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Das Landgericht Magdeburg © Yellowcard - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, Link

Nebenkläger

Halle-Attentäter soll nie wieder auf freien Fuß

Im Halle-Prozess haben Nebenklagevertreter plädiert. Dabei gab eine Anwältin den Eltern des Angeklagten eine moralische Mitverantwortung. Ein Anwalt sagte, Stephan B. habe jede Menschlichkeit abgelegt. Andere fordern, dass der Angeklagte nie wieder auf freien Fuß gesetzt wird.

Donnerstag, 03.12.2020, 5:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 02.12.2020, 17:43 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Der Prozess gegen den Synagogen-Attentäter Stephan B. nähert sich dem Ende. Nachdem am Dienstag neun Nebenklagevertreter plädiert hatten, hielten am Mittwoch vier weitere Anwälte ihre Schlussvorträge. Nebenanklage-Anwältin Assia Lewin kritisierte das Schweigen, Wegsehen und das „Unter-den-Teppich-kehren“ der Familie des Angeklagten. „Die Eltern tragen eine große moralische Verantwortung“, betonte die Anwältin und sprach von einer feigen und verachtenswerten Tat. An den Angeklagten gerichtet sagte sie: „Niemand wird sich an Sie erinnern, erinnern wird man an das rechtsstaatliche Verfahren in Deutschland.“

Der seit Juli laufende Prozess vor dem Oberlandesgericht Naumburg findet aus Sicherheits- und Platzgründen im Landgericht Magdeburg statt. Insgesamt gibt es 43 Nebenkläger, die von 21 Anwälten vertreten werden. Die Nebenklagevertreter schlossen sich weitgehend der Bundesanwaltschaft an und forderten eine lebenslange Freiheitsstrafe und anschließende Sicherheitsverwahrung für den Rechtsterroristen. Die Bundesanwaltschaft sieht bei B. eine besondere Schwere der Schuld und hält ihn für voll schuldfähig.

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Schlimmstes antisemitisches Verbrechen der Nachkriegszeit

Der Nebenklagevertreter Juri Goldstein sprach von einem der schlimmsten antisemitischen Verbrechen der Nachkriegszeit. Der Attentäter sei aus blankem Hass auf Menschen zur Synagoge gefahren. Seine Absicht, mehr als 50 Menschen zu töten – Mütter, Väter, Erwachsene und Kinder -, sei „an Abscheulichkeit nicht zu überbieten“. Der Mörder habe eins erreicht: dass das Thema Antisemitismus erneut in den Mittelpunkt gerückt sei, sagte Goldstein.

Anwalt Florian Feige, der ein bei dem Anschlagsgeschehen schwer verletztes Paar aus Wiedersdorf bei Halle vertritt, von dem der Täter ein Fluchtauto erpressen wollte, betonte, B. habe mit den Schüssen den Tod der beiden in Kauf genommen. Er habe ein Fluchtauto gewollt, das Leben der beiden Menschen sei ihm schlichtweg egal gewesen. Die Tat werde zwar nicht vergessen werden, aber nicht wie es sich B. vorgestellt habe, sagte Feige. Er werde als „namenloses Irrlicht“ in Erinnerung beiben.

Nebenkläger fordern lebenslänglich

Der Anwalt sprach in diesem Zusammenhang von einem „Dorfdeppenphänomen“: Das Problem sei, dass sich vereinzelte Dorfdeppen, Anhänger von Verschwörungserzählungen, heute über das Internet vernetzen und bestärken könnten. Dabei sei auch B. geistig verarmt und habe jede Menschlichkeit abgelegt. Er bat den Angeklagten, nicht mehr das letzte Wort zu ergreifen. Dies sei zwar sein Recht, aber keine Pflicht. „Bitte verschonen Sie uns mit Ihrer zerebralen Diarrhoe“, so der Anwalt.

Bereits am Dienstag hatte der Anwalt der Mutter des erschossenen 20-jährigen Kevin S. darum gebeten, die gesetzlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, damit B. nie wieder in Freiheit komme. Der Attentäter habe Kevin S. in dem Döner-Imbiss kaltblütig erschossen und der Mutter auf „ekelhafteste und perverseste Weise ihr Kind genommen“. Auch der Anwalt des Vaters von Kevin S., Erkan Görgülü, forderte in seinem Plädoyer, den Attentäter nie wieder auf freien Fuß zu lassen. Stephan B. habe Kevin S. qualvoll hingerichtet: „Dieser Mann ist gefährlich, er war es, er ist es und er macht keinen Hehl daraus.“

Dank an das Gericht

Der Anwalt des Döner-Imbiss-Besitzers Ismet Tekin will anders als in der Anklageschrift einen weiteren Mordversuch gewertet wissen. Tekin war während des Anschlags zu seinem Imbiss zurückgegangen, wo B. auf offener Straße auf ihn geschossen hatte. Zugleich dankte Rechtsanwalt Onur Özata dem Gericht, Hass und Häme nicht geduldet und den Opfern im Prozess einen würdigen Rahmen gegeben zu haben. Tekin selbst ergriff auch das Wort und schloss sich seinem Anwalt an.

Die Anwältin eines Somaliers, der von B. angefahren wurde, forderte, diesen Tatvorwurf statt als gefährliche Körperverletzung als rassistischen Mordversuch zu werten. B. habe nicht gebremst, nicht gehupt, sei nicht ausgewichen. Die Anwältin verwies in diesem Zusammenhang auch auf jüngste gerichtliche „Raser-Entscheidungen“ mit lebenslangen Freiheitsstrafen.

„Kein isolierter Einzeltäter“

Eine weitere Anwältin verwies darauf, dass sich der Synagogen-Attentäter in einem bestimmten Umfeld radikalisiert habe und darum kein isolierter Einzeltäter sei. Rechtsanwältin Kati Lang beklagte, dass die von B. vor der Synagoge ermordete Passantin Jana L. im Prozess gesichtslos geblieben sei und zu wenig über ihre Identität gesprochen wurde.

Stephan B. hatte am 9. Oktober 2019 aus einer antisemitischen und rassistischen Motivation heraus versucht, in die Synagoge in Halle einzudringen, um dort ein Blutbad anzurichten. Zu dem Zeitpunkt hielten sich 51 Menschen in der Synagoge auf, um gemeinsam den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur zu feiern. B. scheiterte an der Tür zum Synagogen-Gelände, erschoss dann die 40-Jährige Jana L. auf der Straße und den 20-jährigen Kevin S. in einem Döner-Imbiss und verletzte weitere Menschen. Er ist unter anderem wegen zweifachen Mordes, versuchten Mordes in mehreren Fällen sowie weiterer Straftaten wie Volksverhetzung und Körperverletzung angeklagt. Ein Urteil wird für den 21. Dezember erwartet. (epd/mig) Aktuell Panorama

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