Acht Polizeischüsse
Flüchtlingsrat fordert Aufklärung nach Tod von Touray aus Gambia
Mit acht Polizeischüssen aus nächster Nähe wurde der aus Gambia stammende Lamin Touray getötet. Der Flüchtlingsrat fordert mit Verweis auf Widersprüche des Polizeiberichts lückenlose Aufklärung. Erneut hätten People of Color die Polizei um Hilfe gebeten und den Tod gefunden. Ein Internet-Video zeigt den Polizeieinsatz.
Donnerstag, 04.04.2024, 15:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 04.04.2024, 15:26 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Nach tödlichen Polizeischüssen auf Lamin Touray aus Gambia im niedersächsischen Nienburg fordert der Flüchtlingsrat Niedersachsen Aufklärung. Der 46 Jahre alte Mann war am Samstag in der nordwestlich von Hannover gelegenen Stadt von Polizisten getötet worden. Behörden ermitteln gegen 14 Beamte, die an dem Einsatz beteiligt waren.
Der genaue Ablauf des Polizeieinsatzes ist derzeit noch unklar. Nach den bisherigen Erkenntnissen der Ermittler soll der Mann seine Partnerin zunächst mit einem Messer bedroht haben. Sie verständigte die Polizei. Der Mann habe dann Polizisten und einen Diensthund mit einem Messer angegriffen. Polizisten schossen auf den Mann: Acht Projektile trafen den 46-Jährigen. Er starb unmittelbar.
Video zeigt Polizeieinsatz
Nach Angaben des Flüchtlingsrats bestreitet die Freundin des Gambiers, dass er sie zuvor mit einem Messer bedroht habe. Außerdem habe sie den Mann während des Einsatzes laut dem Verein zur Kooperation bewegen wollen. Das sei ihr von der Polizei verwehrt worden. Es sei „unbegreiflich, wieso der Polizeieinsatz eskalierte und Lamin sterben musste“, so der Flüchtlingsrat, zumal die Polizei von Angehörigen Lamins darüber informiert worden sei, dass dieser sich in einem psychischen Ausnahmezustand befand.
Ein Video, das in den sozialen Netzwerken kursiert, (Triggerwarnung) zeigt, wie die Beamten aus nächster Nähe auf Lamin schießen: Zunächst fallen zwei Schüsse. Nach einer kurzen Feuerpause wird eine weitere Salve von fünf Kugeln auf Lamin abgefeuert. Nach einer erneuten Feuerpause fällt ein weiterer Schuss. Dem Flüchtlingsrat zufolge, der wiederum auf den Obduktionsbericht verweist, waren zwei dieser Schüsse – einer in die Leber und einer ins Herz – ursächlich für den Tod Lamins.
Flüchtlingsrat mit Fragenkatalog
Der Flüchtlingsrat fordert in einem Fragenkatalog die lückenlose Aufklärung. Der Menschenrechtsverein will unter anderem wissen, warum die Polizei angesichts der Psyche des Getöteten beim Einsatz keine psychologische Hilfe hinzugezogen hat, warum die Beamten den Polizeihund entleint und auf Lamin gehetzt haben oder warum acht Schüsse fallen mussten, obwohl bereits die ersten beiden Lamin getroffen haben.
„Weshalb sind immer wieder Schwarze und geflüchtete Menschen und Personen of Color von tödlicher Polizeigewalt betroffen?“, fragt der Flüchtlingsrat weiter. Mindestens fünf Menschen mit Fluchtgeschichte seien allein in den vergangenen vier Jahren in Niedersachsen im Zusammenhang mit Polizeieinsätzen gestorben: Aman Alizada im August 2019 im Landkreis Stade, Mamadou Alpha Diallo im Juni 2020 im Landkreis Emsland, Qosay K. im März 2021 in Delmenhorst und Kamal I. im Oktober 2021 im Landkreis Stade. Am Neujahrestag 2023 starb ein Schwarzer im Polizeigewahrsam in Braunschweig. Mindestens drei dieser Menschen befanden sich den Angaben zufolge zum Zeitpunkt ihrer Tötung in einem psychischen Ausnahmezustand.
Tod statt Hilfe
„In all diesen drei Fällen haben Menschen die Polizei kontaktiert, um Hilfe für ihre Freunde bzw. Angehörigen zu erhalten. Doch statt der benötigten Hilfe fanden sie den Tod“, beklagt der Flüchtlingsrat. Auch Lamin Tourays Freundin stellt fest, „statt zu helfen, haben sie ihn wie ein Tier im Wald erschossen.“
Die Ermittler hatten zunächst mitgeteilt, der Einsatz sei erfolgt, weil ein 46-jähriger Mann seine Freundin mit einem Messer bedroht habe. Trotz mehrfacher Aufforderungen zur Deeskalation habe der Mann stattdessen die Beamten und auch einen Diensthund, „der dadurch verletzt wurde“, mit einem Messer angegriffen. „Eine Polizistin wurde bei dem Einsatz der polizeilichen Schusswaffen schwer verletzt“, so die Polizei weiter. Zudem hieß es am Mittwoch in einer Antwort auf eine Anfrage der Deutschen Presse-Agentur: „Hinsichtlich der psychischen Probleme liegen keine gesicherten Erkenntnisse vor.“
Herkunft des Getöteten nicht mitgeteilt
Die Herkunft des getöteten Gambiers teilten die Ermittler nicht mit, so auch nach einem Schusswaffeneinsatz durch die Polizei im Februar in Twistringen. Ein 30-Jähriger erlitt lebensgefährliche Verletzungen und wurde mit einem Rettungshubschrauber in ein Krankenhaus geflogen.
Trotz mehrmaliger Nachfrage des MiGAZIN verweigerte die Polizei mit Verweis auf einen Erlass des niedersächsischen Innenministeriums Auskunft darüber, ob der Angeschossene einen Migrationshintergrund hat – ein ausländisch klingender Name, ausländisch gelesenes Aussehen, ausländische Staatsbürgerschaft. Laut Erlass, so die Polizei, sei „ein Sprachgebrauch, der zur Abwertung oder Diskriminierung von Minderheiten missbraucht/interpretiert/umfunktioniert werden kann“, zu vermeiden. (dpa/mig) Aktuell Panorama
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