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Rettungsschiff "Sea-Eye 4" © Guillaume Duez

Schwarz-roter Haushalt

Bundesregierung streicht Hilfe für Seenotrettung im Mittelmeer

Seit Jahren retten zivile Organisationen Flüchtlinge auf dem Mittelmeer. Die Route ist eine der tödlichsten weltweit – allein 2024 starben 2.500 Menschen. Bisher hat der Bund Seenotretter mit Millionen unterstützt – doch damit soll Schluss sein, trotz eines Bundestagsbeschlusses. Die Kritik ist scharf.

Donnerstag, 26.06.2025, 12:36 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 26.06.2025, 17:59 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die Bundesregierung will die zivile Seenotrettung von Flüchtlingen im Mittelmeer finanziell nicht mehr unterstützen. In den Etatplänen von Finanzminister Lars Klingbeil sind nach Angaben des Auswärtigen Amtes keine Mittel mehr für zivile Hilfsorganisationen wie Sea-Eye, SOS Humanity, Sant’Egidio und andere vorgesehen. Dabei hatte der 2022 eine Finanzierung mit zwei Millionen Euro jährlich von 2023 bis 2026 beschlossen. Hilfsorganisationen und die Evangelische Kirche kritisierten die Entscheidung.

Außenminister Johann Wadephul (CDU) indes verteidigte am Donnerstag das Einstellen der Bundesmittel für die zivile Seenotrettung im Mittelmeer. Er halte das für richtig, sagte er in Berlin. Er habe sich bereits früher kritisch zu der Finanzierung geäußert. „Deutschland bleibt immer der Humanität verpflichtet“, sagte er. „Aber ich glaube nicht, dass es eine Aufgabe des Auswärtigen Amtes ist, für diese Form der Seenotrettung Mittel zu verwenden, insofern haben wir die Politik geändert.“

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Der Geschäftsführer der Seenotrettungsorganisation SOS Humanity, Till Rummenhohl, kritisierte, die Bundesregierung ignoriere mit ihrer Entscheidung einen Beschluss des Bundestages. Die internationale Initiative SOS Méditerranée sprach ebenso von einem fatalen Signal. Die Abkehr von „selbst dieser minimalen Form der Unterstützung“ der zivilgesellschaftlichen Seenotrettung reihe sich ein in einen besorgniserregenden Trend, humanitäre Hilfe mit politischen und administrativen Mitteln zu erschweren. Anna di Bari, Vorstandsmitglied der Initiative Sea-Eye erklärte, „damit werden zukünftig noch mehr Menschen auf dem Mittelmeer ertrinken“. Geschäftsführer Gordon Isler ergänzte: „Wir füllen seit zehn Jahren die Lücke auf dem Mittelmeer, die eigentlich von europäischen Staaten – und somit auch von Deutschland – geschlossen werden müsste.“ Nun könne es passieren, dass Sea Eye trotz Seenotfällen im Hafen bleiben müsse. Isler betont: „Der Schutz von Menschenleben und Menschenrechten darf in Deutschland nicht weniger wichtig sein als massive Investitionen in Rüstung. Das politische Signal wäre fatal.“

Kritik von den Grünen und der Kirche

Kritik kam auch von den Grünen-Abgeordneten Jamila Schäfer kritisierte die Regierungspläne scharf. Die Streichung der Gelder werde nicht zu weniger Migration führen, sondern Fluchtrouten tödlicher machen, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Seenotrettung sei kein Luxus, sondern humanitäre Pflicht. „Wir bezahlen eine Feuerwehr, um Leben an Land zu retten. Wir sollten Menschen auch auf dem Meer nicht ertrinken lassen.“

Der Flüchtlingsbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Christian Stäblein, erklärte, nun bleibe es einmal mehr Aufgabe der Zivilgesellschaft, Menschenleben zu retten, Menschlichkeit und Völkerrecht zu verteidigen. „Der staatliche Zuschuss für die zivile Seenotrettung war ein politisches Bekenntnis zur Humanität. Die Entscheidung der neuen Bundesregierung, diese rettende Hilfe einzustellen, ist das fatale Gegenteil.“

2.500 Mittelmeer-Tote allein im vergangenen Jahr

Die vom Bundestag zugewiesenen zwei Millionen Euro jährlich sollten zunächst komplett an deutsche Rettungsinitiativen gehen. Nach Kritik beschloss das Auswärtige Amt, rund ein Viertel des Geldes an die katholische Gemeinschaft Sant’Egidio für die Versorgung von Schutzsuchenden in Italien zu geben. In den Jahren 2023 und 2024 erhielten Seenotrettungsinitiativen wie SOS Humanity, Sea-Eye und SOS Méditerranée Zuschüsse. Im Oktober 2024 hatten Teile der Politik den Stopp staatlicher Hilfen an Seenotretter gefordert. Im Jahr 2023 hatte Italiens rechtspopulistische Regierung sich über die deutsche Unterstützung beschwert.

Das Mittelmeer ist eine der gefährlichsten Fluchtrouten weltweit. Seit 2014 sind bei der Überquerung nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) mehr als 32.200 Menschen ums Leben gekommen oder werden vermisst. Allein in diesem Jahr registrierte die IOM 748 Tote oder Vermisste, im letzten Jahr wurden über 2.500 Tote gezählt. Seit rund zehn Jahren engagieren sich zivile Organisationen bei der Rettung von Menschen in Seenot.

Sea-Watch: Leblose Körper treiben vor der libyschen Küste

Derweil teilte die Organisation Sea-Watch mit, dass die Besatzung ihres Aufklärungsflugzeugs am Mittwoch die Leichen von fünf Menschen gesehen habe. Die Körper trieben in internationalen Gewässern vor der libyschen Küste. Die Besatzung eines libyschen Patrouillenbootes habe die Funksprüche ignoriert. „Soweit Sea-Watch bekannt ist, wurden die Leichen nicht geborgen“, hieß es. In den vergangenen Wochen seien immer wieder Leichen von Menschen auf der Flucht an den Küsten angeschwemmt worden, erklärte die Organisation und forderte die Bergung und Identifizierung der Toten, eine staatliche Seenotrettungsmission der EU sowie sichere und legale Fluchtwege.

Seenotretter-Organisationen finanzieren sich seit der Gründung 2015 fast ausschließlich aus Spendengeldern. Mit der Förderung durch die damalige Ampel-Regierung im Jahr 2022 nahm sie erstmals staatliche Unterstützung in Anspruch. Damit konnten die gestiegenen Kosten für Treibstoff, Liegegebühren sowie Personal an Bord und an Land ausgeglichen und die Präsenz der Rettungsschiffe im Einsatzgebiet gewährleistet werden. (epd/mig) Leitartikel Politik

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