Zwischen Hetze und Vielfalt
Weltoffenheit und Hakenkreuze in Eisenhüttenstadt
Eisenhüttenstadt hat viele Brüche erlebt. Mittlerweile wird die Stahlstadt als erste sozialistische Stadt auf deutschem Boden in Reiseführern empfohlen. Ein genauerer Blick zeigt die Spaltung der Stadt zwischen rechter Hetze und dem Bemühen um Vielfalt.
Von Silke Nauschütz Mittwoch, 06.09.2023, 17:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 06.09.2023, 11:29 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
„Hütte feiert Vielfalt“ – unter diesem Motto stand Ende August das Stadtfest in Eisenhüttenstadt. Geworben wurde unter anderem mit Vereinskultur, Heimatverbundenheit, Weltoffenheit und Engagement. Nahezu unbemerkt blieben zu dieser Zeit Morddrohungen gegen eine lokalpolitisch engagierte Jugendliche auf Mauern am Platz der Jugend, Hakenkreuzschmierereien und rechte Parolen. Die 16-Jährige erstattete am Tag vor dem Stadtfest Anzeige, die Stadt zeigte die Sachbeschädigung an.
Der Staatsschutz ermittelt inzwischen, wegen Bedrohung und Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole. An drei leerstehenden Gebäuden wurden verschiedene Schmierereien vorgefunden, die strafrechtlich relevant sind, wie die Polizei am Montag mitteilte. Unter anderem seien 25 Hakenkreuze in roter und schwarzer Farbe gesprüht worden. Eine Spraydose wurde sichergestellt und auf mögliche Spuren untersucht.
Der Platz, der in den vergangenen Jahren unansehnlich wurde, befindet sich inmitten eines Neubaugebietes – nicht weit entfernt vom Ankunftszentrum der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes für Geflüchtete (ZABH). Er sollte wieder eine Funktion bekommen und wurde durch ein Projekt wiederbelebt – gefördert durch das Kulturland Brandenburg. Einwohner machten im Mai in einer konzertierten Aufräumaktion den Platz sauber. Auch die 16-Jährige engagiert sich nach Angaben der Linksjugend für die Vertretung von Jugendinteressen in der Lokalpolitik und ehrenamtlich in Projekten.
Wie stark ist die rechte Szene?
Über 50 Workshops und zahlreiche Kunstaktionen wurden mittlerweile am Platz organisiert. Die im Rahmen des Projektes gefertigten Graffiti-Kunstwerke sind nun zum Teil mit verfassungsfeindlichen Symbolen und Parolen beschmiert.
An diesem Septembermorgen sind dort wenige Menschen unterwegs. Ein Mann geht mit seinem Hund spazieren. Eine Kindergartengruppe geht über den Platz, an dessen Mauern ringsherum die Schmierereien in schwarz und rot zu erkennen sind. Wie stark ist die rechte Szene in der Stahlstadt?
AfD und SPD gleich stark
Bürgermeister Frank Balzer jedenfalls findet klare Worte: „Wir distanzieren uns ausdrücklich von diesem verfassungsfeindlichen Gedankengut. Jeglicher Extremismus darf in Eisenhüttenstadt keinen Platz haben.“ Es sei schade, dass die von den Jugendlichen, Vereinen und Kulturschaffenden gestaltete Kunst auf dem Platz mit extremistischen Symbolen und Parolen beschädigt wurde.
Der grüne Stadtverordnete Ronny Böhme übermalte an dem Tag, als die Schmiereien auf den Mauern zu lesen waren, mit Jugendlichen einen Teil davon. Er berichtet, dass durch die Erstaufnahmeeinrichtung auch Menschen mit Migrationshintergrund häufig das Stadtbild prägen. „Das wird auch immer wieder diskutiert“, weiß er. Die Fraktionen von AfD und SPD sind ihm zufolge in der Stadtverordnetenversammlung gleich stark vertreten. Es gebe viele Einwohner, die sich für ein soziales Miteinander einsetzten und auch gegen Rechtsextremismus einträten.
Es fehlt die Aufbruchstimmung
Der grüne Landtagsabgeordnete Clemens Rostock hat sein Wahlkreisbüro in der Stadt. Er berichtet von zwei Anschlägen auf das Büro, unter anderem mit Farbbeuteln. Es fehle die Aufbruchstimmung in Eisenhüttenstadt, sagt er. „Die große Politik ist zu weit weg.“ Die Menschen hätten Sorge, dass die Transformation des größten Arbeitgebers der Region – das Stahlwerk von Arcelor Mittal – nicht gelinge.
Eisenhüttenstadt wurde in der DDR als sozialistische Musterstadt auf der „grünen Wiese“ errichtet. Grund war der Bau des Eisenhüttenwerkes im Jahr 1951. Das Stahlwerk bestimmt auch weiter den Pulsschlag der Region. Das Werk von Arcelor Mittal ist heute eines der modernsten Flachstahlproduzenten in Europa und mitten im Wandel, hin zu einer Co2-freien Produktion. Manche sähen die Transformation als Bedrohung, glaubt der gebürtige Eisenhüttenstädter Clemens Rostock.
Von der Polizei nicht ernst genommen
Die bedrohte junge Frau zieht unterdessen nach den Vorgängen Konsequenzen. Sie müsse sich jetzt aus dem Ehrenamt und der Öffentlichkeit zurückziehen, ließ sie über den Jugendverband mitteilen. „Aus Angst kann ich nicht zu den öffentlichen Veranstaltungen gehen, die ich mitorganisiert habe.“ Von der Polizei fühle sie sich nach ihrer Anzeige nicht ernst genommen.
Einen Kontakt zu der 16-Jährigen und ihren Eltern habe es aktuell noch nicht gegeben, sagt Polizeisprecher Roland Kamenz. Die Stadt sei gebeten worden, alle Schmierereien an den Mauern zu entfernen. Zudem bat die Polizei Zeugen um Mithilfe und um sachdienliche Hinweise. (dpa/mig) Aktuell Panorama
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