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Menschen (Symbolfoto) © de.depositphotos.com

40 Jahre „Live Aid“

Meilenstein der Popgeschichte prägt Afrika-Stereotype bis heute

Es war ein Musikevent der Superlative und sammelte Spendengelder für die Hungerhilfe in Äthiopien: Im Juli 1985 fand in London und Philadelphia zeitgleich das Konzert „Live Aid“ statt. Rund zwei Milliarden Menschen schauten vor dem Fernseher zu.

Von Sonntag, 13.07.2025, 10:33 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 13.07.2025, 10:31 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

„Es ist zwölf Uhr mittags in London und sieben Uhr morgens in Philadelphia. Und rund um die Welt ist es Zeit für ‚Live Aid‘!“ Legendär ist die Ansage für das größte Musikspektakel aller Zeiten am 13. Juli 1985: Pop- und Rockstars wie Bryan Adams, Madonna und David Bowie stiegen auf die Bühne, um bei der Benefiz-Show „Live Aid“ Spenden zu sammeln für die Menschen in Äthiopien, die von einer Hungersnot betroffen waren. Die Auftritte, die abwechselnd in der britischen Hauptstadt und in Philadelphia in den USA stattfanden, wurden über Satelliten übertragen. Fast zwei Milliarden Menschen in 150 Ländern verfolgten die Shows von rund 60 Bands im Fernsehen. Bis heute wurden über die „Band Aid“-Stiftung rund 170 Millionen Euro für die Nothilfe und Entwicklungsprojekte gesammelt.

Treibende Kraft hinter dem 16-stündigen Musik-Event vor 40 Jahren war Bob Geldof. Der Sänger der irischen Rockgruppe „The Boomtown Rats“ sah 1984 einen Fernsehbericht über verhungernde Menschen in Äthiopien und war erschüttert. Der Ex-Punk brachte daraufhin zahlreiche britische Musikerkollegen für die Aufnahme einer Benefiz-Single zusammen: „Do they know it’s Christmas?“ mit der berühmten Zeile „Feed the World“. Lionel Richie und Michael Jackson zogen nach und nahmen mit US-amerikanischen Musikerinnen und Musikern den Song „We Are The World“ auf.

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Crème de la Crème der Musik

Doch das britische „Band Aid“-Projekt spülte nicht genug Geld für die Afrikahilfe ein, befand Bob Geldof. Der Sänger Boy George von „Culture Club“ schlug ein Benefiz-Konzert vor. Geldof und sein Freund Midge Ure, Sänger der Band „Ultravox“, wollten dafür die Crème de la Crème der damaligen britischen und US-amerikanischen Pop- und Rockszene gewinnen. Ein solches Unterfangen sei zum Scheitern verurteilt, unkten zahlreiche Kritiker.

„Live Aid“ sollte nach dem Willen von Geldof zur globalen Spendensammelaktion werden, größer als alles zuvor. Er hängte sich mit Helfern ans Telefon, warb bei Musikern, Managements und Fernsehstationen und rührte medial die Werbetrommel. Das Doppel-Livekonzert fand schließlich nach nur drei Monaten Planungszeit statt – eine organisatorische und technische Meisterleistung: Handys und Internet gab es noch nicht. Einige Stars wie Bruce Springsteen sagten ihre Teilnahme ab, weil sie am Erfolg des Projekts zweifelten.

Rund 72.000 Musikfans fanden sich an dem heißen Sommertag im Londoner Wembley Stadium ein, „Status Quo“ legten mit „Rockin‘ all over the World“ los. Auch Prinz Charles und Lady Diana waren bei dem Konzertmarathon zeitweise dabei. 100.000 Besucherinnen und -besucher kamen ins John F. Kennedy Stadium in Philadelphia.

Schwarze Musiker ausgegrenzt?

Große Namen wie „Queen“, „Dire Straits“ und Bob Dylan standen bei der „globalen Musikbox“ für einen jeweils rund 20-minütigen Auftritt bereit. „Led Zeppelin“ und „The Who“ kamen dafür extra noch einmal zusammen. Mick Jagger und Tina Turner legten ein heißes Duett hin. Und Phil Collins, der Sänger von „Genesis“, brachte seinen Hit „In the Air Tonight“ gleich zweimal: Mit dem Überschallflugzeug Concorde düste er von London nach Philadelphia.

Kritiker bemängelten allerdings, dass für einige Künstler bei dem Konzert der Eigennutz im Vordergrund gestanden habe. „Du wusstest, wie wichtig es nicht nur für den Zweck, sondern auch für die eigene Karriere sein könnte“, räumte Garry Kemp von „Spandau Ballet“ später ein.

Auf den Vorwurf, schwarze Musiker und Musikerinnen seien bei „Live Aid“ ausgegrenzt worden, reagierte Geldof erbost. Bis heute wird ihm vorgehalten, er habe bei der Aktion den „weißen Retter“ abgeben wollen. Die nigerianische Autorin Moky Matura kritisierte im vergangenen Jahr in der britischen Zeitung „The Guardian“: Das Bild von Afrika, das durch das Event erzeugt wurde, habe zu einer überheblichen Hilfs-„Industrie“ geführt, mit der Mission, „Afrika zu retten“. Stereotype und veraltete Vorstellungen von Afrika hielten sich bis heute.

Ein Meilenstein

Bei den Organisatoren und Technikern lagen während des „Live Aid“-Konzerts die Nerven blank: Der Bühnenwechsel der teilweise nur schlecht vorbereiteten Bands war hektisch. Beim Auftritt von „The Who“ brach die Satellitenübertragung zeitweise zusammen. Da die Spendengelder zunächst nur spärlich flossen, richtete sich ein panischer Bob Geldof vor Fernsehkameras an die Weltöffentlichkeit. „Es sterben Leute, jetzt. Gebt mir das Geld!“

Info: Die Region Tigray, in der damals Hunderttausende den Hungertod gestorben waren, liegt vier Jahrzehnte nach den Konzerten in Trümmern. Ein brutaler Krieg forderte bis zu 600.000 Menschenleben. Hinzu kommt eine seit Jahren andauernde Dürre, deren Folgen durch die faktische Auflösung der US-Entwicklungsbehörde USAID verstärkt werden. Wie viele Menschen derzeit in Tigray an Hunger sterben, ist unklar, weil die Zentralregierung in Addis Abeba laut Experten das Sammeln von Daten darüber behindert.

Dabei war es in der Region im Norden Äthiopiens bis 2020 bergauf gegangen. Ein System der sozialen Sicherheit und Frieden boten Schutz vor einer erneuten Hungerkrise. Der Krieg zerstörte beides. Zehntausende Frauen sind Opfer von Vergewaltigung und sexueller Gewalt geworden. Kürzlich berichteten Menschenrechtsorganisationen über Fälle von Frauen in Tigray, denen nach Massenvergewaltigungen Objekte wie verrostete Schrauben, spitze Metallteile und Müll in die Gebärmutter eingeführt wurden, um sie unfruchtbar zu machen. Doch vom Leid der Menschen in Tigray nehmen nur wenige Notiz, ähnlich wie von anderen Krisen in Afrika wie im Sudan und im Kongo.

In der Musikgeschichte wurde „Live Aid“ zu einem Meilenstein: „Queen“ mit ihrem im weißen Muskelshirt tanzenden Sänger Freddie Mercury lieferten das bis heute vielleicht beste Rockkonzert. Den irischen Newcomern von U2 gelang der internationale Durchbruch. Der Ex-Beatle Paul McCartney spielte „Let it Be“ am Piano – und holte alle zum großen Finale in London auf die Bühne.

Ein Remake von „Live Aid“ organisierten Geldof und U2-Sänger Bono 20 Jahre später mit „Live 8“: eine Benefiz-Show an zehn Orten. Und den Geist des Originals will ein Musical einfangen, das derzeit in London unter dem Titel „Just for one Day“ läuft. (epd/mig) Aktuell Feuilleton

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