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Afghanistan und Pakistan auf der Weltkarte © de.depositphotos.com

Gericht droht Regierung mit Zwangsgeld

Wo kein Wille, da lange Verfahren: Hunderte gefährdete Afghanen warten in Pakistan auf ihre Ausreise nach Deutschland. Laut Gerichtsurteil muss die Bundesregierung tätig werden und Visa erteilen. Doch Innenminister Dobrindt bremst.

Donnerstag, 21.08.2025, 16:16 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 21.08.2025, 16:16 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Im Streit um die Erteilung von Visa für Afghanen zur Einreise nach Deutschland droht der Bundesrepublik ein Zwangsgeld von 10.000 Euro. Dieses wird nach einem Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin fällig, wenn nicht innerhalb von drei Wochen über einen entsprechenden Antrag einer afghanischen Familie entschieden wird, wie eine Gerichtssprecherin auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mitteilte. (Az.: VG 7 M 229/25 V)

Dabei geht es laut Gericht zunächst nur darum, dass eine Entscheidung getroffen wird – nicht, ob diese zugunsten oder zuungunsten der Betroffenen ausfällt. Zeit dafür ist laut Beschluss bis zum 10. September. Das Auswärtige Amt war zunächst nicht für eine Stellungnahme erreichbar.

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Viele Fälle bei Gericht nach Stopp von Aufnahme

Hintergrund ist der Streit um das Bundesaufnahmeprogramm für besonders gefährdete Afghanen. Die neue Bundesregierung von Union und SPD hat das Programm Anfang Mai vorerst gestoppt. Beim Verwaltungsgericht Berlin liegen inzwischen etliche Verfahren von Afghaninnen und Afghanen vor, die um die Erteilung eines Visums kämpfen. Unterstützt werden sie teils von der Organisation „Kabul Luftbrücke“.

Anfang dieser Woche teilte die Bundesregierung mit, dass zuletzt 211 Menschen aus dem Aufnahmeprogramm von Pakistan in ihr Herkunftsland abgeschoben worden seien. Laut einem Sprecher des Auswärtigen Amtes hätten die pakistanischen Behörden zuvor rund 450 Menschen aus dem Programm festgenommen. Die deutsche Botschaft in Islamabad und das Auswärtige Amt hätten erreicht, dass 245 von ihnen aus den Abschiebelagern wieder freigekommen seien.

Dobrindt: Entscheidung über Aufnahme wird noch dauern

Auch vor diesem Hintergrund beabsichtigt Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) keine Beschleunigung der Verfahren für Afghanen. Sein Maßstab sei, dass das Aufnahmeverfahren voll durchlaufen und eine Sicherheitsprüfung erfolgt sein muss, sagte Dobrindt am Donnerstag in Berlin. Dabei gehe es nicht um etwas, „was in wenigen Tagen oder Wochen abgearbeitet ist“, sagte er.

Dobrindt erklärte, die Gruppe derer mit einer Aufnahmezusage unterscheide sich stark. Es gebe Personen, die nach Einschätzung seines Ministeriums eine rechtsverbindliche Zusage haben. Bei anderen sei die Aufnahme nicht rechtsverbindlich. Sie sollen nach Dobrindts Willen kein Visum erhalten. Einreisen soll zudem nicht, wer die Sicherheitsüberprüfung nicht erfolgreich durchläuft.

22 Gerichtsverfahren Zugunsten von Betroffenen abgeschlossen

Laut der Sprecherin des Verwaltungsgerichts Berlin haben in 22 Verfahren (Stand 20.8.) die Richter bislang die Bundesregierung zur Erteilung von Visa verpflichtet. In drei Fällen liegen dem Gericht ebenfalls Anträge zur Vollstreckung vor. Über solche Fälle hatte auch die „Welt“ berichtet.

In der vergangenen Woche hatte das Auswärtige Amt eine Beschwerde gegen eine Entscheidung zurückgezogen. Damit wurde ein Urteil rechtskräftig, wonach einer Juraprofessorin und ihren Familienangehörigen Visa erteilt werden müssen.

Familie wartet in Pakistan auf Visa

Im aktuellen Fall geht es um Zusagen der Bundesregierung an die Eltern von sechs Kindern, zwei davon volljährig. Die Familie warte in Pakistan auf Visa, heißt es im Gerichtsbeschluss. Sie befürchtet eine Abschiebung nach Afghanistan, wo ihr Leben nach eigenen Angaben unter der Herrschaft der islamistischen Taliban gefährdet ist.

Nach Gerichtsangaben hatte die Deutsche Botschaft in Islamabad der Familie Ende Oktober 2024 eine Aufnahmezusage erteilt – vorausgesetzt, es gebe keine Sicherheitsbedenken gegen die Personen. Dafür werden nach dem Verfahren sogenannte Sicherheitsinterviews durchgeführt. Diese stehen im Fall der Familie noch aus. Laut Gericht ist die Bundesregierung seit Ende Oktober 2024 untätig geblieben.

Richter: Bundesregierung muss tätig werden

Da sich in der Sache nichts bewegte, zogen die Afghanen vor Gericht. Ende Juli erzielten sie im Eilverfahren einen ersten Erfolg: Das Verwaltungsgericht verpflichtete die Bundesregierung, tätig zu werden. Eine Beschwerde der Regierung blieb vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg ohne Erfolg. Parallel forderte die Familie vor dem Verwaltungsgericht die Vollstreckung der Entscheidung aus dem Juli – mit Erfolg.

Die Bundesregierung hatte vor Gericht unter anderem argumentiert, dass die Aufnahmeverfahren und Visaerteilung derzeit insgesamt ausgesetzt seien. Die Deutsche Botschaft in Islamabad stehe „fortlaufend in engem und hochrangigem Kontakt mit der pakistanischen Regierung, um eine gesicherte Regelung für den betroffenen Personenkreis zu vereinbaren“.

Dies reichte den Berliner Richtern nicht. Die Situation habe sich geändert, hieß es vom OVG. Es gebe Berichte über eine „nicht unerhebliche Zahl von Festnahmen und Abschiebungen afghanischer Staatsangehöriger aus dem Aufnahmeprogramm der Bundesregierung durch pakistanische Behörden“.

Insgesamt warten mehr als 2.000 Afghanen im Rahmen der verschiedenen Aufnahmeprogramme auf eine Ausreise nach Deutschland. Sie sind etwa ehemalige Ortskräfte oder gelten als besonders gefährdet.

Grüne: Bundesregierung muss zu ihrer Verantwortung stehen

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann kritisierte die Bundesregierung für den Stopp der Aufnahmen. „Der Bundesregierung und insbesondere der Union sowie Innenminister Dobrindt sind die rechtsverbindlichen Aufnahmezusagen offenbar nichts mehr wert; sie stehlen sich aus der Verantwortung“, sagte sie. Schwarz-rot bringe damit Menschen in Gefahr und beschädige das Ansehen Deutschlands in der Welt schwer.

Ähnlich argumentierte zuletzt auch Dirk Wiese, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD im Bundestag. Er appellierte an den Koalitionspartner, die Aufnahmezusagen einzuhalten. Dabei gehe es um die Glaubwürdigkeit Deutschlands in der Welt. (dpa/epd/mig) Aktuell Politik

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