folge offensichtlich der aktuellen politischen Linie, möglichst keine Menschen aufzunehmen. (epd/mig) Aktuell Politik

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