
Maximal 30 Sitzungen
Therapieplatz ist für Geflüchtete ein Glücksfall
Rund jeder dritte Geflüchtete in Deutschland benötigt psychologische Unterstützung, doch die allerwenigsten erhalten einen Therapieplatz. Ein Afghane in Frankfurt am Main hat Glück gehabt.
Von Christian Spangenberg Donnerstag, 28.08.2025, 12:56 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 28.08.2025, 11:59 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Jamshid Qaderi liegt wach. Er kann seit Stunden nicht einschlafen. Er spürt Blut an seinen Händen, dabei muss er sie schon unzählige Male gewaschen haben. Er hat Angst vor den immer gleichen dunklen Träumen – ausgelöst von Bildern, die ihn nicht loslassen.
Qaderi hat ein Trauma erlebt. 2019 kommt es an der Universität in Kabul zu einem Anschlag. Seine Schwester, die dort gemeinsam mit ihm studiert, kommt dabei ums Leben. „Ich musste die Leichenteile meiner Schwester selber tragen. Sie hat geblutet. Meine Hände – mein ganzer Körper war voll mit Blut“, berichtet der Afghane in Frankfurt am Main dem Evangelischen Pressedienst (epd). Drei Jahre nach dem Anschlag hat er vor den Taliban in Deutschland Zuflucht gesucht. Er ist nun in Sicherheit, doch die Erinnerung quält ihn weiterhin.
Jamshid Qaderis Schicksal steht beispielhaft für das vieler Geflüchteter in Deutschland. Rund 30 Prozent von ihnen benötigen psychologische Betreuung. Das zeigt ein Bericht der bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer aus dem vergangenen Juni.
Psychologische Hilfe nur in Ausnahmefällen, Arzt nur in Notfällen
Menschen wie er erhalten psychologische Hilfe in den ersten drei Jahren in Deutschland nur in Ausnahmefällen. In dieser Zeit können Asylsuchende nur in Notfällen oder bei akuten Erkrankungen zum Arzt gehen. Dieser Zeitraum wurde 2024 vom Gesetzgeber von 18 auf 36 Monate verdoppelt. Währenddessen finden sie in sogenannten psychosozialen Zentren bundesweit Hilfe.
Qaderi erhält im Evangelischen Zentrum Haus am Weißen Stein in Frankfurt am Main einen Therapieplatz. Damit zählt er zu den 3,3 Prozent der Betroffenen, die überhaupt psychologische Hilfe bekommen. „Wir sind total überlaufen. Der Bedarf ist überhaupt nicht gedeckt“, berichtet die Psychotherapeutin Isabel Hausmann, die die Beratungs- und Therapiestelle leitet. Das Zentrum könne daher in aller Regel nur Notfälle aufnehmen. „Wir führen eine Warteliste. Wenn dort 100 Menschen draufstehen, schließen wir diese dann auch regelmäßig.“
Maximal 30 Therapie-Sitzungen zur Stabilisierung
„Die Therapie hat nicht die gleichen Ziele, wie sie eine Therapie in der Regelversorgung hätte“, erklärt Hausmann. In maximal 30 Therapie-Sitzungen gehe es darum, die Klienten zunächst zu stabilisieren. Im Frankfurter Zentrum können sie in ihrer Muttersprache über das Erlebte erzählen. Eine Dolmetscherin sitzt mit am Tisch.
Finanziert wird die Arbeit der nach Angaben des Mediendienstes Integration bundesweit 71 psychosozialen Zentren über Projektgeld, Landes- und Bundesmittel sowie Spenden. 2025 betragen die Bundesmittel etwa elf Millionen Euro. Laut Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer wären allerdings 27 Millionen Euro nötig, um die derzeitige Arbeit der Zentren fortzuführen. „Es gibt viele Mittel, die immer nur von Jahr zu Jahr kommen. Bei diesen wissen wir erst sehr spät, ob die Finanzierung im nächsten Jahr weitergeht“, sagt Isabel Hausmann. Es werde deutlich schwerer, Personal für Stellen zu finden, die nur für zwölf Monate gesichert sind.
Flüchtlingshelfer beklagen Anfeindungen
Seit Angela Merkels Satz „Wir schaffen das“ vor zehn Jahren habe sich die Arbeit ihres Teams verändert, berichtet sie. „Kolleginnen erzählen mittlerweile ungern öffentlich, in welchem Bereich sie tätig sind, weil sie dafür angefeindet werden.“ Früher sei das nicht so gewesen.
Jamshid Qaderi aus Afghanistan hat die rund einjährige Therapie mit ihren 30 Sitzungen geholfen. „Die ganzen Probleme, der Stress und die Schlaflosigkeit konnten durch die Therapie gelindert werden“, sagt er. Heute schläft er besser, macht Sport und hat gelernt, sich in Deutschland zurechtzufinden. Zu den Sitzungen musste er jeweils drei Stunden an- und wieder abreisen. „Am Anfang habe ich nur geweint, wenn ich darüber geredet habe. Jetzt kann ich wieder schöne Dinge erleben.“ (epd/mig) Leitartikel Panorama
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