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Döner (Symbolfoto) © HutchRock @ pixabay.com (Lizenz), bearb. MiG

Kunst und Kebap

Ein Dönerladen in Osnabrück wird zur Bühne für Gedichte

Beim Mittagessen Gedichte lesen? Was mancher Poesie-Liebhaber vielleicht zu Hause am Küchentisch praktiziert, geht jetzt auch in einem Dönerrestaurant - Dank eines Experiments der Kunsthalle Osnabrück und eines Berliner Künstlerkollektivs.

Von Mittwoch, 25.08.2021, 5:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 24.08.2021, 23:14 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Ja, natürlich habe er die Sprüche auf der Holzwand gelesen, sagt Turgay Ciftci und wischt sich den Mund mit seiner Serviette ab. „Das Gold unter der dunklen Erde unterscheidet sich nicht vom Stein; dort entnommen, schmückt es das Haupt der Herrscher“. Diesen Satz mag er besonders. „Beim Essen kann ich gut darüber nachdenken“, sagt der 50-Jährige. Der selbstständige Automatenaufsteller findet sich immer in Toros Restaurant ein, wenn er in Osnabrück zu tun hat. An diesem lauen Sommerabend hat Ciftci draußen an einem der neuen Holztische Platz genommen. Der Verkehr tost über die vielbefahrene Ausfallstraße. Dass er zu Kebap, Pommes und Salat neuerdings auch Gedichtverse serviert bekommt, gefällt ihm.

Das Berliner Künstlerkollektiv Kasia Korczak und Payam Sharifi, genannt „Slavs und Tatars“, hat Servietten, Dönertüten, Bierdeckel und mobile Holzaufsteller in dem Dönerladen mit Versen aus einem türkischen Epos aus dem 11. Jahrhundert bedrucken lassen. Die Texte ähneln Lebensweisheiten: „Moschus und Wissen sind einander ähnlich, man kann sie nicht lange haben und verbergen“ steht da. Oder: „Was der Besitz bietet, das dringt durch die Kehle ein, die Seele, das wahre Wort, dringt durch das Ohr ein.“ Alle Verse sind auf Deutsch, Arabisch, Türkisch und Kurdisch geschrieben.

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„Asbildung“

„Slavs und Tatars“ haben ihr Projekt „Asbildung“ zusammen mit der Kunsthalle Osnabrück realisiert. Der Begriff setzt sich zusammen aus dem deutschen Wort „Bildung“ und dem alten kurdischen Wort „As“ für „warme Speise“, erläutert Kuratorin Anja Lückenkemper. „Die Künstler fordern uns auf, Verstand und Magen als Einheit zu betrachten, geistige und physische Nahrung zusammenzudenken.“ Die Restaurantgäste können die Verse während des Essens lesen, sich Gedanken machen, miteinander ins Gespräch kommen. Können – nicht sollen, betont die Kuratorin: „Es soll nicht aufdringlich sein, sondern nur ein Angebot.“

So versteht das auch Ciftci, der kurz telefoniert, bezahlt und dann geht – noch während ein junger Künstler seine Performance präsentiert. Stefan Tchernboc (21), ganz in schwarz gekleidet, windet sich minutenlang auf und neben der Bühne, die mitten zwischen den Tischen steht. Er wolle damit auf abergläubische Verhaltensweisen hinweisen, die in unterschiedlichen Kulturen ähnlich seien, erklärt er später.

Sehnsucht

Solche Live-Auftritte, Lesungen oder Podcasts gehören ebenfalls zum Projekt „Asbildung“. Das Thema, das alle verbindet, heißt Sehnsucht, sagt Beriya Susan (30). Die Kunststudentin hat im Auftrag der Kunsthalle das Programm kuratiert. Als Frau mit polnisch-kurdischen Wurzeln sei sie lange auf der Suche nach sich selbst gewesen, habe sich nirgendwo richtig zu Hause gefühlt. „Wenn ich als Kind die Großeltern in ihrer Heimat besucht habe, war ich nicht polnisch und nicht kurdisch genug. In Deutschland war ich nicht deutsch genug.“

Diese Gefühle teile sie mit vielen Menschen, die eine Migrationsgeschichte haben, sagt Beriya Susan. Das Kunstprojekt „Asbildung“ soll ihnen eine Bühne bieten, ihre Erfahrungen mitzuteilen und sie als Schatz zu erleben. Das Dönerrestaurant, in dem sich sonst zumeist Stammkundschaft treffe und zu günstigen Preisen esse, könne Menschen zusammenbringen, die sonst kaum je miteinander zu tun hätten.

Ein Erfolg

Auch Hiltrud Schäfer kannte Toros Restaurant bis vor kurzem nicht. Seit das Projekt vor wenigen Wochen gestartet ist, kommt die 84-Jährige Papierkünstlerin mehrmals in der Woche. Sie ist begeistert, dass die Initiatoren die Kunst zu den Menschen bringen, die üblicherweise nicht in eine Kunsthalle gehen. Auch dass die Kunst nicht im Mittelpunkt steht, die Worte der Lesenden manchmal im Verkehrslärm untergehen, findet Schäfer okay: „Man bekommt hier eine warme Speise und die Kunst quasi subkutan dazu.“

Für Restaurantinhaber und Koch Cevat Mergen (46) ist das Projekt, das noch bis zum 3. Oktober dauert, ein Erfolg. Die Stammkundschaft reagiert positiv auf das Projekt, sagt er. Es bringt ihm außerdem neue Gäste. Demnächst will sein Sohn mit seiner Band auf der Bühne auftreten, sagt er stolz und ergänzt: „Kunst ist etwas Schönes, Buntes und Nettes, das uns gerade nach dem Corona-Lockdown freier atmen lässt.“ (epd/mig) Aktuell Feuilleton

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