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Geflüchtete Frauen und Kinder in Islamabad/Pakistan © Aamir Qureshi/AFP

Afghanen in Pakistan

Zynischer Widerspruch zwischen Rhetorik und Handeln der Bundesregierung

Amnesty wirft der Bundesregierung vor, Rhetorik und Handeln stünden in „zynischem Widerspruch“. Die Grünen mahnen: „Wir stehen im Wort.“ Pro Asyl stellt Strafanzeige gegen zwei Minister. In einem Fall muss Deutschland Einreisepapiere auszustellen.

Sonntag, 17.08.2025, 14:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 17.08.2025, 14:23 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die Bundesregierung steht wegen ihres Umgangs mit schutzsuchenden Afghanen in Pakistan weiter in der Kritik. „Rhetorik und Handeln der Bundesregierung stehen in einem sehr eklatanten und zynischen Widerspruch“, erklärte Christian Mihr von Amnesty International in Deutschland am Samstag. Der stellvertretende Grünen-Fraktionschef Konstantin von Notz sprach von einem „in höchstem Maße fragwürdigen Rechtsverständnis“.

Außenminister Johann Wadephul (CDU) hatte den Afghaninnen und Afghanen aus den Aufnahmeprogrammen der Bundesregierung am Freitag erneut Hilfe zugesichert. Der stellvertretende Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland, Mihr, kritisierte im Deutschlandfunk, es würden aber keine entsprechenden Maßnahmen getroffen. So gebe es in Pakistan nicht ausreichend Personal, um die Programme abzuwickeln.

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In den vergangenen Tagen war bekannt geworden, dass die pakistanischen Behörden schutzsuchende Afghaninnen und Afghanen trotz deutscher Aufnahmezusagen in deren Heimatland abschieben. Da Deutschland keine diplomatische Vertretung in Afghanistan hat, werden die Aufnahmeverfahren über Pakistan abgewickelt. Derzeit warten mehr als 2.000 Afghaninnen und Afghanen im Rahmen der verschiedenen Aufnahmeprogramme in Pakistan auf eine Ausreise nach Deutschland. Sie sind ehemalige Ortskräfte oder gelten als besonders gefährdet.

Von Notz kritisiert: Aufnahmeprogramm blockiert

Mihr sagte, bei Aufnahmen handele es sich um einen Verwaltungsakt. Die Zusagen könnten „nicht einfach zurückgenommen werden, wenn sich das politische Klima ändert“. Bereits seit Mai vergangenen Jahres seien de facto keine Aufnahmezusagen mehr erteilt worden. Deshalb trage auch die frühere Ampel-Koalition Verantwortung.

Der Grünen-Politiker von Notz sagte dem „Tagesspiegel“, trotz rechtlich bindender Versprechen sei das Bundesaufnahmeprogramm seit Monaten blockiert: „Die Menschen haben ihre Heimat im Vertrauen auf deutsche Zusagen verlassen.“ Vor allem die Union müsse „den Pfad des Populismus endlich verlassen. Wir stehen im Wort.“

Auswärtiges Amt zeigt sich bemüht

Das Auswärtige Amt hat erklärt, allen bereits nach Afghanistan Abgeschobenen solle eine Rückkehr in die pakistanische Hauptstadt Islamabad ermöglicht werden. Ebenso bemühe sich das Ministerium um die Freilassung von gefährdeten Afghaninnen und Afghanen, die durch die pakistanischen Behörden festgenommen wurden. In den vergangenen Tagen sollen mehrere Hundert Menschen inhaftiert und Dutzende nach Afghanistan abgeschoben worden sein.

Nach der erneuten Machtübernahme der Taliban vor vier Jahren hatte Deutschland mehrere Charterflüge über Pakistan organisiert, auch für ehemalige Ortskräfte deutscher Institutionen. Die Bundesregierung aus Union und SPD will die Aufnahmeprogramme jedoch „soweit wie möglich“ beenden und hat die Einreisen derzeit ausgesetzt.

Strafanzeige gegen Wadephul und Dobrindt

Pro Asyl und das Patenschaftsnetzwerk Ortskräfte haben nach eigenen Angaben Strafanzeige gegen Außenminister Wadephul und Innenminister Alexander Dobrindt (SCU) wegen unterlassener Hilfeleistung gestellt. Diese hätten sich unter anderem der unterlassenen Hilfeleistung schuldig gemacht, erklärten die beiden Organisationen am Freitag.

„Den von den pakistanischen Behörden abgeschobenen Afghanen und Afghaninnen drohen willkürliche Inhaftierung, Misshandlungen oder gar Hinrichtungen“, erklärte die rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl, Wiebke Judith. Diese Abschiebungen und die Gefährdung der Menschen seien Resultate deutschen Regierungshandelns. Judith kritisierte, dass die deutschen Verantwortlichen die Menschen immer weiter hingehalten hätten, statt ihnen Visa zu erteilen.

Strafverfahren kann sich hinziehen

Alexander Fröhlich vom Patenschaftsnetzwerk wies auf die besondere Gefährdung der ehemaligen afghanischen Ortskräfte hin. „Die Taliban betrachten sie als Feinde, an denen sie sich rächen wollen“, erklärte er. Die Abschiebung in die Hände der Taliban „wäre für viele von ihnen der Tod“, sagte Fröhlich.

Nach Angaben des Verfassers der Strafanzeige, Strafverteidiger Robert Brockhaus, kann es in dem Verfahren dauern, bis die Staatsanwaltschaft mit den Ermittlungen beginnt, unter anderem, weil sich die Anzeige gegen zwei Bundestagsabgeordnete richte und zunächst deren Immunität aufgehoben werden müsste.

Nach Rechtsstreit: Bund muss Afghanin Visum erteilen

Derweil muss die Bundesregierung einer Afghanin mit Aufnahmezusage und deren Familie Einreisevisa für Deutschland erteilen. Ein entsprechender Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin sei rechtskräftig geworden, denn die Bundesregierung habe ihre Beschwerde vor der nächsten Instanz zurückgezogen, sagte ein Sprecher des Oberverwaltungsgerichts Berlin- Brandenburg auf Anfrage. Zuvor hatte die ARD berichtet.

Hintergrund ist der Streit um das Bundesaufnahmeprogramm für besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen. Im vorliegenden Fall geht es um Zusagen der Bundesregierung an eine Juradozentin und ihre 13 Familienangehörigen, die in Pakistan auf Visa warten.

Verwaltungsgericht entschied im Eilverfahren

Das Verwaltungsgericht entschied am 7. Juli in erster Instanz zunächst im Eilverfahren, die Bundesregierung habe sich „durch bestandskräftige, nicht widerrufene Aufnahmebescheide rechtlich zur Aufnahme gebunden“. Zudem gebe es keine Sicherheitsbedenken und die Identität der Menschen sei geklärt.

Dagegen legte die Bundesregierung Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht ein; und das OVG setzte mit einem Zwischenbescheid zunächst die Anordnung der unteren Instanz aus, damit bis zu einer endgültigen Entscheidung keine Tatsachen geschaffen werden. Mit der Rücknahme der Beschwerde gilt nun aber der Beschluss des Verwaltungsgerichts, wie der Gerichtssprecher erläuterte. (epd/dpa/mig) Leitartikel Panorama

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