Von Syrien ins Ländle

Dorf wählt Geflüchteten zum Bürgermeister

2015 floh er aus Syrien, nun wird er Rathauschef in Ostelsheim: Ryyan Alshebl möchte das schwäbische Dorf voranbringen. An Ideen mangelt es ihm nicht. Viele Bewohner finden das gut. Nach der Wahl gab es jedoch auch Hass im Internet.

Von Montag, 03.04.2023, 20:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 20.11.2023, 11:24 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Vor acht Jahren floh er vor dem Krieg in Syrien, nun wird er acht Jahre Bürgermeister einer schwäbischen Gemeinde: Ryyan Alshebl ist am Sonntag mit einer absoluten Mehrheit von 55,41 Prozent der Stimmen zum neuen Rathauschef in Ostelsheim (Kreis Calw) gewählt worden. „Wir haben Geschichte geschrieben“, sagte der gebürtige Syrer am Tag nach der Wahl. Ostelsheim mit seinen rund 2500 Einwohnern sei zum Symbol für Weltoffenheit und Toleranz geworden. „Das ist im konservativ geprägten, ländlichen Raum nicht selbstverständlich“, erklärte Alshebl am Montag. Mit der Wahl habe man das Gegenteil bewiesen.

Der 29-Jährige ist wohl der erste syrische Bürgermeister im Südwesten Deutschlands. Laut Gemeindetag Baden-Württemberg gab es bisher keinen weiteren Bewerber mit syrischen Wurzeln um ein Bürgermeisteramt. Bei der Wahl am Sonntag setzte sich Alshebl gegen die parteilosen Kandidaten Marco Strauß und Mathias Fey durch.

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Alshebl will sich für flexible Betreuungsangebote, Klimaschutz und die Förderung von Vereinen einsetzen. Im Wahlkampf suchte der gebürtige Syrer das Gespräch mit den Menschen im Dorf. Viele hier mögen Alshebl und freuen sich über seine Wahl. Die Reaktionen am Montag waren zum großen Teil positiv. Auf Facebook schrieb eine Nutzerin „Ich freue mich auf acht Jahre Ostelsheim mit dir!“

Auch Baden-Württembergs Integrationsminister Manne Lucha (Grüne) äußerte sich positiv: „Alshebls Wahl zeigt einmal mehr, dass Vielfalt ein selbstverständlicher Teil Baden-Württembergs ist.“ Der Minister betonte, er würde sich freuen, wenn die Wahl weitere Menschen mit Migrationsgeschichte ermutige, sich für politische Ämter zu bewerben.

Hasskommentare

Doch auch Hasskommentare erreichten den 29-Jährigen. Darauf reagiert Alshebl mit Unverständnis. „Es darf kein Thema sein, wo man herkommt“, sagte er. Solche Kommentare würden offenbaren, dass Teile der Gesellschaft noch nicht reif für solche Ideen sind. Längst sei er in Deutschland integriert und sozialisiert, erklärt Alshebl. Den deutschen Pass hat er ebenso. Und der 29-Jährige sagt: „Die schwäbische Kultur habe ich ins Herz geschlossen.“

Mit 21 Jahren floh Alshebl aus seiner Heimatstadt as-Suwaida im Süden von Syrien. Hier war er aufgewachsen und zur Schule gegangen. 2015 stand er wie viele Menschen im Land vor dem Dilemma, Kriegsdienst zu leisten oder das Land zu verlassen. Alshebl entschied sich für die Flucht. Diese beschreibt er als „kalt und dunkel“. Von Syrien sei er über den Libanon in die Türkei geflohen. Mit einem Schlauchboot habe er mit anderen Menschen auf die griechische Insel Lesbos übergesetzt.

Nach seiner Ankunft in Deutschland ging es für ihn über Karlsruhe nach Calw. Dort lebte Alshebl eineinhalb Jahre in verschiedenen Wohnungen und lernte Deutsch. Dann zog er nach Althengstett, wenige Kilometer entfernt von Ostelsheim. Nach einem Praktikum im Rathaus absolvierte er eine duale Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten. Seit sieben Jahren arbeitet er im Rathaus Althengstett, mittlerweile ist er angestellt und für Kita-Management und Digitalisierung zuständig. Als Bürgermeister will Alshebl nun nach Ostelsheim ziehen.

Positive Erfahrungen

Der 29-Jährige hat viele Pläne für die schwäbische Gemeinde. Neben einem flexiblen Betreuungsangebot im Kindergarten und Tagespflege für ältere Menschen ist Alshebl auch Umweltschutz wichtig. So will er sich für den Ausbau von Photovoltaikanlagen auf Privatdächern einsetzen. Auch eine moderne Infrastruktur, die Förderung von Vereinen und eine lebendige Ortsmitte stehen auf seiner Liste.

Im Wahlkampf war der gebürtige Syrer von Haus zu Haus gegangen und hatte sich und sein Wahlprogramm vorgestellt. Über 200 Häuser habe er in den Wochen vor der Wahl besucht, sagte er. „Die Erfahrungen waren überwiegend positiv.“ Doch es gebe auch einen rechten Rand in Ostelsheim, der ihn grundsätzlich nicht akzeptiere. Die laute Minderheit störe sich an seinen syrischen Wurzeln, erklärt Alshebl. Anfeindungen habe es bisher aber nicht gegeben.

„Die Bürger haben nach Qualifikation gewählt“, sagte Jürgen Fuchs (parteilos), Ostelheims amtierender Bürgermeister am Montag. Die Herkunft spiele da überhaupt keine Rolle. Er wünsche seinem Nachfolger alles Gute. Fuchs war nach zwei Amtszeiten nicht mehr als Kandidat angetreten. Alshebl selbst war als parteiunabhängig angetreten. Privat sei er aber Mitglied bei den Grünen, sagte er.

Amtsübernahme im Juni

„Ich bin in einem politischen Haus aufgewachsen“, erzählt Alshebl. Seine Eltern hätten häufig über Politik gesprochen. Schon immer wollte er Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen. „Das Amt des Bürgermeisters entspricht genau meinen Vorstellungen.“

Seit seiner Flucht hat Alshebl seine Eltern erst einmal treffen können. Bei einer Reise in den Libanon sah er sie im vergangenen Jahr wieder. „Das war mein Highlight des Jahres“, erinnert er sich. „Als sie hörten, dass ich gewählt wurde, sind meine Eltern im positiven Sinne ‚ausgerastet’„, berichtet der 29-Jährige. Sie seien sehr stolz auf ihn.

Im Juni wird Alshebl das Amt des Bürgermeisters antreten. Als erstes wolle er sich der Ganztagesbetreuung im Kindergarten widmen, kündigte er an. Bis dahin will er seine Anstellung im Rathaus Althengstett zu Ende bringen und eine Wohnung in Ostelsheim suchen. Auf die neue Aufgabe freue er sich sehr. „Diese Wahl ist der bisher wohl wichtigste Lebenseinschnitt für mich“, sagte er. (dpa/mig) Aktuell Panorama

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