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Neonazi-Aufmarsch in Chemnitz (Archiv) © AFP/David Speier

Rheinland-Pfalz

Rap, Schlager, Kampfsport und Netz – wie Rechte rekrutieren

Mehr Präsenz in sozialen Medien, Nachwuchsrekrutierung über Kampfsport – die rechte Szene in Rheinland-Pfalz ist umtriebig und im Wandel. Springerstiefel waren gestern. Experte warnt: Nazi sein, sei heute ein bisschen Pop.

Von Sonntag, 27.07.2025, 10:44 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 18.07.2025, 14:46 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die rechte Szene in Rheinland-Pfalz verändert sich: Sie klingt inzwischen auch nach Partyschlager und zeigt sich wieder häufiger in Springerstiefeln. Verfassungsschützern in Rheinland-Pfalz zufolge tritt sie offener als früher auf, steckt immer mehr Energie in soziale Netzwerke und setzt bei der Rekrutierung von Nachwuchs auch auf Kampfsport.

In Liedtexten oder Chatgruppen sei seit der Jahrtausendwende zu beobachten, dass immer mehr zwischen den Zeilen formuliert werde, sagt Thorsten Hindrichs, Musikwissenschaftler an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und Kenner der Rechtsmusik-Szene. Es würden nur Szenekundigen bekannte Codewörter verwendet, die strafrechtlich unproblematisch seien. Ein Beispiel: Es ist nicht etwa vom Führer oder von Hitler die Rede, sondern vom „Chef“.

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Experte: Nazi sein, ist ein bisschen Pop

Früher habe harter Rock mit klaren Parolen dominiert, heute gebe es auch Rechts-Schlager, Ballermann-artige Songs und rechte Rap-Musik, so Hindrichs.

Die klassische Rechtsrock-Szene überaltere, sagt er, andere Kreise und andere Interpreten würden bedeutender. Der Wissenschaftler sieht einen regelrechten Boom bei „Kinder-Nazis“. Hier funktioniere die Radikalisierung nicht mehr über die Musik, sondern über soziale Medien.

Mit dem Phänomen der sogenannten „Ostmullen“, jungen Frauen, die etwa auf TikTok zu Rechtsrock ihre Lippen bewegen, werde eine Brücke zwischen althergebrachten Rechtsrock und Jüngeren geschlagen, sagt Hindrichs. Es mache sich der Rechtsruck der Gesellschaft insgesamt bemerkbar. „Es ist mittlerweile ein bisschen Pop, Nazi zu sein.“

Man sieht wieder Springerstiefel mit weißen Schnürsenkeln

Elmar May, Leiter des Verfassungsschutzes im rheinland-pfälzischen Innenministerium, berichtet von einem Trend in der rechten Szene, Jugendliche über Kampfsportangebote zu rekrutieren. Das habe an Bedeutung gewonnen, damit ließen sich Jugendliche ansprechen.

Insgesamt zeigt sich die Szene laut Verfassungsschutz offener nach außen als früher. Ein Beispiel: Häufig werde der White-Power-Gruß gezeigt, als Signal in die Anhängerschaft hinein. May sieht außerdem eine gewisse Rückkehr zur Skinhead-Kultur. Noch dominiere in Rheinland-Pfalz der in den vergangenen Jahren übliche Hipster-Look mit Sportschuhen unter Anhängern der rechten Szene, doch Springerstiefel mit weißen Schnürsenkeln würden wieder häufiger.

Eine Verzahnung der rechten Szene mit Fußball-Hooligans sieht May in Rheinland-Pfalz nicht. Anders als an anderen Bundesliga-Standorten sei hierzulande nicht bekannt, dass in Fanblocks gezielt angeworben werde.

Ist Rheinland-Pfalz also in Westdeutschland ein rechter Hotspot? Es sei zumindest keine „Insel der Glückseligen“, betont Hindrichs von der Uni Mainz. Dazu passt, was ein Mitarbeiter der Regionalstelle Mitte der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Rheinland-Pfalz sagt. Ihm zufolge erfahren Menschen, die sich gegen Rechts engagieren, zunehmend Einschüchterung. Umso wichtiger sei es, dass Menschen sich mit ihrem Engagement nicht alleine gelassen fühlten, sagt er. Genau dazu will die Regionalstelle beitragen.

Regionale Unterschiede

Schwerpunkte der Szene sieht der Mitarbeiter in der Westpfalz, in Zweibrücken und Pirmasens mit sehr aktiven Kameradschaften. Im Gebiet der Regionalstelle Mitte sei die Szene in der Nordpfalz um Kirchheimbolanden viel umtriebiger als in den Kreisen Alzey-Worms, Bad Kreuznach oder Mainz-Bingen.

Die Szene sei stark geprägt von Gruppen aus Nachbarbundesländern. Vernetzungen gebe es etwa zwischen Ludwigshafen und der Bergstraße in Hessen und Baden-Württemberg, im Norden gebe es Verbindungen in den Bonner Raum, in Rheinhessen welche nach Frankfurt. Für ihn hat sich Rheinhessen als beschaulicher Rückzugsort der rechten Szene etabliert. In der Region habe die AfD andere Parteien verdrängt.

Für Schlagzeilen sorgte in den vergangenen Monaten, dass eine vom Verfassungsschutz beobachtete Burschenschaft aus Mainz Flyer an Schulen in der Landeshauptstadt auslegte. Ein weiterer Versuch der Rekrutierung von Nachwuchs in einem Bundesland, in dem zuletzt einige für die rechte Szene auch über die Landesgrenzen hinaus wichtige Veranstaltungen stattfanden.

Einstiges Zentrum in Mainz geschlossen

Es gab eine sogenannte alternative Buchmesse, um konservativen oder rechten Verlagen, die auf der Frankfurter Buchmesse nicht unbedingt erwünscht seien, eine Präsentationsfläche zu bieten, wie es der aus Rheinland-Pfalz kommende AfD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Münzenmeier, der auch Vize der Landespartei ist, in einem SWR-Beitrag über die Messe sagte. 2023 feierte die „Junge Alternative“ (JA) hierzulande ihr zehnjähriges Bestehen, die frühere Jugendorganisation der AfD, die vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet wurde und sich inzwischen aufgelöst hat.

Sowohl die Buchmesse als auch JA-Feier waren im ehemaligen Zentrum Rheinhessen in Mainz-Hechtsheim. Das entwickelte sich dem Innenministerium zufolge in recht kurzer Zeit zu einer zentralen Örtlichkeit der Vernetzung der „Neuen Rechten“, der AfD und deren früherer Jugendorganisation.

2024 sprach die Stadt Mainz ein Nutzungsverbot aus, als Ersatz wurde eine Immobilie im zu Ingelheim gehörenden Heidesheim-Uhlerborn angemietet. Für die Szene sei es wichtig gewesen, ein Haus mit bundesweiter Strahlkraft in einer westdeutschen Landeshauptstadt zu haben, sagt der Mitarbeiter der Mobilen Beratung. Dass dies verschwunden sei, wertet er als Erfolg. Auch für den Verfassungsschutz ist der Szene damit ein bedeutender Anlaufpunkt abhandengekommen. Veranstaltungen in Ingelheim würden konspirativer angekündigt als seinerzeit in Mainz, sagt May. (dpa/mig) Leitartikel Panorama

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