
Expertin warnt vor Ausgrenzung
Debatte nach Friedland: Paradebeispiel für „Othering“
Ein 31-jähriger abgelehnter Asylbewerbers aus dem Irak soll ein 16-jähriges Mädchen vorsätzlich vor einen fahrenden Zug gestoßen haben. Diese Meldung hat empört und eine weitere Debatte über Flüchtlings- und Sicherheitspolitik entfacht. Strafrechtlerin Beck warnt vor einem verengten Blick.
Von Martina Schwager Montag, 08.09.2025, 12:04 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 08.09.2025, 12:04 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Die Strafrechtlerin und Rechtsphilosophin Susanne Beck warnt angesichts der aktuellen Debatte über ein mutmaßliches Tötungsdelikt durch einen Asylbewerber in Friedland vor Ausgrenzung und einem verengten Blick auf die Ursachen von Kriminalität. Wenn bei einer Straftat zunächst die Nationalität und der Aufenthaltsstatus eines mutmaßlichen Täters in den Blick genommen werde, habe das eine diskriminierende Wirkung gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund, sagte Beck dem Evangelischen Pressedienst. „Zudem erschwert diese Vorgehensweise eine Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Ursachen von Straftaten.“
Das sogenannte „Othering“, also einer Gruppe die Verantwortung für problematisches Verhalten einzelner zuzuweisen und sie auszugrenzen, sei häufig Ausdruck von Verunsicherung, erläuterte die Direktorin des Kriminalwissenschaftlichen Instituts der Leibniz-Universität Hannover. „Wir wollen uns als Gesellschaft von Straftaten distanzieren und suchen nach möglichst einfachen Wegen, wie sie hätten vermieden werden können.“ Dieser Reflex, einen Sündenbock zu suchen, müsse aber von einem humanen Strafrecht überwunden werden: „Sonst endet das in einer Entmenschlichung der Täter.“
Simple Logik baut auf Illusion
Die Reaktionen auf die mutmaßliche Tat eines 31-jährigen abgelehnten Asylbewerbers aus dem Irak, der ein 16-jähriges Mädchen vorsätzlich vor einen fahrenden Zug gestoßen haben soll, ist Beck zufolge ein Paradebeispiel für „Othering“. Politiker und Behörden wiesen sich gegenseitig die Schuld dafür zu, dass der Mann nicht abgeschoben worden sei. „Das folgt der simplen Logik, dass die Tat nicht passiert wäre, wenn wir diese Person wie geplant aus der Gesellschaft ausgeschlossen hätten.“
Eine solche Diskussion könne nur dann geführt werden, wenn per se bestimmte Gruppen ausgegrenzt würden. Dahinter stehe zudem die Illusion, es ließe sich eine sichere Gesellschaft schaffen. „Wir können ja auch schlecht sagen: Weil die meisten Gewalttaten von Männern begangen werden, nehmen wir alle Männer in Präventivhaft.“
Kriminalität nie völlig vermeidbar
Die Menschen müssten anerkennen, dass Kriminalität nie völlig vermeidbar sei, mahnte Beck. „Verbrechen haben oft strukturelle Ursachen. Von denen kann sich eine Gesellschaft nicht abgrenzen. Aber wir können versuchen, diese Probleme konstruktiv zu lösen.“ Ursachen von Straftaten seien etwa soziale Umstände, wie Arbeitslosigkeit, aber auch Perspektivlosigkeit, massive Diskrepanzen zwischen Arm und Reich, oder unzureichende psychologische Versorgung.
Diese und weitere Faktoren gälten generell und nicht nur für bestimmte Gruppen, betonte die Juristin. Es gebe nirgendwo einen Nachweis, dass bestimmte Kulturen zu Gewalt neigten. Andersherum schützten etwa ein Gefühl von Zugehörigkeit, eine sichere Familienanbindung und ein funktionierendes soziales Netz generell davor, kriminell zu werden. (epd/mig) Aktuell Panorama
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