Die Scherben von Baku
Weltklimakonferenz: Gerade noch die Kurve gekriegt?
Der ganz große Knall ist ausgeblieben, doch zufrieden ist in Baku nach dem Ende des Weltklimagipfels niemand. Dabei ist Klimapolitik längst auch Flüchtlingspolitik. Die Klima-Verhandlungen waren von vielen Konflikten überschattet.
Von Moritz Elliesen Montag, 25.11.2024, 10:41 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 25.11.2024, 10:46 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
Der ganz große Scherbenhaufen war es am Ende nicht, beim Weltklimagipfel in Baku. Doch einiges Porzellan dürfte bei den zähen und vor allem zum Schlussspurt chaotischen Verhandlungen doch zu Bruch gegangen sein.
Das zeigte sich im Schlussplenum in der Nacht auf Sonntag, kurz nachdem der wohl umstrittenste Beschluss mehr als 30 Stunden nach dem offiziellen Ende der Konferenz abgesegnet wurde: die Aufstockung der Klimahilfsgelder. Von einer „Beleidigung“ und einem „Witz“ sprach nur wenige Minuten nach dem Hammerschlag eine Delegierte aus Nigeria.
Scheitern schien möglich
Auf mindestens 300 Milliarden US-Dollar pro Jahr sollen die maßgeblich von Industrieländern mobilisierten Gelder für Klimaschutz und Anpassung in Entwicklungsländern bis 2035 steigen. Das ist zwar dreimal so viel wie bisher, aber aus Sicht vieler armer Länder zu wenig. Sie waren mit deutlich höheren Forderungen nach Baku gereist. Der Direktor der Denkfabrik „Powershift Africa“, Mohamed Adow, bezeichnete das Ergebnis als „Desaster“.
Auch dass die Klimahilfen in ein umfassenderes Finanzziel eingebettet sind, besänftigt Kritiker nicht. Zwar gibt es die Absicht, die Geldflüsse für Klimavorhaben in Entwicklungsländern innerhalb der nächsten zehn Jahre auf 1,3 Billionen Dollar zu erhöhen. Aber hier geht es nicht um Mittel, die von Staaten mobilisiert werden, sondern Investitionen insgesamt. Die Entwicklungsländer wollten aber genau das: mehr öffentliches Geld.
Dass die Industrieländer sich lange weigerten, überhaupt eine Summe zu nennen, dürfte das Vertrauen in die Verhandlungen nicht gestärkt haben. Schon zu Beginn der zweiten Konferenzwoche rechnete in Baku niemand mehr mit einem pünktlichen Ende. Sogar ein Scheitern schien möglich, spätestens als unter anderem die besonders vom Klimawandel gefährdeten kleinen Inselstaaten die Gespräche am Samstag vorübergehend verließen.
Die Aufteilung der Welt
Doch nicht nur über die Höhe der Summe wurde erbittert gestritten. Auch die EU hatte eine Forderung im Gepäck. Im Verbund mit weiteren Industriestaaten wollte man erreichen, dass Länder wie China oder die reichen Golfstaaten zur Klimafinanzierung beitragen.
In einer ohnehin angespannten geopolitischen Ausgangslage stand damit die Aufteilung der Welt in Industrie- und Entwicklungsländer zur Debatte, deren Logik die internationale Klimapolitik seit Jahrzehnten bestimmt. Die Wirtschaftsmacht China gilt darin noch als Entwicklungsland, ebenso wie die Öl-Staaten Saudi-Arabien oder Katar. Am Ende einigte man sich auf einen Kompromiss: Über den Umweg der multilateralen Entwicklungsbanken sollen in Zukunft auch Gelder von Ländern, die nicht zu den klassischen Gebern zählen, angerechnet werden.
Klimapolitik ist auch Flüchtlingspolitik
Dass Klimapolitik inzwischen auch Flüchtlingspolitik ist, zeigen Zahlen des Hilfswerks UNHCR. Einerseits rauben die Folgen des Klimawandels immer mehr Menschen den Lebensraum und schlagen sie in die Flucht. Andererseits sind diese Menschen auch während der Flucht verstärkt den Gefahren des Klimawandels ausgesetzt. Von den weltweit mehr als 120 Millionen Vertriebenen lebten drei Viertel in Ländern, die stark von der Erderwärmung betroffen seien, erklärte das UNHCR in Baku, Aserbaidschan.
Beschlüsse der 29. UN-Klimakonferenz
MEHR GELD FÜR KLIMAHILFEN: Die finanzielle Unterstützung für Entwicklungsländer bei der Bewältigung der Klimakrise wird deutlich aufgestockt. Bis 2035 soll die Summe von derzeit jährlich 100 Milliarden US-Dollar auf mindestens 300 Milliarden Dollar steigen. Das Geld soll in erster Linie von den reichen Industriestaaten mobilisiert werden und sowohl in die Energiewende als auch die Anpassung fließen. Das neue Finanzziel ist zwar dreimal so hoch wie bisher, aber deutlich unterhalb der Forderungen der Entwicklungsländer. Diese hatten mehr als eine Billion Dollar gefordert, mit einem hohen Anteil an Zuschüssen. Bei den nun vereinbarten 300 Milliarden Dollar handelt es sich nicht nur um öffentliche Gelder, sondern auch um dadurch mobilisiertes privates Kapital.
GLOBALES FINANZZIEL: Die maßgeblich von den Industrieländern mobilisierten Klimahilfen sind in ein umfassenderes Finanzziel eingebettet. Bis 2035 sollen die Finanzflüsse für Klimavorhaben in Entwicklungsländern auf jährlich mindestens 1,3 Billionen Dollar steigen. Dabei handelt es sich um die Summe aller Investitionen. Die Industrieländer werden dafür nicht gesondert in die Verantwortung genommen.
NEUE GEBERLÄNDER: Die EU und andere Industriestaaten wollten, dass weitere Länder mit inzwischen hohen Emissionen für Zahlungen in die Pflicht genommen werden. Dazu zählt etwa China, aber auch Golfstaaten wie Saudi-Arabien, deren Reichtum maßgeblich auf dem Export von Öl und Gas beruht. Diese Länder werden gemäß der Aufteilung der Welt im UN-System in den 1990er Jahren nach wie vor als Entwicklungsländer behandelt. Der Beschluss sieht nun einen Kompromiss vor. In Zukunft werden alle von multilateralen Entwicklungsbanken mobilisierten Gelder für Klimavorhaben angerechnet. Auch die Beiträge etwa von China sind damit berücksichtigt. Zudem können Länder, die bisher keine klassischen Geber sind, auf freiwilliger Basis ihre bilateralen Klimavorhaben anrechnen lassen. In dem Text wird betont, dass die bisherige Aufteilung davon nicht berührt wird.
KLIMASCHUTZ: Schon vor der Konferenz war absehbar, dass es in Baku beim Klimaschutz keine großen Durchbrüche geben wird, weil sich viel ums Geld drehen wird. Tatsächlich konnten sich die Staaten am Ende nicht auf weitere Schritte zur Senkung der klimaschädlichen Treibhausgase einigen. Entscheidungen dazu wurden vertagt, weil Länder wie Chile, die Malediven und die Schweiz den Beschlussentwurf zu unambitioniert fanden. Hinter den Kulissen versuchte Beobachtern zufolge vor allem Saudi-Arabien die bereits bestehende Einigung auf eine Abkehr von fossilen Brennstoffen zu verwässern. Dies gelang allerdings auch nicht.
KOHLENSTOFFMÄRKTE: Die Staaten haben sich auf Regeln für den Emissionshandel geeinigt. Im Kern geht es darum, dass Unternehmen oder Staaten den Ausstoß von Treibhausgasen durch Klimaschutzprojekte in anderen Ländern kompensieren.
SCHÄDEN UND VERLUSTE: Entwicklungsländer, die von Extremwetterereignissen wie Stürmen, Dürren oder Fluten getroffen werden, können bald auf Unterstützung hoffen. In Baku wurde der Start des Fonds für klimabedingte Schäden und Verluste verkündet. Erste Projekte können voraussichtlich kommendes Jahr finanziert werden. Der bei der Weltbank angesiedelte Fonds war bereits 2022 beschlossen worden. Die bisherigen Zusagen liegen laut Konferenz-Präsidentschaft bei mehr als 730 Millionen US-Dollar, ein Bruchteil der in Entwicklungsländern benötigten Summe.
Zudem werde bis 2040 die Zahl der Länder, die extremen klimabedingten Gefahren ausgesetzt seien, voraussichtlich von drei auf 65 steigen. Davon beherberge die große Mehrheit Flüchtlinge und Vertriebene. In den meisten Siedlungen und Lagern für Menschen auf der Flucht werde es bis 2050 voraussichtlich doppelt so viele Tage mit gefährlicher Hitze geben.
Über den Tisch gezogen
Hinter den Kulissen wurde derweil von Saudi-Arabien ein weiteres Störfeuer entzündet. Der Golfstaat versuchte laut Beobachtern die bereits beschlossene Abkehr von fossilen Brennstoffen zu verwässern, eine rote Linie für die EU. Dies wurde am Ende zwar verhindert, aber alle weiteren Beschlüsse zur Minderung klimaschädlicher Emissionen sind vertagt.
Dabei säte auch der Gastgeber, dessen Wirtschaft von Gas und Öl abhängt, gleich zu Beginn des Gipfels Zweifel an der eigenen Rolle als offener Vermittler. In seiner Rede holte der autoritär regierende Staatschef Ilham Aliyev erst zu einem Rundumschlag gegen westliche Medien und NGOs aus und bezeichnete dann Öl und Gas als ein „Geschenk Gottes“.
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) kritisierte die Konferenzleitung schließlich in einem ungewöhnlich scharfen Ton: Europa werde nicht zulassen, dass die verletzlichsten Staaten über den Tisch gezogen werden – „und das im Zweifel auch noch mit Rückendeckung der COP-Präsidentschaft“, sagte sie.
Die Scherben von Baku
Angesichts all dieser großen und kleinen Störfeuer wirkte es am Ende fast wie ein kleines Wunder, dass überhaupt noch ein Kompromiss zustande gekommen ist. Am frühen Sonntagmorgen, als das Abschlussplenum vorbei war, trat Baerbock noch einmal vor die Presse. Man habe das UN-System gemeinsam mit einem mühsamen Beschluss gestärkt – „und nicht, wie das einige hier offensichtlich auch beabsichtigt hatten, weiter geschwächt“, sagte sie.
Ein Jahr bleibt nun, um die Scherben von Baku zusammenzukehren. Dann steht im brasilianischen Belém die 30. UN-Klimakonferenz an. (epd/mig) Aktuell Panorama
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