Baden-Württemberg
Ein Ziel, zwei Wege – mehrere Ideen für ausländische Pflegekräfte
Was tun gegen den Pflegenotstand? Fachkräfte aus dem Ausland könnten zumindest einige der vielen offenen Stellen besetzen. Aber der Weg durch den Behördendschungel ist für viele zu lang. Die Politik hat ein Ziel, aber sie kann sich nicht über den Weg dahin einigen.
Donnerstag, 05.10.2023, 19:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 03.10.2023, 17:37 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Um den bereits großen und drohenden massiven weiteren Fachkräftemangel in den Gesundheits- und Pflegeberufen etwas zu bremsen, soll der Einstieg für ausländisches Personal leichter werden. Qualifikationen sollen schneller anerkannt und bürokratische Hürden abgebaut werden. Landesregierung und Opposition sind sich in Baden-Württemberg einig im Ziel, im Weg dorthin unterscheiden sie sich aber. Auch die grün-schwarze Regierung will den Zuzug erleichtern und kündigte ein Konzept für eine zentrale Stelle an. Dem SPD-Vorschlag, den die FDP als „guten Ansatz“ lobte, werden daher keine Chancen eingeräumt.
Das Problem:
In den kommenden Jahren werden sich die Engpässe in der Pflege verschärfen, weil in Baden-Württemberg die Zahl der pflegebedürftigen Menschen ebenso steigt wie der Bedarf an Pflegekräften. Um diese Menschen entsprechend den geltenden Regeln zu pflegen, bräuchte Baden-Württemberg bis 2040 rund 24.000 zusätzliche Pflegefachkräfte in Vollzeit, das sind nach einer Studie der „Initiative für eine nachhaltige und generationengerechte Pflegereform“ rund 35 Prozent mehr Pflegerinnen und Pfleger als die derzeit rund 69.000 Vollzeitkräfte (Stand 2021) im Land.
Wegen der Vielzahl ausländischer Berufs- und Universitätsabschlüsse dauert es aber häufig viele Monate, bis die Behörden wissen, welchen Abschluss sie anerkennen können und welchen nicht. Eine Arbeitsteilung unter den Bundesländern gibt es nicht. Außerdem fehlen Personal und digitale Voraussetzungen in den Behörden. Die langen Warteschlangen vor der hoffnungslos überlasteten Ausländerbehörde in Stuttgart sind symptomatisch. Nicht nur dort verhindert der Fachkräftemangel also, dass Fachkräfte in Pflegeheimen arbeiten können. „Nicht wenige Fachkräfte streben keine Anerkennung ihrer Qualifikationen an oder wandern in andere Staaten ab, in denen die Anerkennung einfacher zu erreichen ist“, warnt auch die SPD.
Der Vorschlag der SPD:
Ginge es nach den Sozialdemokraten, würde die durchschnittliche Bearbeitungsdauer eines Antrags von 12 bis 18 Monaten auf fünf Monate gesenkt. In ihrem Gesetzentwurf schlägt die SPD sogar eine Garantie dafür vor. Liegen alle Voraussetzungen vor und hat die Behörde nicht innerhalb von fünf Monaten entschieden, soll die Qualifikation automatisch anerkannt werden. Um die zuständige Behörde zu entlasten, soll es zudem eine bessere und für viele verpflichtende Beratung im Vorfeld des eigentlichen Anerkennungsverfahrens geben, die Digitalisierung soll ebenso verbessert werden wie die Übersetzungen.
„Mit diesem Gesetzentwurf würden wir Baden-Württemberg zum Land mit dem attraktivsten Anerkennungsverfahren machen“, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Florian Wahl. Die Anerkennungsverfahren in Baden-Württemberg seien noch viel zu schwerfällig und dauerten mitunter mehrere Jahre. Eine Einzelfallprüfung soll es deshalb bei Bewerbern aus Nicht-EU-Ländern mit einer hohen Anerkennungsquote nicht mehr geben. Vielmehr fordert die SPD standardisierte Verfahren. Pflegekräfte, die lediglich nicht gut genug Deutsch sprechen, sollen zudem für 18 Monate als Hilfskraft anerkannt werden. Sie können dann bereits eingesetzt werden.
Das Konzept der Landesregierung:
Auch die Regierung will den Zuzug von Gesundheits- und Pflegepersonal aus dem Ausland erleichtern. Justiz- und Sozialministerium arbeiten derzeit am Konzept für eine neue „Zentrale Stelle für die Fachkräfteeinwanderung“, einen „one-stop-shop“ mit allen wichtigen Verfahren unter einem Dach. Auch andere Bundesländer wie Hessen oder Bayern haben ähnliche spezielle Anlaufstellen geschaffen, um ausländische Pflegekräfte zu gewinnen.
Die neue Behörde im Südwesten soll mit der Bundesagentur für Arbeit, den Berufsanerkennungsstellen in den Regierungspräsidien sowie den „Welcome Centern“ des Landes zusammenarbeiten. Sie soll nach den bisherigen Plänen ausschließlich digital und telefonisch arbeiten. Der SPD-Vorschlag sei im Vergleich „hochkomplex und überbürokratisiert“, sagte Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) im Plenum.
Mit dem Thema setzt sich auch ein Runder Tisch auseinander, der sich im Sommer das erste Mal getroffen hat und sich bald erneut zusammensetzen soll. In diesem Gremium beraten neben der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG) auch die Liga der freien Wohlfahrtspflege, die Landesärztekammer, der Landespflegerat sowie Landkreis- und Städtetag, außerdem die Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit und das Regierungspräsidium Stuttgart.
Die Sicht der Branche:
Die baden-württembergischen Krankenhäuser mahnen zur Eile und begrüßen jede Idee, die Personallage in den Hospitälern, Rehakliniken und Pflegeeinrichtungen zu lindern. „Vereinfachungen und Beschleunigungen sind überfällig“, sagte BWKG-Hauptgeschäftsführer Matthias Einwag. Eine digitale Plattform für das Anerkennungsverfahren sei absolut sinnvoll. „Darüber hinaus sollte schnellstmöglich eine zentrale Anlaufstelle für ausländische Pflegefachkräfte geschaffen werden“, würdigte Einwag das Vorhaben des Landes.
Die Zentralstelle lobt auch Uta-Micaela Dürig, die Vorständin Sozialpolitik des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Baden-Württemberg, als „absolut sinnvoll und erforderlich“. Würde aber eine Beratung zur Pflicht, könne dies den Anerkennungsvorgang eher bremsen als beschleunigen. Ausländerbehörden müssten personell besser ausgestattet, Sprechzeiten flexibler werden. „Wichtig ist, den Zuzug für ausländische Fachkräfte familienfreundlich zu gestalten und den Familiennachzug im Verfahren zu berücksichtigen“, sagte Dürig. (dpa/mig) Aktuell Panorama
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