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Europäischer Gerichtshof (EuGH) © Court of Justice of the European Union

Europäischer Gerichtshof

EU-Staaten dürfen religiöses Schlachten ohne Betäubung verbieten

EU-Staaten dürfen das rituelle Schlachten von Tieren ohne Betäubung verbieten. Das hat der Europäische Gerichtshof in einem Fall aus Belgien entschieden. Juden und Muslime kritisieren die Entscheidung scharf.

Montag, 21.12.2020, 5:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 20.12.2020, 14:43 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

EU-Staaten dürfen laut Gericht das rituelle Schlachten von Tieren ohne Betäubung verbieten. Es verstoße nicht gegen EU-Recht, wenn nationale Vorschriften mit Blick auf den Tierschutz eine Betäubung vor dem Schlachten vorsehen und die Religionsfreiheit von jüdischen oder muslimischen Menschen damit eingeschränkt wird, urteilte am Donnerstag die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in Luxemburg. (AZ: C-336/19)

Im Streitfall hatten mehrere jüdische und muslimische Vereinigungen gegen ein Dekret der Flämischen Region in Belgien geklagt, das die Schlachtung von Tieren ohne vorherige Betäubung verbietet. Damit werde Gläubigen die Möglichkeit genommen, zum Verzehr vorgesehene Tiere nach ihren religiösen Geboten zu schlachten.

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So dürfen etwa Muslime nur Fleisch essen, welches als „halal“ – als „erlaubt“ – bezeichnet wird. Hierfür müssen die Tiere rituell geschlachtet werden, die sogenannte Schächtung. Dabei wird das Tier ohne Betäubung mit einem Schnitt in den Hals getötet.

Ausnahmen bei Jagd und Kultur

Der EuGH urteilte, dass nach der maßgeblichen EU-Verordnung rituelle Schlachtungen ohne Betäubung im Zuge der Religionsfreiheit ausnahmsweise erlaubt werden könnten. Grundsätzlich müsse aber der Tierschutz eingehalten werden. Dass ein EU-Mitgliedstaat nach seinen nationalen Vorschriften für das Schlachten von Tieren verpflichtend eine Betäubung vorschreibe, sei nicht zu beanstanden.

Eine vorherige Betäubung sei das „beste Mittel, um das Leiden des Tieres zum Zeitpunkt der Tötung zu verringern“. Fleisch von rituell geschlachteten Tieren könnten Gläubige auch aus anderen Ländern einführen, erklärte der EuGH. Der Umstand, dass nach dem flämischen Dekret keine Betäubung im Bereich der Jagd, der Fischerei oder bei kulturellen oder sportlichen Veranstaltungen vorgesehen sei, sei nicht mit der vorgeschriebenen Betäubung beim Schlachten vergleichbar. Es lägen hier ganz andere Umstände vor als bei der Tötung von Nutztieren.

Muslime und Juden kritisieren Entscheidung

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, zeigte sich erschüttert über das Urteil und sprach von einem Angriff auf die Religionsfreiheit. „Es bedeutet einen schwerwiegenden Eingriff in die durch die EU-Charta garantierte, freie Religionsausübung und ist geeignet, jüdisches Leben in Europa massiv zu gefährden“, so Schuster. Man hoffe, dass es keine Nachahmer in Europa finde und andere EU-Staaten die religiöse Schlachtung weiterhin ermöglichten.

Kritik erntete der Richterspruch auch von Muslimen. Die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs sieht in dem Urteil „bestenfalls“ einen „kläglichen Versuch, das eigene Gewissen in Sachen Tierschutz auf dem Rücken religiöser Minderheiten zu entlasten“. Das krampfhafte Festhalten an der Betäubung reduziere den Tierschutz auf den finalen Tötungsakt. Das werde der Sache weder gerecht, noch sei er glaubwürdig, „wenn Gesetzgeber und Justiz gleichzeitig der Fleischindustrie im Wettbewerb um das billigste Fleisch fernab jeder Moralvorstellung praktisch unkontrollierte Narrenfreiheit“gäben.

Tierschutzbund begrüßt Urteil

Der Deutsche Tierschutzbund begrüßte das EuGH-Urteil: Es sei gut, dass daraus hervorgehe, dass es Wege gebe, sowohl der Religionsfreiheit als auch dem Tierschutz gerecht zu werden. Oftmals werde es so dargestellt, „dass beides nicht in Einklang zu bringen ist“. In ihrem Statement verwiesen die Tierschützer auf Betäubungsarten, die bereits von vielen Muslimen akzeptiert würden.

Am 29. Mai 2018 hatte der EuGH geurteilt, dass es keinen unzulässigen Eingriff in die Religionsfreiheit darstelle, wenn EU-Staaten das Schächten nur in hierfür speziell zugelassenen Schlachthöfen erlauben. (AZ: C-426/16) Das aus solchen Schlachtungen erzeugte und für Muslime zum Verzehr erlaubte sogenannte Halal-Fleisch erfülle auch nicht „höchste Tierschutzstandards“, erklärten die Richter in einem weiteren Urteil vom 26. Februar 2019. (AZ: C-497/17) Das Fleisch dürfe daher auch nicht das europäische Bio-Logo tragen. (epd/mig) Aktuell Recht

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