
Wer ist hier der Dreck?
Wenn „Drecksarbeit“ zur Staatsräson wird
„Drecksarbeit“ soll Israel leisten – doch wer oder was ist in diesem Bild eigentlich der „Dreck“? Genau diese Frage macht fassungslos, wütend und fordert Widerspruch.
Von Rameza Monir Sonntag, 22.06.2025, 12:08 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 22.06.2025, 12:08 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Mitten im G7-Gipfel erklärt Bundeskanzler Friedrich Merz, Israel übernehme „für uns alle die Drecksarbeit“. Eine Aussage, die mehr ist als eine diplomatische Entgleisung. Sie offenbart ein zynisches Weltbild, nach dem Motto: Früher haben wir Gewalt verschwiegen, heute feiern wir sie als Dienstleistung.
Während sich der Westen also moralisch sauber hält, wird Gewalt ausgelagert, legitimiert und sprachlich verharmlost. Doch wer die „Drecksarbeit“ macht, entscheidet auch, was als „Dreck“ gilt – und darin liegt die eigentliche Gefahr.
Auch wenn sich die CDU-Fraktion nachträglich darum bemühte, die Aussage im Kontext der Bedrohung durch ein „Terror-Regime wie das iranische Mullah-Regime“ einzuordnen, bleibt ein bitterer Beigeschmack. Denn was impliziert diese Aussage wirklich?
„Mit dieser Rhetorik wird ein hochproblematisches, entmenschlichendes Narrativ befeuert: Israel erscheint als ‚Reiniger‘ – aber was genau soll in diesem Bild eigentlich der ‚Dreck‘ sein?“
Sie suggeriert, dass Israel im Nahen Osten mit militärischer Gewalt westliche Interessen verteidigt – stellvertretend –, während sich der Westen selbst aus direkten Konflikten heraushält. Der Westen will sich nicht die Hände schmutzig machen, also lässt man Israel gewähren. Damit legitimiert man indirekt auch das Vorgehen Israels im Gazastreifen, das nach Einschätzung von UN-Organisationen und Menschenrechtsgruppen vielfach gegen das humanitäre Völkerrecht verstößt. Dazu zählen etwa die kollektive Aushungerung der Zivilbevölkerung, die gezielte Zerstörung ziviler Infrastruktur und der Einsatz unverhältnismäßiger Gewalt in dicht besiedelten Gebieten.
Mit dieser Rhetorik wird ein hochproblematisches, entmenschlichendes Narrativ befeuert: Israel erscheint als „Reiniger“ – aber was genau soll in diesem Bild eigentlich der „Dreck“ sein?
Der in diesem Zusammenhang genannte Begriff „Drecksarbeit“ folgt einer ähnlichen Logik wie der Begriff „unzivilisiert“, der bereits 2020 und 2023 hohe mediale Wellen geschlagen hat. Beide entmenschlichen und rechtfertigen Gewalt als notwendiges Übel im Dienst einer höheren Ordnung. Israel wird damit zum „Saubermacher“ und „Verteidiger der zivilisierten Welt“ stilisiert, während die Opfer dieser Gewalt, etwa in Gaza, implizit als Teil des „Schmutzes“ erscheinen. Solche Begriffe schaffen nicht nur Abstand zur Realität des Krieges – sie verschieben auch Verantwortung und Moral.
„Die wahre ‚Drecksarbeit‘ leisten jene mutigen Menschen im Iran, die sich Tag für Tag dem islamistischen Machtapparat widersetzen.“
Gerade in dieser moralisch aufgeladenen Rhetorik gehen jene unter, die tatsächliche politische Konsequenz und Solidarität verdient hätten: Viele Iranerinnen und Iraner fordern seit Jahren eine klare Haltung der Bundesregierung sowie Sanktionen gegen das iranische Regime, das mit brutaler Unterdrückung regiert. Realistisch betrachtet betrifft das aktuelle geopolitische Kalkül jedoch vor allem die 80 Millionen Menschen im Iran, die seit über vier Jahrzehnten unter der repressiven Herrschaft der Mullahs leiden.
Es sind nicht israelische Bomben oder geopolitische Stellvertreterkriege, die den Widerstand gegen dieses Regime tragen. Die wahre „Drecksarbeit“ leisten jene mutigen Menschen im Iran, die sich Tag für Tag dem islamistischen Machtapparat widersetzen – und dafür mit Repression, Folter und Tod bezahlen. Und während wir hier diskutieren, fallen Bomben genau auf diese Menschen. Meinung
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Auch wenn ich die Sentiments dieses Artikels teile, basiert er meines Erachtens auf einem Missverständnis in Bezug auf die weit verbreitete Phrase der „Drecksarbeit“: Mit dem Dreck beim „Drecksarbeit machen“ ist meistens eine Tätigkeit gemeint, bei der man „sich die Hände schmutzig macht“, also im weitesten Sinne seine Unbeflecktheit nicht mehr aufrecht erhalten kann oder kurz: sich schuldig oder angreifbar macht.
Deswegen ist die Bezugnahme auf die Menschen, das Land oder ähnliches an der Redewendung vorbei interpretiert. Man könnte anhand der Redewendung eher über den Zwiespalt oder den Widerspruch zwischen proklamierten Werten und der klammheimlichen Freude am Bruch mit solchen Werten sprechen. Das im Artikel angesprochene „Outsourcen“ ist schon treffender. Der Rest trägt eher dazu bei, den Diskurs zu verwischen.