
Grenzkontrolle
Begeht neue Regierung Asyl-Rechtsbruch an deutschen Grenzen?
Die Frage, wie Grenzkontrollen aussehen sollen, beschäftigt Politiker der Union seit Jahren. Nachdem Merz Kanzler und Dobrindt Innenminister geworden sind, steht der Praxistest an. Linkspolitikerin Bünger war vor Ort – und berichtet von Rechtsbrüchen.
Von Anne-Béatrice Clasmann und Stella Venohr Mittwoch, 07.05.2025, 17:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 07.05.2025, 17:21 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Politiker der Union haben große Erwartungen geweckt, was die Kontrolle der Migration an deutschen Grenzen betrifft. Daher wartet man bei der Polizei und in den Innenministerien der Länder nun mit Spannung auf einen entsprechenden Erlass des neuen Bundesinnenministers Alexander Dobrindt (CSU).
Was wollte Friedrich Merz vor der Wahl?
Der CDU-Vorsitzende, Friedrich Merz, hatte angekündigt, als Kanzler am ersten Tag im Amt das Innenministerium anzuweisen, alle Grenzen dauerhaft zu kontrollieren und alle illegalen Einreisen zurückzuweisen. Das gelte auch für Menschen mit Schutzanspruch. Er sagte: „Es wird ein faktisches Einreiseverbot in die Bundesrepublik Deutschland für alle geben, die nicht über gültige Einreisedokumente verfügen oder die von der europäischen Freizügigkeit Gebrauch machen.“ Die EU-Asylregeln seien dysfunktional. „Deutschland muss daher von seinem Recht auf Vorrang des nationalen Rechts Gebrauch machen“, erklärte Merz.
Im Schengen-Raum können Grenzkontrollen befristet angeordnet werden. Die frühere Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte dies für alle Landgrenzen bereits umgesetzt.
Was steht im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD?
„Wir werden in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen.“ Neue freiwillige Bundesaufnahmeprogramme, wie zuletzt das für besonders gefährdete Menschen aus Afghanistan, soll es künftig nicht mehr geben. Mindestens zwei Jahre lang soll es keinen Familiennachzug für Menschen mit eingeschränktem Schutzstatus geben.
Um Herkunftsländer von Ausreisepflichtigen zu mehr Zusammenarbeit bei der Rücknahme ihrer Staatsbürger zu bewegen, soll notfalls Druck ausgeübt werden – zum Beispiel über die Entwicklungszusammenarbeit, die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen und die Visa-Politik.
Im vergangenen Jahr hatten 229.751 Menschen erstmals in Deutschland einen Asylantrag gestellt. Das waren rund 100.000 Asylerstanträge weniger als im Jahr zuvor.
Sind Zurückweisungen neu?
Nein. Voraussetzungen für Zurückweisungen sind stationäre Grenzkontrollen. Schon jetzt werden Menschen mit Wiedereinreisesperre – etwa nach einer Abschiebung – zurückgewiesen. Das gilt auch für Menschen ohne Visum, die kein Asylgesuch äußern.
Laut der Bundespolizei überquerten im März 5.068 Menschen unerlaubt die Grenze, 2.022 weniger als im März 2024. Im Februar passierten 4.669 Menschen illegal die Grenze zu Deutschland, nach 5.998 Menschen im Vorjahresmonat. Insgesamt verzeichnete die Bundespolizei vom 1. Januar bis zum 31. März 15.131 unerlaubte Einreisen. Davon seien rund 7.606 Migranten direkt an der Grenze zurückgewiesen oder zurückgeschoben worden, hieß es.
Was hat Dobrindt angekündigt?
Der neue Bundesinnenminister Dobrindt will gleich nach seinem Amtsantritt verstärkte Zurückweisungen von Migranten und vermehrte Kontrollen an den deutschen Außengrenzen anordnen. „Die ersten Entscheidungen werden nach Amtsantritt an diesem Mittwoch getroffen. Dazu werden die Grenzkontrollen hochgefahren und die Zurückweisungen gesteigert“, sagte der CSU-Politiker am vergangenen Wochenende dem Boulevardblatt „Bild am Sonntag“.
Beobachter erwarten, dass zumindest vorübergehend mehr Bundespolizisten an die Grenze geschickt werden.
Wie ist die Lage an den Grenzen?
Clara Bünger, fluchtpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, besuchte am Mittwoch die deutsche Grenze in Frankfurt Oder, um sich ein Lagebild zu machen. Sie berichtet von massiven Rechtsverstößen: „Ich habe heute an der deutsch-polnischen Grenze mit mehreren Personen gesprochen, die Asyl beantragen wollten und dennoch von der Bundespolizei zurückgewiesen wurden“, erklärte die Linkspolitikerin. Das sei „Rechtsbruch mit Ansage“, erklärte Bünger weiter. Damit schotte sich Deutschland ab.
Die Intensivierung von Kontrollen und Zurückweisung zwinge Asylsuchende dazu, auf gefährlichere Fluchtrouten auszuweichen. „In den letzten Jahren kam es in Grenznähe bereits zu einer Häufung von Verkehrsunfällen mit Fluchtfahrzeugen, bei denen Flüchtende teils schwer verletzt wurden oder sogar tödlich verunglückten. Das wird sich noch verschärfen, wenn die neue Bundesregierung ihre Politik nicht ändert“, warnt die Linkspolitikerin.
Es gibt doch eine EU-Asylreform – greift die nicht?
Nein. Im Mai 2024 einigten sich die EU-Staaten zwar nach jahrelangen Verhandlungen auf eine gemeinsame Asylreform – bis sie greift, dauert es aber. Die nationalen Umsetzungspläne wurden Ende 2024 vorgelegt, die neuen Regeln sollen spätestens bis Juni 2026 gelten. Einige Politiker und Experten hoffen, dass dann weniger Menschen mit geringen Erfolgsaussichten nach Deutschland kommen. Strengere Verfahren an den Außengrenzen könnten abschrecken und für eine bessere Verteilung innerhalb Europas sorgen.
Was könnten Zurückweisungen politisch in der EU auslösen?
Dazu gibt es zwei unterschiedliche Einschätzungen: Manche warnen, ein deutscher Alleingang beim Zurückweisen von Schutzsuchenden könne das Vertrauen zwischen den EU-Staaten untergraben. Ein solcher Schritt – insbesondere, wenn er sich auf eine juristisch angreifbare Grundlage stützt – könnte andere Mitgliedsländer dazu bewegen, ihre Kooperation im Asylsystem einzustellen. Im schlimmsten Fall könnte die mühselig erzielte Einigung auf eine gemeinsame europäische Asylpolitik ins Rutschen geraten.
Andere Experten halten das für unwahrscheinlich. Ihrer Einschätzung nach gibt es in zahlreichen EU-Ländern ein wachsendes Interesse an einer strikteren Migrationskontrolle – auch auf politischer Ebene. Die Sorge, dass großzügige Asylstandards einzelner Staaten eine Sogwirkung entfalten könnten, wird schon länger geäußert. Statt auf Konfrontation zu setzen, könnten viele Regierungen daher sogar geneigt sein, eine härtere Linie mitzutragen, wenn sie mittelfristig zu einer stärkeren Begrenzung irregulärer Migration beiträgt. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) ist sich sicher: „Da wird es überhaupt kein Problem geben“
Geht das rechtlich überhaupt?
Die rechtliche Lage bei Zurückweisungen an der Grenze ist derzeit nicht eindeutig. Einige Experten lesen geltendes EU-Recht so, dass Zurückweisungen grundsätzlich nicht erlaubt sind. Dies hängt auch damit zusammen, dass Grenzkontrollen praktisch nicht exakt auf der Grenzlinie erfolgen, sondern oft etwas dahinter. Zudem ist eigentlich vorgesehen, dass zumindest ein kurzes Verfahren mit Befragung und erkennungsdienstlicher Behandlung durchgeführt werden muss, um festzustellen, welcher Mitgliedstaat für das Asylverfahren zuständig ist.
Allerdings eröffnet das EU-Recht unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit, von diesen Regeln abzuweichen. So erlaubt Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) Ausnahmen, wenn die öffentliche Ordnung oder nationale Sicherheit bedroht ist – eine sogenannte Notlagenklausel. Ob eine solche Notlage tatsächlich vorliegt und ob eine Berufung auf diese Klausel im konkreten Fall rechtmäßig wäre, ist allerdings offen. Die Entscheidung darüber läge letztlich beim Europäischen Gerichtshof (EuGH), der bisher sehr restriktiv mit solchen Ausnahmeregelungen umgeht. (dpa/mig) Aktuell Politik
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