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Zahlenspiele

BKA-Statistik zwischen Pass, Kriminalität und Populismus

Die Zahlen zur Kriminalität gehen durch die Decke - auch Baden-Württemberg. Innenminister Strobl begründet das unter anderem mit den hohen Flüchtlingszahlen. Experten und Interessensverbände widersprechen und warnen vor Populismus. Eine Statistik bekommt weniger Aufmerksamkeit.

Von Sonntag, 14.04.2024, 10:32 Uhr|zuletzt aktualisiert: Samstag, 13.04.2024, 15:19 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Seit Tagen kursieren Zahlen zur Kriminalität in Bund und Ländern – sie sehen so düster aus wie seit vielen Jahren nicht. Immer mehr Straftaten werden registriert. Am Donnerstag präsentierte Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl die Statistik fürs Ländle. Was sagt die Statistik über den Zusammenhang zwischen Pass und Kriminalität aus? Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Wie entwickelt sich die Kriminalität ganz konkret im Land?

Es sieht nicht rosig aus. Wie in den Vorjahren ist nicht nur das subjektive Sicherheitsgefühl der Menschen niedrig, nun steigt auch ganz objektiv die Kriminalität. In der 233-seitigen Statistik des Landes Baden-Württemberg finden sich viele rote Pfeile, die nach oben zeigen: Bei Diebstahl beträgt der Zuwachs 14 Prozent, bei Rohheitsdelikten wie Körperverletzung 8 Prozent, bei Sexualdelikten gut 2 Prozent. Auch Ladendiebstähle, Tankbetrug und Schwarzfahrdelikte haben deutlich zugenommen. Insgesamt stieg die Zahl der registrierten Straftaten im Jahr 2023 im Südwesten um mehr als 8 Prozent auf 594 657 Fälle. Zu beachten bei der Kriminalstatistik: Registriert werden lediglich Anzeigen, es geht um Verdächtige, nicht Verurteilte. Das Dunkelfeld bleibt dunkel.

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Gibt es auch gute Nachrichten?

Ja, auch wenn man in dem Bericht danach suchen muss. So stieg die Aufklärungsquote der Südwest-Polizei im vergangenen Jahr von 61,4 auf 63,5 Prozent. Die politische Kriminalität sank um 21,8 Prozent, was mit weniger Taten im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und dem Angriffskrieg Russlands erklärt wird. Auch positiv: Die Zahl der Tatverdächtigen unter 21 Jahren unter Alkoholeinfluss sank 2023 deutlich.

Wie bewertet der Innenminister die Entwicklung der Kriminalität?

Der Innenminister gibt sich auf der Pressekonferenz zunächst überraschend positiv. Baden-Württemberg sei immer noch eines der sichersten Länder der Welt, Strobl spricht vom „zweitniedrigsten Wert der Kriminalitätsbelastung seit 20 Jahren im Südwesten“ – wobei da die Pandemie-Jahre 2020 und 2021 ausgenommen sind. Auch sogenannte Verstöße gegen das Ausländerrecht wurden da herausgerechnet, also etwa Delikte wie illegale Einwanderung und der illegale Aufenthalt, die naturgemäß mit der Zuwanderung einhergehen.

Strobl betont, dass die Zahl der Delikte auf 100.000 Einwohner im Land – sie stieg im Südwesten von 4.994 auf 5.345 – immer noch deutlich unter dem Bundesdurchschnitt liegt. „Nirgends lebt es sich so sicher wie in Bayern und Baden-Württemberg“, ist der Minister überzeugt. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) warnt hingegen davor, die Zahlen herunter zu reden. „Da bleibt keine Luft für politisches Eigenlob“, kritisiert Landeschef Ralf Kusterer.

Wird die Entwicklung beschönigt?

Mit solchen Statistiken wird immer auch Politik gemacht, sie lassen sich so und so auslegen. Strobl nennt auch deutlich Bereiche, die ihm Sorgen bereiteten, etwa die steigende Zahl junger Intensivtäter oder die zunehmende Gewalt gegen Einsatzkräfte. Der Minister verweist zudem darauf, dass es sich beim Kriminalitätswachstum um einen bundesweiten Trend handelt. Das stimmt: Die Polizei registrierte bundesweit im vergangenen Jahr so viele Straftaten wie seit 2016 nicht mehr.

Was sind die Ursachen für das explosive Kriminalitätswachstum?

Als Folge nennen die Sicherheitsbehörden die Nachwirkungen der Corona-Pandemie, die hohe Inflation beziehungsweise die schlechte wirtschaftliche Lage – und die starke Einwanderung innerhalb eines kurzen Zeitraums. Das führt auch Strobl an. Die globalen Krisen wirkten sich auf die Statistik aus, sagte er. Es seien einfach zuletzt zu viele Flüchtlinge unkontrolliert ins Land gekommen, ist der CDU-Politiker überzeugt. Und: Geflüchtete würden überproportional viele Straftaten begehen.

Was sagt die Statistik zur Kriminalität von Ausländern und Asylsuchenden?

48 Prozent der Tatverdächtigen im Südwesten hatten im vergangenen Jahr keinen deutschen Pass – das sind 5 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. Aber es leben nun auch deutlich mehr Nicht-Deutsche im Land. Der SPD-Innenpolitiker Sascha Binder betont: „Baden-Württemberg hat den höchsten Anteil an ausländischen Menschen in ganz Deutschland. Die Kriminalitätsbelastung ist aber die zweitniedrigste in Deutschland.“ Laut Statistischem Landesamt lag der Anteil der ausländischen Bevölkerung Ende 2022 bei 17,8 Prozent – knapp ein Jahr später lag er bei 18,5 Prozent.

Mehr als jeder fünfte nicht-deutsche Verdächtige – die ausländerrechtlichen Verstöße nicht mitgezählt – war Asylbewerber. Bei Straftaten im öffentlichen Raum war im Jahr 2023 jeder siebte Tatverdächtige ein Geflüchteter – die Zahl stieg im vergangenen Jahr um 55 Prozent.

Was hat Migration mit Kriminalität zu tun?

Schwierige Lebensbedingungen und schlechtere Integrationschancen können Faktoren sein, die anfälliger machen für Kriminalität. Schier die große Zahl an Migranten führe dazu, dass junge Menschen nicht mehr integriert werden könnten, die Sprache nicht mehr lernten, kritisiert Strobl. Dann sei die Gefahr, dass jemand kriminell werde, höher. Traumatische Erfahrungen aus der Flucht oder Kriegsgebieten tragen ihren Teil dazu bei.

Die vergleichsweise höhere Kriminalität unter Asylbewerbern liegt laut Strobl aber auch daran, dass viele junge Männer unter den Geflüchteten seien und diese in bestimmten Bereichen immer häufiger in der Kriminalitätsstatistik auftauchten. Lebten in Deutschland auf einmal eine Million junge deutsche Männer zusätzlich in Deutschland, steige auch die Kriminalität überproportional, so der Minister. Die Lage sei zu komplex, als dass man irgendwelche monokausalen Schlüsse ziehen könnte, warnt Strobl. Aber man müsse darüber reden.

„Die Risikofaktoren für Kriminalität umfassen schwierige Lebensbedingungen sowie Gewalterfahrungen – von diesen Faktoren sind Migrantinnen und Migranten besonders häufig betroffen“, betont die Grünen-Abgeordnete Petra Häffner. „In der Debatte darf nicht der Anschein erweckt werden, Migration sei gleichbedeutend mit Kriminalität.“

Was sagen Experten und Migrantenverbände?

Der Landesverband der kommunalen Migrantenvertretungen (Laka) warnt vor einer Stigmatisierung ganzer Gruppen. „Die steigende Kriminalität ist ein Symptom tieferliegender sozialer Missstände, die angegangen werden müssen, um langfristig Kriminalität zu senken“, sagte der Vorsitzende Daniel Setzler. Der Laka warnt davor, dass die aktuell geführte Debatte, denjenigen in die Hände spielt, die Migration insgesamt verurteilen. „Es ist wichtig, sich nicht von populistischen Rhetoriken leiten zu lassen, die auf Vorurteilen und Vereinfachungen basieren“, so Setzler weiter.

„Die Frage, ob man Straftaten begeht oder nicht, hat nichts mit Staatsangehörigkeit oder dem Pass zu tun, sondern mit sozialen Lebenslagen, dem Alter und dem Geschlecht“, zitierte der Deutschlandfunk am 9. April 2024 Tobias Singelnstein, Professor für Kriminologie und Strafrecht an der Universität Frankfurt am Main.

Migranten Opfer von Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung

Eine weitere Statistik, bekam deutlich weniger Aufmerksamkeit: Zahlen der Antidiskriminierungsstelle des Landes (LADS): Wie die Stelle bereits Mitte März mittteilte, haben im vergangenen Jahr mehrere Hundert Menschen Rat bei der LADS gesucht, darunter Dutzende wegen rassistischer Diskriminierungen. 300 Menschen seien mit Anfragen auf die LADS zugekommen, teilte das baden-württembergische Sozialministerium mit. Rund 28 Prozent der Anfragen bezogen sich auf rassistische Diskriminierungen nach Vorfällen zum Beispiel in Behörden, bei der Arbeit, im Sport oder im Bildungsbereich.

Das seien nur die bekannten Zahlen, betonte das Ministerium. „Es ist davon auszugehen, dass ein großes Dunkelfeld besteht und die tatsächliche Anzahl an Diskriminierungen in Baden-Württemberg entsprechend deutlich höher ausfällt“, sagte ein Sprecher. Die meisten diskriminierten Menschen meldeten Vorfälle nicht, weil ihnen nicht bewusst sei, dass das vielleicht tagtäglich Erlebte diskriminierend und auch verboten sei. Experten zufolge fehlt oft auch das Vertrauen der Betroffenen in staatliche Institutionen, dass Beschwerden nachgegangen und Rassismus geahndet werden. (dpa/mig) Aktuell Panorama

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