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MiGAZIN Kolumnist Sven Bensmann © privat, Zeichnung MiG

Nebenan

Abgrenzung mit Ablaufdatum

Am schwarzbraunen Bündnis hätten Merz und Spahn nicht effektiver arbeiten können. Sie haben das Kunststück vollbracht, den Stimmanteil der AfD zu verdoppeln. Eine Niemöller-Dystopie.

Von Montag, 14.07.2025, 12:06 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 14.07.2025, 12:06 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Schwarzbraun ist die Haselnuss, schwarzbraun bin auch ich … schwarzbraun soll mein Kanzler sein, gerade so wie ich.

Vielleicht tue ich Friedrich Merz und Jens Spahn unrecht, wenn ich ihnen eine solche Unterstellung mache. Vielleicht sind diese beiden Bundes-Würstchen wirklich nur politische Totalversager, die nicht einmal in der Lage sind, ihre Fraktion zusammenzuhalten, sobald nur ein laues Lüftchen aus der rechtsextremen Ecke weht – sei es, wenn höchstangesehene Verfassungsrichter:innen gewählt werden sollen oder auch nur der Kanzler selbst.

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Vielleicht reicht es bei der Union wirklich nur noch für einen asozialen Haushalt und dazu, korrupte Abgeordnete aus den eigenen Reihen zu decken, weil das halt Markenkern der Union ist und eine Krähe der anderen nunmal kein Auge aushackt; und weil immerhin die SPD ihre Reihen geschlossen hält, selbst wenn auch sie ihren Fraktionsvorsitzenden in großen Teilen scheinbar offen verachtet. Jener Union übrigens, die weder dem Flehen ihres Fraktionsvorsitzenden, noch dem ihres Kanzlers nachgab und sich anschließend nicht entblödete, im Rahmen der Vertagung der Wahl der Verfassungsrichter:innen als „Kompromiss“ vorzuschlagen, doch zumindest den eigenen Kandidaten zu wählen, wenn schon nicht die beiden des Koalitionspartners.

„Merz das Kunststück vollbracht, den Stimmanteil der AfD zu verdoppeln.“

Diese Union, die sich monatelang als Alternative zur AfD mit Kulturkampf, Migrationsfeindlichkeit und Fundamentalopposition an die Macht geputscht hat, um jetzt mit konstruktiver Politik heillos überfordert zu sein und oft nur die Konzepte der Ampel aufwärmt, kommt in jedem Fall nicht gut dabei weg – ebensowenig das Bundesverfassungsgericht und die ganze deutsche Demokratie. Merz und Spahn haben – mal wieder – nur einer geholfen: Der AfD. Die lacht sich einen ins Fäustchen, die Kulturkampf-Union gegen den Kanzlerwahlverein auszuspielen und verweist genüsslich darauf, dass die, die noch im Wahlkampf als AfD light gepoltert haben, nun Politik machen, die dem rechten Rand – auch dem der Union – als „ultralinker Aktivismus“ vorkommen.

Und das ist der Knackpunkt: Seit er als Parteivorsitzender angetreten ist, hat Merz das Kunststück vollbracht, den Stimmanteil der AfD zu verdoppeln und dabei gleichzeitig den rechtspopulistischen, destruktiven Teil seiner eigenen Partei – eigentlich einer Bande notorischer Opportunisten – zusätzlich zu ermächtigen und zu stärken. Er hat das selbstauferlegte Verbot der Zusammenarbeit mit der AfD formell im Bundestag geschleift und auch jetzt nicht verhindert, dass sich eine rechte Querfront durch AfD und Union bildet, die eine vereinbarte Wahl für das höchste Gericht des Landes politisierte.

Zudem steht sein eigentlich nicht mehr haltbarer Fraktionsvorsitzender ohnehin ganz offen dafür, die Zusammenarbeit mit der AfD zu suchen, während er, Merz, sich immerhin bisher stets gegenteilig geäußert hatte. Spahn ist nunmehr der Beweis, dass die K-Frage in der Union eine ganz eigene Bedeutung hat: Ob Küngelei, Korruption oder Kooperation mit Nazis, Kanzlermaterial darf man trotzdem sein: In der Union fällt man über Skandale nur nach oben. Die Abgrenzung von der AfD hat ein Ablaufdatum.

„Zusammenarbeit mit der AfD: Mal hier, mal da. Mal offen und mal in sich scheinbar ganz zufällig ergebenden Mehrheiten.“

Die eigentlich unbedingt nötige Zusammenarbeit mit Grünen und Linken ist seitens der Union dabei bisher auch noch extrem einseitig. Während deren Ausschussvorsitzenden gern einmal durch die Union abgelehnt werden, wird andererseits stillschweigend verlangt, dass die Vorschläge der Union – eben auch für das Verfassungsgericht – mitgetragen werden, ohne zu murren. An Stelle einer Zusammenarbeit sind Linke und Grüne zu reinen Befehlsempfängern einer Union herabgewürdigt, deren Kanzler und Fraktionsvorsitzender vermeintlich Mal um Mal in der eigenen Partei selbst keine Mehrheiten organisiert bekommen.

Und so wirkt es auch, als könnten Merz und Spahn derzeit eigentlich gar nicht effektiver am schwarzbraunen Bündnis arbeiten, als würde man eine völlig unmissverständliche Zusammenarbeit mit der AfD anbahnen: Mal hier, mal da. Mal offen und mal in sich scheinbar ganz zufällig ergebenden Mehrheiten.

Es wirkt, als würden sie gleichzeitig die Arbeit mit den oppositionellen Demokraten und selbst mit dem bisherigen Koalitionspartner sabotieren, um so zukünftige, harte Sachzwänge zu schaffen – wenn man plötzlich nur noch mit den Rechtsextremen zusammenarbeiten kann, weil die anderen seltsamerweise dazu einfach nicht mehr bereit sind. Und deshalb darf sie natürlich auch nicht verboten werden.

So könnte sich auch Söders Behauptung, diese Koalition sei die „letzte Patrone der Demokratie“ als selbsterfüllende Prophezeiung erweisen, weil Merz die Pistole womöglich längst gegen die demokratische Phalanx diesseits der Brandmauer gerichtet hat, um im opportunen Moment den Abzug ziehen und sich von einer schwarzbraunen Koalitionen zum R-Kanzler wählen lassen zu können.

Dystopie in Niemöller:

Als sie die Einwander:innen holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Einwanderer.
Als sie die Queeren holten, habe ich geschwiegen, ich war ja nicht queer.
Als sie die Feminist:innen holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Feminist.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte. Meinung

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