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Christine Buchholz, religionspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag © Laurent Hoffmann

Interview mit Christine Buchholz

„Kritik darf kein Vorwand sein, um Religionsgemeinschaften ihre Rechte abzusprechen“

Die Frage nach der Zusammenarbeit des Staates mit islamischen Religionsgemeinschaften spaltet die Politik - und auch Linkspartei. Christine Buchholz erklärt im Gespräch, welche Bringschuld beide Seiten haben.

Von Dienstag, 01.09.2020, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 31.08.2020, 12:26 Uhr Lesedauer: 14 Minuten  |  

Die einen warnen vor zunehmenden antimuslimischen Rassismus, die anderen vor muslimischen Extremisten: Der unterschiedliche Blick auf Muslime in Deutschland spaltet die Gesellschaft. Und auch Die Linke. Während einige in der Partei faschistische Tendenzen unter organisierten Muslimen beklagen, sieht die religionspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Christine Buchholz, islamische Organisationen weiterhin als wichtigen Bündnispartner. Ein Gespräch über anti-muslimischen Rassismus, Islamismus und die Frage, ob Linke mit islamischen Organisationen zusammenarbeiten sollten.

Gerade lagen die Anschläge von Hanau genau ein halbes Jahr zurück. Politiker versprachen damals, Muslime und andere marginalisierte Gruppen besser schützen zu wollen. Haben Sie den Eindruck, dass sich deren Situation in den letzten Monaten verbessert hat?

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Christine Buchholz: Was den Schutz angeht: leider nein. Bei der Anzahl an Straftaten hat sich, soweit wir es wissen, nichts verbessert. Im ersten Quartal des Jahres gab es weiterhin Übergriffe und Drohungen gegenüber Muslimen, Moscheen und Religionsvertreter. Die jüngsten Zahlen sind noch nicht draußen aber wir wissen aus Gesprächen, dass sich an der Situation grundsätzlich nichts geändert hat. Auch Razzien gegen migrantische Cafés und Racial Profiling durch Polizisten gehen nach wie vor weiter.

Überrascht Sie, dass sich so wenig getan hat?

„Die Tat in Hanau war ein Terrorangriff, der in ganzer Linie rassistisch, antimuslimisch und antisemitisch motiviert war. Trotzdem ordnet die Bundesregierung ihn nicht unter antimuslimischen Straftaten ein. Das ist auch ein Zeichen dafür, dass das Verständnis für anti-muslimischen Rassismus nicht ausreichend ist.“

Nein, mich wundert das nicht. Schon nach den Taten von Halle und Christchurch war klar, dass es weitere Terrorattacken gegen Muslime geben kann. Trotzdem sah die Bundesregierung keinen Handlungsbedarf, was die Sicherung angeht. Das ist eine Haltung, die sie schon immer an den Tag legt. Daran hat sich nichts geändert. Was ich auch bemerkenswert finde: Die Tat in Hanau war ein Terrorangriff, der in ganzer Linie rassistisch, antimuslimisch und antisemitisch motiviert war. Trotzdem ordnet die Bundesregierung ihn nicht unter antimuslimischen Straftaten ein. Das ist auch ein Zeichen dafür, dass das Verständnis für anti-muslimischen Rassismus nicht ausreichend ist.

Sie haben Razzien gegen arabische Cafés und Racial Profiling angesprochen. Wie äußert sich Rassismus gegenüber Muslimen noch?

Die Praxis von antimuslimischen Rassismus findet auf mehreren Ebenen statt: Es gibt blanke Gewalt, es gibt aber auch institutionellen Rassismus. Davon erfahren wir meist von Betroffenen selbst, aber auch über die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Dazu gehört, dass Muslime wegen ihres Glaubens weniger Chancen auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt haben oder Probleme haben im Umgang mit Behörden und in der Polizei. Außerdem geht es um fehlende Gleichberechtigung von Muslimen, beispielsweise was die Anerkennung von islamischen Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts angeht.

Sehen Sie eine Wechselwirkung zwischen dieser strukturellen Diskriminierung und rassistischen Attentaten wie in Hanau?

Ja, auf jeden Fall. Die Diskriminierung wirkt in den Augen des Täters als Legitimation seiner Taten: Offensichtlich muss es mit den Muslimen ein Problem geben, sonst würden sie ja gleichberechtigt werden.

In letzter Zeit bestimmten weniger Rechtsextremisten, die sich gegen Muslime richten, die Berichterstattung. Stattdessen war in Medien häufig von der Gefahr von Islamisten und Extremisten unter organisierten Muslimen die Rede. Wie groß schätzen Sie das Problem ein?“

Dazu muss ich erst einmal sagen, dass ich den Begriff Extremismus für extrem problematisch halte, weil er einfach sehr unscharf ist. Die Frage ist: Worüber reden wir? Auch unter Muslimen, die jetzt als extremistisch bezeichnet werden, gibt es unterschiedliche Strömungen: Sind es religiöse Fundamentalisten? Sind es politische Kräfte mit klerikal-islamischen Einstellungen? Sind diese rein religiöse Strömungen oder nicht? Wir als Linke kennen das Problem: Die Extremismusdebatte wird geführt, um von der größten Gefahr für Muslime, Linke und die gesamte Gesellschaft abzulenken: der extremen Rechten.

Der Verfassungsschutz sieht das anders und berichtet beispielsweise von Islamisten in den Reihen des Zentralrats der Muslime.

„Da gibt es natürlich auch eine politische Agenda mit der auch ein Verfassungsschutz agiert. Es ist ja kein Zufall, dass im aktuellen Verfassungsschutzbericht einmal das Wort Islamfeindlichkeit und 137 mal das Wort Islamismus auftaucht.“

Der Verfassungsschutz ist für Linke keine Quelle, auf die man sich berufen sollte. Der Verfassungsschutz hat beispielsweise in den letzten Jahren die Definition dessen, was als Gefährder bezeichnet wird, ausgeweitet. Da gibt es natürlich auch eine politische Agenda mit der auch ein Verfassungsschutz agiert. Es ist ja kein Zufall, dass im aktuellen Verfassungsschutzbericht einmal das Wort Islamfeindlichkeit und 137 mal das Wort Islamismus auftaucht.

Also sehen Sie keine Probleme in islamischen Organisationen?

Nein, das soll das nicht heißen. Wie alle anderen Religionsgemeinschaften auch, sind islamische Religionsgemeinschaften sehr heterogen, teilen sich in viele unterschiedliche Strömungen. Es gibt religiös Konservative, es gibt Liberale, Linke und Reaktionäre – wie im Christentum übrigens auch, Stichwort: Piusbruderschaft. Deswegen muss man, wenn man einen Vorwurf erhebt, ihn immer konkret benennen und begründen, anstatt einen Generalverdacht zu erheben.

Ein konkret erhobener und begründeter Vorwurf ist zum Beispiel, dass der Moscheeverband Atib den türkisch-nationalistischen „Grauen Wölfen“ nahesteht.

Atib hat sich aus einer ultranationalistischen politischen Tradition abgespalten, die ich wie Die Linke insgesamt ablehne. Trotzdem ist Atib eine Religionsgemeinschaft, die heterogen ist, und keine faschistische Organisation. Das heißt, ich kann die politische Tradition, aus der Atib kommt, einerseits kritisieren und trotzdem einen Generalverdacht gegenüber allen Moscheen, die Atib zugeordnet sind und den Leuten, die dort beten, für falsch halten.

Die Frage ist auch: Wie gehen wir mit den konkreten Vorwürfen um? Es gab zum Beispiel einen kriegsverherlichenden Tweet von dem stellvertretenden Vorsitzenden des ZMD Mehmet Çelebi zum Angriff der Türkei auf Afrin. Wir haben in einem Gespräch mit Vertreterinnen und Vertretern des Zentralrats der Muslime festgestellt, dass es auch im Zentralrat eine scharfe Kritik an dieser Äußerung gibt. Das bedeutet: Kritik muss immer konkret sein und darf nicht ein Vorwand sein, um einer Religionsgemeinschaft pauschal ihre Rechte abzusprechen.

Einige behaupten, dass ATIB den Zentralrat der Muslime präge. Das stimmt nicht und das weiß auch jeder, der mit der Struktur des ZMD und den konkreten Akteuren auseinandersetzt.

Sie sagen selbst, dass die Szene der organisierten Muslime sehr heterogen ist. Wieso kann man sich als Staat oder auch als LINKE unter den vielen islamischen Organisationen nicht jene als Partner heraussuchen, die die eigenen Werte teilen?

„Was hier auch dazugehört ist, dass es sich beim Islam und beim Judentum um Minderheiten-Religionen handelt. Man kann die Frage weder losgelöst von den Privilegien der christlichen Kirchen betrachten, noch vom gesellschaftlichen Kontext, in dem es antimuslimische und antisemitische Klischees und Vorurteile gibt. Gerade wir als Linke müssen Minderheiten immer gegen rassistische Angriffe verteidigen.“

Religionsfreiheit gilt nun mal nicht nur für diejenigen, die meine Werte oder politischen Ansichten teilen. Ich verteidige Religionsfreiheit grundsätzlich. Das gilt bei allen anderen auch so: Auch in den christlichen Kirchen gibt es reaktionäre Vorstellungen, trotzdem spreche ich mit Vertretern der christlichen Kirchen. Religionsgemeinschaften haben das Recht, vom Staat gleichberechtigt behandelt zu werden. Gleichzeitig müssen wir uns an konkreten Punkten auch mit Fragen auseinandersetzen, die wir anders sehen.

Was hier auch dazugehört ist, dass es sich beim Islam und beim Judentum um Minderheiten-Religionen handelt. Man kann die Frage weder losgelöst von den Privilegien der christlichen Kirchen betrachten, noch vom gesellschaftlichen Kontext, in dem es antimuslimische und antisemitische Klischees und Vorurteile gibt. Gerade wir als Linke müssen Minderheiten immer gegen rassistische Angriffe verteidigen.

Einige in Ihrer Partei fordern die Zusammenarbeit mit dem Zentralrat der Muslime zu beenden. Sie würden das also nicht unterstützen?

Selbstverständlich muss man mit ihm zusammenarbeiten. Wir haben zum Beispiel eine lange Kooperation im Kampf gegen Rechts mit dem Zentralrat der Muslime.

Vor zwei Jahren war Bodo Ramelow mit der Union progressiver Juden, dem Zentralrat der Muslime und 25 jüdischen und muslimischen Jugendlichen zum Beispiel in Auschwitz und hat ein Zeichen des gemeinsamen Kampfes gegen Antisemitismus gesetzt. Aiman Mazyek, Vorsitzender des ZMD, sprach auf der großen Kundgebung vom Bündnis Unteilbar. Wenn wir gegen Rassismus und seine unterschiedlichen Formen aufstehen, dann ist unser Anspruch auch immer, die von Rassismus Betroffenen mit dabeizuhaben und ihnen eine Stimme zu geben. Deswegen halte ich sowohl für den Staat als auch für die Linke ein Kontaktverbot oder eine Beendigung der Zusammenarbeit problematisch.

Konkret wurde die Kritik auch im Fall von Nurhan Soykan. Die stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats sollte eigentlich Beraterin des Auswärtigen Amts werden. Nach Islamismus- und Antisemitismus-Vorwürfen wurde das Projekt pausiert. Wie haben Sie diese Debatte wahrgenommen?

Ich fand, die Debatte zeigte, wie irre schnell Etiketten verteilt werden. Ganz vorn mit dabei bei den Angriffen war Beatrix von Storch, die von einem „regierungsamtlichen Kotau vor dem Islam“ twitterte und Nurhan Soykan als Islamisten und Antisemitin bezeichnete. Dann gab es Anton Friesen, AfD-Abgeordneter aus Thüringen, der eine Petition zu ihrer Abberufung startete. Als das Programm auf Eis gelegt wurde, twitterte er: „Die muslimische Antisemiten Soykan ist abberufen worden, wie von mir gefordert.“

Das zeigt deutlich, dass in dem gesellschaftlichen Klima, das wir es jetzt haben, solche Debatten nicht losgelöst von den eigentlichen Angriffen auf Muslimen stattfinden. Die Vorstellung ist: Muslime würde hier quasi die Macht übernehmen und Merkel macht ihnen dabei noch die Tür auf. Außerdem wurden Nurhan Soykan daffamierende Unterstellungen gemacht, die einfach frei erfunden sind. Sie ist nicht bei ATIB, für ihren angeblichen Antisemitismus und die Leugnung des Genozids an den Armeniern wurden keine Belege angeführt. Trotzdem werden die Unterstellungen weitergetragen. Das geht nicht.

Kritik gab es aber nicht nur aus der AfD, sondern auch aus Ihrer Partei. Warum ist sich die Linke im Umgang mit muslimischen Vertretern so uneins?

„Nicht alle Religionsgemeinschaften werden auch als solche anerkannt. Abhängigkeiten vom Ausland bleiben dann weiter bestehen, wenn es keine Möglichkeit gibt, hier dieselben Rechte wahrzunehmen wie andere Religionsgemeinschaften. Und das ist ein Problem, das auch mit Diskriminierung und Rassismus zu tun hat.“

Wir sind uns beispielsweise schon einig, dass die Tradition, aus der zum Beispiel Atib kommt, problematisch ist. Wir fordern gemeinsam gleiche Rechte für alle Religionsgemeinschaften. Der Blickwinkel ist nur manchmal ein anderer. Mein Fokus ist es, sich mit der Frage von Rassismus und der Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen, das heißt auch dem der Religionsgemeinschaften auseinanderzusetzen.

Sie sprechen immer von Religionsgemeinschaften. Rechtlich gesehen handelt sich bei kaum einem islamischen Verband in Deutschland um solch eine. Warum bezeichnen Sie sie dennoch so?

Weil es ihr eigener Anspruch und ihre eigene Definition ist. Das ist ja auch das Problem, was wir in Deutschland haben: Nicht alle Religionsgemeinschaften werden auch als solche anerkannt. Abhängigkeiten vom Ausland bleiben dann weiter bestehen, wenn es keine Möglichkeit gibt, hier dieselben Rechte wahrzunehmen wie andere Religionsgemeinschaften. Und das ist ein Problem, das auch mit Diskriminierung und Rassismus zu tun hat.

Sie sagen, der Umgang mit diesen Organisationen sollte sich an der Verwirklichung von demokratischen Grundrechten orientieren. Kritiker werfen hier ein: Deren wahres Ziel sei vielmehr die Umformung der Gesellschaft nach islamischen Normen, die womöglich nicht viel mit Demokratie und Grundrechten zu tun haben. Diese Debatte wird vor allem unter der Überschrift „politischen Islam“ geführt. Wie groß schätzen Sie dessen Gefahr ein?

Ich glaube, dass die Gefahr, die wir momentan haben, nicht die der Islamisierung des Abendlandes oder der Machtübernahme des Islams ist. Die Gefahr, die wir hier haben, ist der Ausbreitung einer Partei, der AfD, die sich zunehmend auch offen als faschistische Partei geriet und die den antimuslimischen Rassismus zwar nicht erfunden hat, aber doch einen gewaltigen Anteil an ihm hat.

„Mich erinnert die Diskussion auch an Vorwürfe, die es immer wieder in der Geschichte des Antisemitismus gab. Da wurde auch Juden unterstellt, sie würden mit Lug und Trug ihre Weltherrschaftsambitionen verschleiern. Deswegen finde ich es wichtig, da immer genau zu gucken.“

Mich erinnert die Diskussion auch an Vorwürfe, die es immer wieder in der Geschichte des Antisemitismus gab. Da wurde auch Juden unterstellt, sie würden mit Lug und Trug ihre Weltherrschaftsambitionen verschleiern. Deswegen finde ich es wichtig, da immer genau zu gucken: Was hat jemand gesagt? Wie hat er sich positioniert? Und finde ich einen Punkt, den ich tatsächlich kritisiere oder ablehne? Oder ist es eher eine Unterstellung?

Nun gibt es auch viele muslimische Stimmen, die vor dieser Gefahr warnen. Sind das auch Rassisten?

Das kann man nicht pauschal sagen. Ich glaube, dass es Leute gibt, die durchaus auch eigene negative persönliche Erfahrungen mit Religion haben. Diese Erfahrungen sind real.

Aber man muss schon gucken, mit wem man sich in der gesellschaftlichen und politischen Debatte gemein macht. Wenn beispielsweise Seyran Ateş bei der FPÖ auf dem Podium sitzt, dann ist das natürlich ein Problem. Oder wenn Necla Kelek Sarrazins Buch vorstellt, dann halte ich das für ein Problem. Natürlich gibt es auch eine innermuslimische Debatte. Es gibt in jeder Religion Widersprüche, unterschiedliche Strömungen und Debatten. Eine Religion entwickelt sich auch weiter anhand der gesellschaftlichen Realitäten, in der sie existiert.

Wozu braucht es eigentlich staatliche Zusammenarbeit mit islamischen Verbänden. Reicht es nicht, wenn die sich um ihre Moscheevereine kümmern?

„Es ist ja auch so, dass die islamischen Religionsgemeinschaften ganz real zivilgesellschaftliche Aufgaben übernehmen und sich in Debatten einbringen. Wenn man sie aus den Diskursen und den Möglichkeiten der Mitgestaltung ausschließt und ihnen ihre Rechte nimmt, dann ist das Diskriminierung.“

Weil der Staat auch mit den übergeordneten Verbänden anderer Religionsgemeinschaften zusammenarbeitet und diese beteiligt werden müssen, wenn religiöse Vielfalt gestaltet wird. Sie sind Ansprechpartner, weil es die einzelnen Moscheen gar nicht die Möglichkeiten und Ressourcen dazu haben. Ich finde, auch wenn man Integration und Engagement fordert, dann muss man auch den Vertretern von unterschiedlichen Gruppen auch ein Mitspracherecht geben.

Es ist ja auch so, dass die islamischen Religionsgemeinschaften ganz real zivilgesellschaftliche Aufgaben übernehmen und sich in Debatten einbringen. Wenn man sie aus den Diskursen und den Möglichkeiten der Mitgestaltung ausschließt und ihnen ihre Rechte nimmt, dann ist das Diskriminierung.

Bei der Zusammenarbeit zwischen Staat und islamischen Vertretern geht es in den letzten Jahren nicht mehr so richtig voran. Vor einigen Jahren noch stand die Anerkennung von Religionsgemeinschaften auf dem Programm, es wurde über Imamausbildung und Islamunterricht diskutiert. In letzter Zeit liegt das eher auf Eis. Woran liegt das?

Ich glaube, das steht schon im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Stimmung und mit den Debatten, die angestoßen wurden. Angefangen bei Sarrazins Thesen, die dann auch im bürgerlichen Lager rezipiert wurden und schließlich von der AfD aufgegriffen und verstärkt wurden. Das hat dazu geführt, dass viele wichtige positive Ansätze infrage gestellt oder zunichte gemacht wurden.

Es gibt auch Erfahrungen, wo Kooperationen durchaus dazu geführt hat, dass sich etwas verändert in den Verbänden und Gemeinden. Es ist ja immer ein sehr monolithisches Bild vom Islam, aber es gibt da auch Bewegung, Widersprüche und Konflikte, aus denen sich Dinge entwickeln können.

Sehen Sie auch Versäumnisse auf islamischer Seite?

Ja, klar, es gibt sicher Kritikpunkte und Unzulänglichkeiten. Wenn wir uns zum Beispiel an die Spitzelaffäre bei Ditib erinnern. Aber trotzdem gibt es eine Bringschuld des Staates oder der Mehrheitsgesellschaft: Nämlich Muslimen gleiche Rechte zu gewähren, wie sie Mitglieder anderer Religionsgemeinschaften haben. Und wenn das nicht geschieht und stattdessen mit Vorurteilen und falschen Anschuldigungen gearbeitet wird, ist das natürlich bitter.

Nun reden wir die ganze Zeit über Probleme. Fallen Ihnen zum Abschluss noch ein paar positive Entwicklung im Umgang mit Muslimen in letzter Zeit ein?

Es hat in den letzten Jahren eine wachsende antirassistische und antifaschistische Bewegung gegeben, in der anti-muslimischer Rassismus immer stärker als Thema wird. Muslime werden auch immer mehr als Teil dieser Bewegung angesehen und sehen sich selbst als Teil davon. Mein Eindruck ist auch – und der wird auch gestützt von Studien -, dass es in der jüngeren Generation weniger Vorbehalte gegenüber Muslimen gibt.

Positiv ist auch, dass nach langem Druck seit 2017 Islamfeindlichkeit überhaupt als Kategorie bei der Erfassung von Straftaten aufgeführt wird. Wir haben gerade eine Große Anfrage zum Thema antimuslimischer Rassismus in Deutschland gemacht, wo die Bundesregierung konstatiert, dass das ein Problem ist. Nur müssen den Worten eben auch Taten folgen. Deshalb dürfen wir nicht unter Applaus von AfD und anderen Debatten hochziehen, die Muslime zum Problem erklären, und vom größten Problem, das was wir hier in Deutschland haben, nämlich dem Rassismus und dem Auftrieb für eine faschistische Rechte, ablenken. Aktuell Interview Politik

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