Menschenhandel in Deutschland
Großes Dunkelfeld „schwerster Menschenrechtsverletzungen“
Das Institut für Menschenrechte hat zusammengetragen, was man über den Menschenhandel in Deutschland weiß und was Behörden und Politik dagegen tun. Bisher werden die Opfer nur unzureichend unterstützt. Eine große Baustelle ist das Aufenthaltsgesetz.
Donnerstag, 17.10.2024, 15:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 17.10.2024, 15:36 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Jeden Tag werden in Deutschland drei Fälle von Menschenhandel festgestellt. Das geht aus dem ersten umfassenden Bericht zum Menschenhandel hervor, den das Deutsche Institut für Menschenrechte am Donnerstag in Berlin vorgelegt hat. Künftig soll alle zwei Jahre überprüft werden, wie Deutschland bei der Bekämpfung dieser Verbrechen vorankommt und ob es besser als heute gelingt, Betroffene zu schützen und ihre Rechte zu gewährleisten. An diesem Freitag ist der Europäische Tag gegen Menschenhandel. Die Bundesregierung kündigte einen Nationalen Aktionsplan an.
Der „Monitor Menschenhandel in Deutschland“ offenbart aber auch, dass es trotz der erstmaligen Zusammenführung aller bekannten Informationen nicht möglich ist, das tatsächliche Ausmaß von Ausbeutung und Zwang festzustellen. Die Direktorin des Menschenrechtsinstituts, Beate Rudolf, sagte: „Viele Betroffene bleiben im Verborgenen, weil sie sich schämen, weil sie bedroht werden und weil viele Angst vor Repressalien haben.“ Das Dunkelfeld „schwerster Menschenrechtsverletzungen“ sei groß.
Dem Bericht zufolge haben die Ermittlungsbehörden im Zeitraum von 2020 bis 2022 von den Ermittlungsbehörden 3.155 Betroffene identifiziert, zwei Drittel waren weiblich, ein Drittel männlich und gut ein Viertel noch minderjährig. Im gleichen Zeitraum haben sich 3.704 Menschen an die Fachberatungsstellen gewendet, etwa für Frauen in der Prostitution oder für Arbeitsausbeutung. Nur 13 Prozent von ihnen gehörten zu denen, die laut Bundeskriminalamt Opfer von Menschenhändlern waren. In den drei Jahren, die für den Bericht ausgewertet wurden, gab es 2.021 Tatverdächtige und 509 Verurteilungen wegen Menschenhandels.
Hohe Hürden für Aufenthaltstitel
Die Berichterstattungsstelle beim Menschenrechtsinstitut überprüft auch, inwieweit Deutschland die EU-Vorgaben gegen Menschenhandel umsetzt und kommt zu dem Ergebnis, dass das nur teilweise der Fall ist. Leiterin Naile Tanis, sagte, die Lage für Menschen, die ausgebeutet werden, sei in Deutschland „sehr kompliziert“. Ob Betroffene erkannt werden, hänge davon ab, wo sie sich aufhalten oder arbeiten. Es gebe kein einheitliches Verfahren, obwohl die Europaratskonvention gegen Menschenhandel dies verlange, kritisierte Tanis. Eine Folge sei, dass die Opfer ihre Rechte häufig nicht wahrnehmen könnten oder nicht wahrnähmen.
Viele Betroffene blieben auch deshalb im Verborgenen, weil sie sich schämten, bedroht würden oder Angst hätten vor Repressalien. Bei sexueller Ausbeutung stellten Ermittler laut Bericht vor allem Betroffene aus Deutschland, Rumänien, Bulgarien, China, Ungarn, Thailand und Vietnam fest. Bei Beratungsstellen meldeten sich vornehmlich Menschen aus Nigeria und anderen westafrikanischen Staaten. Betroffene von Arbeitsausbeutung kommen demnach überwiegend aus der Ukraine, Rumänien, Georgien, Bosnien und Herzegowina sowie Bulgarien.
Besonders hoch sind in Deutschland die Hürden für einen Aufenthaltstitel. Die Betroffenen müssen mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten, um eine Duldung zu bekommen. Während 2017 noch 55 Aufenthaltstitel an Menschenhandels-Opfer erteilt wurden, waren es 2021 nur fünf. Außerdem fehlen dem Bericht zufolge Schutz-Unterkünfte, insbesondere für die Opfer von Arbeitsausbeutung. Der Bericht gibt auch Auskunft über alle Maßnahmen und Anlaufstellen gegen Menschenhandel in den Bundesländern, die es bereits gibt.
Bundesregierung kündigt Aktionsplan an
Branchen, in denen besonders häufig Menschenhandels-Fälle festgestellt werden, sind dem Bericht zufolge das Bau-, Transport- und Logistikgewerbe, die Gastronomie, die Pflege und die Landwirtschaft. Ob Betroffene überhaupt gefunden oder erkannt werden, hängt auch davon ab, wo sie arbeiten müssen, und ob Behörden oder Beratungsstellen zu ihnen einen Zugang haben. In den Jahren 2020, 2021 und 2022 meldete die Polizei bundesweit jeweils 406, 417 und 476 Fälle von Zwangsprostitution an die Staatsanwaltschaften.
Die Bundesregierung will im Frühjahr 2025 einen Aktionsplan gegen Menschenhandel verabschieden, um den Schutz der Betroffenen zu verbessern und die Strafverfolgung zu intensivieren, wie Familienministerin Lisa Paus (Grüne), Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Innenministerin Nancy Faeser (SPD) gemeinsam mitteilten. „Wir wollen die Täter zur Verantwortung ziehen, ihre Netzwerke zerschlagen und die Opfer schützen“, erklärte Faeser. (epd/dpa/mig) Leitartikel Panorama
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