„Toxische Asyldebatten“
Stiftung fordert mehr Polizeistreifen vor Flüchtlingsunterkünften
Es war ein Fanal: 30 Jahre nach den rassistischen Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen haben kürzlich in zwei deutschen Orten Flüchtlingsunterkünfte gebrannt. Hilfsorganisationen mahnen einen besseren Schutz an. Pro Asyl beklagt „toxische Asyldebatten“.
Sonntag, 06.11.2022, 19:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 07.11.2022, 5:40 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Geflüchtetenhelfer machen nach den jüngsten Brandanschlägen auf Unterkünfte geflüchteter Menschen konkrete Verbesserungsvorschläge. Die Polizei müsse vor solchen Gebäuden häufiger als bislang patrouillieren, forderte die Berliner Amadeu Antonio Stiftung im Gespräch mit dem „Evangelischen Pressedienst“. Pro Asyl verlangte ebenfalls menschenwürdige Aufnahmebedingungen für alle Schutzsuchenden.
Immer mehr Geflüchtete müssten in Lagern, Provisorien und Notquartieren leben, sagte der Europa-Referent von Pro Asyl, Karl Kopp. Er nannte diese Unterkünfte „Orte des Elends“, die „leicht zu Anschlagszielen“ würden. Hinzu kämen „sehr ressentimentgeladen“ öffentliche Debatte in den zurückliegenden Wochen. „Wir erleben toxische Asyldebatten, und die sind immer flankiert von rassistischer Gewalt und Brandanschlägen“, unterstrich er.
Stiftung: Mehr Polizei vor Flüchtlingsunterkünften
Die Amadeu Antonio Stiftung forderte nach den mutmaßlichen Brandanschlägen auf Flüchtlingseinrichtungen in Groß Strömkendorf bei Wismar und Bautzen einen besseren Schutz der Einrichtungen. Nicht nur private Sicherheitsunternehmen, sondern auch die Polizei müsse für mehr Sicherheit sorgen, sagte der geschäftsführende Vorstand der Stiftung, Timo Reinfrank.
Dies gelte insbesondere für Orte in Regionen mit einem erhöhten demokratiefeindlichen Potenzial und Gegenden, in denen Rechtsextreme oder die AfD gegen die Unterbringung von Geflüchteten mobilisierten, sagte Reinfrank: „Patrouilliert regelmäßig ein Polizeiwagen vor einer Geflüchtetenunterkunft, kann das potenzielle Täter abschrecken.“
Anschläge in Medien nur noch Randnotiz
Reinfrank beklagte zugleich eine Gewöhnung an Formen der Alltagsgewalt in Deutschland. In den Medien tauchten Angriffe nur noch als Randnotiz auf: „Dabei müssen wir uns alle deutlich positionieren.“ Demokraten dürften Angriffe auf Schutzbedürftige niemals unwidersprochen lassen. „Wer jetzt bei der aktuellen Stimmungsmache nicht widerspricht, zündelt ganz klar mit.“
Pro-Asyl-Referent Kopp sieht indes die Zivilgesellschaft als Lichtblick an. Sie sei „heute viel stärker“ als bei der ausländerfeindlichen Gewalt vor rund 30 Jahren in Rostock-Lichtenhagen, Solingen und Mölln. Der geschäftsführende Vorstand der Amadeu Antonio Stiftung beklagte allerdings, potenzielle Täter fühlten sich unantastbar und damit regelrecht ermutigt. Die Strafverfolgung flüchtlingsfeindlicher Gewalt müsse besser werden, forderte Reinfrank. In Sachsen etwa seien zwischen 2015 und 2017 nur 20 Prozent der rechten Brandanschläge aufgeklärt worden.
Täglich zwei flüchtlingsfeindliche Gewalt
Beide Organisationen sammeln öffentliche Daten über flüchtlingsfeindliche Gewalt. Im vergangenen Jahr hätten sich Tag für Tag zwei flüchtlingsfeindliche Vorfälle ereignet, so Pro Asyl unter Verweis auf Zahlen des Bundeskriminalamtes (BKA), die Dunkelziffer nicht eingerechnet. Zusammen mit Pro Asyl dokumentiert die Amadeu Antonio Stiftung seit 2015 solche Vorfälle. Bis Ende vergangenen Jahres listet diese Chronik mehr als 11.000 Vorfälle auf, davon 284 Brandanschläge und 1.981 Körperverletzungen. Mittlerweile ist die Gesamtzahl auf 12.147 angewachsen, sagte Reinfrank.
Am 19. Oktober war ein von 14 ukrainischen Geflüchteten bewohntes Hotel in Groß Strömkendorf von einem Feuer fast vollständig zerstört worden. Die Bewohner blieben unverletzt. Die Polizei geht von Brandstiftung aus und vermutet einen politischen Hintergrund. Nur neun Tage später brannte es im Bautzener „Spreehotel“, das kurz vor der Inbetriebnahme als Flüchtlingsunterkunft stand. Auch dort schließen die Ermittler einen politischen Hintergrund nicht aus. (epd/mig) Leitartikel Panorama
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