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Landgericht Erfurt

Haftstrafen und Freisprüche nach rassistischem Angriff auf Schwarze

Fast drei Jahre nach dem rassistischen Angriff auf drei Schwarze im Erfurter Ortsteil Herrenberg sind am Montag zum Teil langjährige Haftstrafen ausgesprochen worden – es gab aber auch Freisprüche. Das Gericht fand in seiner Urteilsbegründung klare Worte. Opferstellen sind enttäuscht.

Montag, 15.05.2023, 17:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 15.05.2023, 16:11 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Im Prozess um den Überfall auf drei Männer aus Guinea am 1. August 2020 in Erfurt sind vier von sieben Angeklagten zu Haftstrafen verurteilt worden. Diese betragen zwischen zwei Jahren sowie vier Jahren und sechs Monaten. Die gemeinschaftlich begangene Körperverletzung sei eindeutig und nachweisbar aus rassistischen und menschenverachtenden Motiven begangen worden, stellte das Erfurter Landgericht am Montag in seiner Urteilsbegründung fest (AZ: 3KLs 501Js 25617/20 jug).

In das Strafmaß seien Verurteilungen aus früheren Verfahren in die Gesamtstrafe einbezogen worden, hieß es. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Angeklagten die Opfer getreten, geschlagen und beleidigt haben. Zwei der drei Opfer waren durch den Angriff schwer verletzt worden.

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Als hilfreich für die Verurteilung der Täter hätten sich DNA-Spuren sowie Video- und Audioaufnahmen erwiesen, die einer der angegriffenen Schwarzafrikaner im Verlaufe der Auseinandersetzung gemacht hatte. So seien schwerste rassistische Beleidigungen hörbar gewesen, erklärte die Kammer. Auch habe etwa einem der Angeklagten der Wurf einer Bierflasche eindeutig nachgewiesen werden können.

Täter-Opfer-Umkehr stößt Kammer sauer auf

Als Schutzbehauptung wertete das Gericht die Einlassungen der Angeklagten, die Aggression sei zunächst von den späteren Opfern ausgegangen. Die Kammer gehe davon aus, dass es die unterstellten Angriffe und Beleidigungen seitens der späteren Opfer nicht gegeben habe. Es sei „der Kammer sauer aufgestoßen, dass auf diese Weise versucht worden sei, die Opfer zu Tätern zu machen“, sagte der Vorsitzende Richter.

Eine der Haftstrafen wurde zur Bewährung ausgesetzt. Drei Angeklagte sprach das Gericht mangels eines Tatnachweises frei. In diesem Zusammenhang verbat sich die Kammer Belehrungen im Vorfeld der Urteilsfindung durch Thüringer Opferorganisationen. Erst am Freitag hatte die Organisation Ezra Haftstrafen ohne Bewährung für alle Angeklagten verlangt. Laut Kammer untergraben solche öffentlichen Forderungen nach Höhe und Art des Strafmaßes den Anspruch der Angeklagten auf ein rechtsstaatliches Verfahren.

Opferorganisation: Urteil bleibt hinter Erwartungen zurück

Nach dem Urteil zeigte sich die Ezra enttäuscht. Trotz der Anerkennung eines extrem rechten Tatmotivs und den verhangenen Haft- und Bewährungsstrafen bleibe das Urteil mit drei Freisprüchen hinter den Erwartungen zurück. „Es besteht die konkrete Gefahr, dass die fehlenden Konsequenzen für einige Täter, erneut zu einer solchen Tat ermutigen“, erklärt Theresa Lauß, Beraterin bei Ezra.

Neben der rechtlichen Aufarbeitung der Tat kommt es laut Lauß aber auch darauf an, „dass das massive Problem mit rassistischer Gewalt in Erfurt von den Verantwortlichen der Stadt endlich ernst genommen wird“. Dafür brauche es auch auf lokaler Ebene konkrete Maßnahmen. „Leider bleibt es viel zu häufig bei der Verurteilung von rassistischen Angriffen, vor allem dann, wenn sie durch Medien viel Aufmerksamkeit bekommen“, so die Ezra-Beraterin. Im vergangenen Jahr habe sich rechte und rassistische Gewalt in Erfurt fast verdoppelt. In der Landeshauptstadt komme es jede Woche zu einem rechten oder rassistischen Angriff.

Angreifer in der rechten Szene

Die Staatsanwaltschaft hatte in ihren Plädoyers Haftstrafen ohne Bewährung gefordert. Beantragt wurde von ihr Freiheitsentzug zwischen einem Jahr und sechs Monaten und vier Jahren und drei Monaten für die Angeklagten.

Die Verteidiger hatten für ihre Mandanten jeweils Freisprüche gefordert. Im Prozess hatten die Angeklagten konkrete Tatbeteiligungen jeweils abgestritten. Ein Angeklagter äußerte im Rahmen seines letzten Wortes sein Bedauern darüber, dass es zu dem Angriff gekommen sei. Was den drei Männern passiert sei, wünsche man niemandem. Eine Tatbeteiligung räumte aber auch er nicht ein. Einige der mutmaßlichen Täter sind als Mitglieder der rechten Erfurter Szene seit Jahren bekannt.

Revision gegen Urteil möglich

Der Übergriff ereignete sich im Südosten Erfurts vor dem ehemaligen Vereinsheim einer rechtsextremen Gruppierung. Zu Beginn des Prozesses waren neun Männer und eine Frau angeklagt. Gegen die Frau und zwei Männer wurden die Verfahren im Laufe der Verhandlung eingestellt.

Eine Revision gegen das Urteil beim Bundesgerichtshof ist möglich. (epd/mig) Aktuell Recht

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