
Hunger in Afghanistan
Visa für Afghanen: Regierung verliert sehr oft vor Gericht
Mehr als 2.000 Afghanen warten in Pakistan auf eine Ausreise nach Deutschland. Dutzende haben sich in Eilverfahren an Berliner Gerichte gewandt – mit Erfolg. Die wirtschaftliche Lage in Afghanistan verschlechtert sich. Dobrindt setzt weiter auf Abschiebungen.
Sonntag, 07.09.2025, 14:57 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 07.09.2025, 14:59 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Im Streit über Aufnahmezusagen für Deutschland hat das Verwaltungsgericht Berlin bis Anfang September in 32 Eilverfahren zugunsten von Afghaninnen und Afghanen entschieden. Meist wurde die Vergabe von Einreisevisa angeordnet, wie eine Gerichtssprecherin auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mitteilte. In einigen wenigen Fällen bei ausstehenden Sicherheitsüberprüfungen hätten die Richter die Regierung verpflichtet, zumindest eine Entscheidung über die Visaanträge zu treffen.
Es geht dabei um Menschen im sogenannten Bundesaufnahmeprogramm, die wegen besonderer Gefährdung eine Zusage für die Aufnahme in Deutschland haben. Viele warten seit Monaten auf Einreisevisa.
Insgesamt seien beim Verwaltungsgericht Berlin bis Anfang September 64 Eilverfahren von Menschen mit solchen Zusagen eingegangen. Neben den 32 zugunsten der Kläger entschiedenen Fällen seien zehn Klagen zurückgewiesen worden, teilte die Sprecherin mit. Die übrigen seien noch nicht entschieden.
Viele Beschwerden haben keinen Erfolg
In etlichen Fällen hat das Auswärtige Amt Beschwerde gegen die Entscheidungen eingelegt – allerdings häufig ohne Erfolg. Wie das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg auf Anfrage mitteilte, haben die Richter in zweiter Instanz in sechs Fällen die Beschwerden des Auswärtigen Amts zurückgewiesen. In zwei Fällen zog das Außenamt demnach seine Beschwerde zurück. In zwei Fällen hatte es vor dem OVG Erfolg. Noch seien nicht alle Beschwerdeverfahren entschieden, und es gingen neue Fälle ein, erklärte ein Sprecher.
Insgesamt entschied das OVG in diesem Jahr bereits 28 Beschwerdeverfahren „bezüglich Visa afghanischer Staatsangehöriger“, wie der Sprecher weiter mitteilte. Beide Gerichte wiesen darauf hin, dass es neben dem Bundesaufnahmeprogramm weitere Programme für Afghaninnen und Afghanen gebe, etwa das Ortskräfteverfahren oder die Überbrückungsliste. Dabei gelten jeweils unterschiedliche rechtliche Bedingungen.
UN-Experte: Müssen Hungernde abweisen
Aktuell warten mehr als 2.000 Afghanen im Rahmen der verschiedenen Aufnahmeprogramme in Pakistan auf eine Ausreise nach Deutschland. Die pakistanischen Behörden hatten zuletzt etliche Menschen trotz Aufnahmezusage aus Deutschland festgenommen. Dutzende wurden nach Afghanistan abgeschoben.
Die Not in Afghanistan ist nach Einschätzung des Welternährungsprogramms so groß wie nie. „Die Erdbeben verstärken eine massive humanitäre Katastrophe“, sagte der Landesdirektor der UN-Organisation, John Aylieff, dem Evangelischen Pressedienst. Bereits zu Beginn des Jahres sei die Zahl der unterernährten Menschen so hoch gewesen wie noch nie in Afghanistan, vor allem unter Kindern und Frauen.
Wirtschaftslage merklich verschlechtert
Viel mehr hungernde Frauen kämen mit ihren ausgemergelten Kindern zu den Lebensmittelausgaben und den Kliniken, manchmal nach vier, fünf Stunden Fußweg. „Und dann müssen wir sie abweisen, weil wir kein Geld haben, ihnen zu helfen“, beschrieb Aylieff. „Es sind die gleichen Frauen, denen die Welt nach der Machtübernahme der Taliban 2021 unerschütterliche Solidarität versprochen hat, die jetzt zusehen müssen, wie ihre Kinder in ihren Armen dahinsiechen.“
Nach zwei wegen guten Ernten etwas hoffnungsvolleren Jahren 2023 und 2024 habe sich die Wirtschaftslage unter anderem wegen der Folgen des Arbeitsverbots für Frauen Ende des Jahres merklich verschlechtert, erläuterte Aylieff. Zudem hätten die internationalen Geber ihre Hilfen deutlich gekürzt, was einen dramatischen Rückgang der Nahrungsmittelverteilungen zur Folge hatte. „Wir haben für dieses Jahr weniger als die Hälfte der Mittel von 2024 erhalten.“
Zwei Millionen Rückehrer
Hinzu komme eine Dürre in 19 der 34 Provinzen und die Rückkehr von zwei Millionen Menschen, die aus Pakistan und dem Iran abgeschoben wurden, sagte Aylieff. Das sind dem Experten zufolge nicht nur zwei Millionen mehr, die Essen, Unterkunft und Arbeit brauchen. „Über eine Million von ihnen hat gearbeitet und Geld an die ärmsten Familien in Afghanistan geschickt, die jetzt kein Einkommen mehr haben.“ Insgesamt haben von rund 46 Millionen Afghaninnen und Afghanen fast zehn Millionen deutlich zu wenig zu essen, 4,6 Millionen Mütter und Kinder sind unterernährt.
Ungeachtet dieser Lage will Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) dafür sorgen, dass Abschiebungen nach Afghanistan häufiger stattfinden. Ob diese dann wie zuletzt wieder mit Unterstützung des Golfstaats Katar organisiert werden, lässt sein Ministerium dabei offen. „Die Bundesregierung arbeitet intensiv daran, einen dauerhaften Rückführungsmechanismus zu etablieren“, sagt eine Sprecherin der Deutschen Presse-Agentur. Hierfür prüfe man „alle Optionen unter rechtlichen und operativen Gesichtspunkten“.
Zwei Abschiebeflüge nach Afghanistan
Seit der Machtübernahme der Taliban in Kabul im August 2021 kam es zweimal zu Abschiebungen von Afghanen aus Deutschland. Im August 2024 – damals regierte noch die Koalition von SPD, Grünen und FDP – wurden 28 Personen in die afghanische Hauptstadt gebracht. Im Juli brachte ein Flugzeug 81 Männer nach Afghanistan.
Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Clara Bünger, kritisiert: „Die Bundesregierung gibt Unsummen für Abschiebeflüge aus, arbeitet mit Autokraten zusammen und behauptet, damit werde mehr Sicherheit geschaffen – das ist eine Lüge.“
Kaum jemand geht freiwillig zurück nach Afghanistan
Afghanistan ist aktuell das Hauptherkunftsland von Menschen, die in Deutschland Asyl beantragen. Angebote zur freiwilligen geförderten Rückkehr des Bundes haben in den ersten acht Monaten dieses Jahres lediglich 33 Menschen aus Afghanistan genutzt. Wie das Bundesinnenministerium auf Anfrage mitteilte, wurden fünf weitere freiwillige Ausreisen nach Afghanistan über Länderprogramme gefördert. Über freiwillige Ausreisen ohne staatliche Förderung liegen keine aktuellen Daten vor. (dpa/epd/mig) Leitartikel Politik
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