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Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig © scholacantorum @ pixabay.com (Lizenz), bearb. MiG

„Nicht ganz richtig“

Gerichtspräsident widerspricht Dobrindt bei Asyl-Zurückweisungen

Anfang Juni stellt ein Berliner Gericht fest, dass die Zurückweisung von Asylbewerbern rechtswidrig war. Die Politik hält trotzdem an Grenzkontrollen fest. Der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts spricht nun Klartext – auch die Opposition übt Kritik.

Sonntag, 29.06.2025, 14:39 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 29.06.2025, 15:16 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts hat Zweifel daran, ob die Bundesregierung mit Blick auf Zurückweisungen von Migranten an den Grenzen langfristig an ihrem Kurs festhalten kann. Sollte es zu weiteren gerichtlichen Entscheidungen zugunsten Asylsuchender kommen, „werden Kanzler und Innenminister sicherlich überlegen müssen, inwieweit sie die Auffassung noch aufrechterhalten können, die sie bisher vertreten haben“, sagte Andreas Korbmacher dem „Handelsblatt“.

Das Verwaltungsgericht Berlin hatte Anfang Juni in einer Eilentscheidung festgestellt, die Zurückweisung dreier Somalier bei einer Grenzkontrolle am Bahnhof Frankfurt (Oder) sei rechtswidrig. Ohne eine Klärung, welcher EU-Staat für einen Asylantrag der Betroffenen zuständig sei, dürften sie nicht abgewiesen werden, hieß es.

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Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hatte nach der Entscheidung gesagt: „Das ist ein Einzelfallurteil.“ Korbmacher interpretiert das so, dass Dobrindt zum Ausdruck bringen wollte, dass diese Entscheidung nur für den Fall der drei Somalier von Gewicht sei und auch nur eine überschlägige Prüfung stattgefunden habe. Aber: „Das ist so nicht ganz richtig“, sagte der Gerichtspräsident.

„Das fällt dem Bundesinnenministerium jetzt auf die Füße.“

Das Verwaltungsgericht sei im Eilverfahren erst- und auch letztinstanzlich zuständig. „Das hat die Politik bewusst so geregelt, um in solchen Verfahren zu schnellen abschließenden Entscheidungen zu kommen“, erklärte Korbmacher. „Das fällt dem Bundesinnenministerium jetzt auf die Füße.“

Denn wegen des fehlenden Rechtsmittels seien die Verwaltungsgerichte verfassungsrechtlich verpflichtet, die Rechtslage intensiv durchzuprüfen. Die Berliner Richter hätten das getan. „Ein Minister muss das lesen und prüfen, ob er dann gleichwohl an seiner Auffassung festhält“, sagte Korbmacher dem „Handelsblatt“.

Dobrindt hatte am 7. Mai verfügt, an deutschen Grenzen sollten ab sofort auch Asylsuchende zurückgewiesen werden – mit Ausnahmen für vulnerable Gruppen, dazu zählten Schwangere und Kranke. An dieser Praxis hält die Bundesregierung auch nach einer Eilentscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts fest. Das Gericht hatte die Zurückweisung dreier Somalier bei einer Kontrolle am Bahnhof der Grenzstadt Frankfurt (Oder) als rechtswidrig eingestuft.

Innenexpertin: Dobrindt fehlen juristische Grundkenntnisse

Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, Irene Mihalic, hatte daraufhin beim Innenministerium nachgefragt, ob Dobrindt seine Begründung zu Zurückweisungen von Schutzsuchenden nach dieser Entscheidung verändert habe. Das Ministerium teilte ihr diese Woche in einer schriftlichen Antwort mit, es „wurde keine Begründung zur Zurückweisung von Schutzsuchenden/Asylbewerbern angepasst oder eine solche an die Bundespolizei übersandt“.

Mihalic kommentierte dies mit den Worten: „Das alles zeugt weder von Verantwortungsbereitschaft noch von juristischen Grundkenntnissen des Verfassungsministers und gelernten Soziologen Alexander Dobrindt.“

Richter bedroht nach Asyl-Entscheidung

Die Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts hatte auch für Empörung gesorgt, weil die beteiligten zwei Richterinnen und ihr Kollege diffamiert und bedroht wurden. Der Deutsche Richterbund verurteilte die Taten als ein „Angriff auf den Rechtsstaat“.

Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) reagierte ebenfalls empört: „Das ist absolut inakzeptabel.“ Sie dulde keine Einschüchterungsversuche. Zugleich äußerte sie Zweifel an der Absicht von Dobrindt, die Zurückweisung von Asylbewerbern fortzusetzen. „Wir werden sehen, ob es weitere Gerichtsentscheidungen gibt, wie diese ausfallen und welche Konsequenzen daraus möglicherweise zu ziehen sind“, sagte sie.

Seit Mai 264 Asylbewerber zurückgewiesen

Zurückweisungen an den Grenzen gibt es schon länger. Voraussetzung dafür sind stationären Grenzkontrollen. An der Grenze zu Österreich gibt es sie schon seit 2015. An anderen Grenzabschnitten wurden sie in den vergangenen Jahren schrittweise von der damaligen Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) angeordnet. Zurückgewiesen wurde bis zu Dobrindts Weisung vom 7. Mai allerdings nur, wer mit einer Einreisesperre belegt war – etwa nach einer Abschiebung – oder kein Asylgesuch vorbrachte.

Am vergangenen Mittwoch hatte Dobrindt gesagt, seit dem 7. Mai seien rund 5.000 Menschen an den Grenzen zurückgewiesen worden, darunter 264 Asylsuchende. Dass deren Anteil so gering sei, liege womöglich auch daran, dass sich herumgesprochen habe, dass ein Asylgesuch nicht mehr automatisch die Einreise ermögliche. Kritiker indes bezweifeln, dass bei so niedrigen Zahlen die Zurückweisung von Asylbewerbern die rechtliche Verhältnismäßigkeit der Maßnahme begründet werden kann. (dpa/mig) Leitartikel Politik

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