Rohingya in Bangladesch
Bedrückende Gegenwart, ungewisse Zukunft
Vor drei Jahren wurden bei einer brutalen Militäroffensive mehr als 740.000 muslimische Rohingya aus Myanmar nach Bangladesch vertrieben. Seitdem leben die Menschen unter prekären Bedingungen in Camps. Corona macht alles noch schlimmer.
Von Nicola Glass Dienstag, 25.08.2020, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 24.08.2020, 16:05 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Heftige Winde zerren an den Hütten aus Bambus und Planen, Böden verwandeln sich in Schlammpisten. Für die etwa eine Million Rohingya-Flüchtlinge im Bezirk Cox’s Bazar im Südosten von Bangladesch ist die Regenzeit besonders hart. Nachdem im Mai der erste Fall einer Covid-19-Infektion festgestellt wurde, ist das Leben im weltweit größten Flüchtlingslager noch prekärer geworden. Bis Mitte August gab es dort zwar nur rund 80 bestätigte Infektionen, eine vergleichsweise geringe Zahl. In den umliegenden Gemeinden, eng mit dem aus mehreren Camps bestehenden Lager verbunden, wurden dagegen an die 3.700 Corona-Fälle registriert. Dutzende Menschen sind gestorben.
Bereits Monate vor Ausbruch der gefährlichen Infektionskrankheit hatte Bangladesch erklärt, Mobilfunk- und Internetsperren in den Camps zu verhängen – wegen Sicherheitsbedenken. Inmitten der Krise schüre der sehr eingeschränkte Zugang zu Informationen Gerüchte und Angst, warnt aber Ishaat Nabila, leitende Ärztin im Corona-Behandlungszentrum von „Save the Children“ in einem Blog: „Menschen haben Angst, dass sie, wenn sie auf Covid-19 getestet werden, ihren Familien weggenommen werden. Frauen glauben, dass ihre Babys bei der Geburt aus ihrer Obhut genommen werden.“
Es ist eine weitere Angst für die entwurzelten und oftmals traumatisierten Menschen. Drei Jahre ist es her, dass Myanmars Armee im westlichen Bundesstaat Rakhine eine brutale Offensive gegen die Rohingya begann. Mehr als 740.000 Angehörige der muslimischen Minderheit flüchteten nach Bangladesch. UN und Menschenrechtler werfen Myanmar Völkermord vor.
Rohingya: Für die UN gehören die überwiegend muslimischen Rohingya zu den am stärksten verfolgten Minderheiten weltweit. Im mehrheitlich buddhistischen Myanmar sind die Rohingya nicht als solche anerkannt. Das umstrittene Staatsbürgerschaftsgesetz von 1982 machte die Rohingya faktisch staatenlos. Stattdessen gelten sie als illegale Einwanderer aus Bangladesch. Dabei leben viele schon seit Generationen im westlichen Bundesstaat Rakhine. In der Region im Westen Myanmars lebten etwa 1,3 Millionen Rohingya, bevor Ende der 1970er und Anfang der 1990er Jahre Hunderttausende vor Verfolgung und Terror nach Bangladesch flohen. Längst nicht alle kehrten zurück. Seit einer neuen brutalen Militäroffensive von Ende August 2017 suchten über 740.000 Rohingya Schutz im Nachbarland. UN und Menschenrechtler werfen Myanmars Armee Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Die Anzahl der in Rakhine verbliebenen Rohingya wird auf 500.000 bis 600.000 geschätzt. Dort sind sie weiterhin systematischer Verfolgung ausgesetzt.
Corona erschwert Hilfe
Wegen Corona sei auch noch die Präsenz humanitärer Helfer um bis zu 80 Prozent verringert worden, sagt die Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks in Cox’s Bazar, Louise Donovan, dem „Evangelischen Pressedienst“. Lebensnotwendige Aktivitäten wie das Verteilen von Nahrungsmitteln und medizinische Versorgung gingen zwar weiter. Es werde zunehmend getestet und die Hygienemaßnahmen würden verstärkt: „Das hat die Ausbreitung des Virus verlangsamt.“
Deutlich beeinträchtigt sei jedoch die Bildung. Im Frühjahr schlossen die „Lernzentren“, in denen Kinder zumindest provisorischen Unterricht erhalten sollten. Laut „Save the Children“ sind etwa 325.000 Rohingya-Kinder davon betroffen.
Rückkehr nicht in Sicht
Im Kampf gegen Corona sind die Organisationen in Cox’s Bazar jetzt mehr denn je auf Helfer unter den Flüchtlingen angewiesen. Über 1.440 Freiwillige haben allein das UNHCR und seine Partner dafür ausgebildet. Sie klären die Menschen auf und sorgen dafür, dass sich jene mit Symptomen testen lassen. Zudem werden Informationen in den Camps und umliegenden Gemeinden per Radio oder Videobotschaften verbreitet – in Rohingya-Sprache, Bengali und Birmanisch.
Eine Rückkehr der Flüchtlinge nach Myanmar ist weiter nicht in Sicht, zu unsicher ist die Lage dort. Ende Mai übergab Myanmar einen ersten Bericht an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Dieser hatte verfügt, dass das Land die muslimische Minderheit schützen müsse. Zwar habe das Büro des Präsidenten „hochtrabende“ Erklärungen zum Schutz der Rohingya und anderer Bevölkerungsgruppen abgegeben. An Gewalt und systematischer Diskriminierung habe sich aber nichts geändert, kritisiert die Rohingya-Aktivistin Wai Wai Nu. Sieben Jahre hatten sie und ihre Familie unschuldig hinter Gittern gesessen.
Geflüchtete fordern Staatsbürgerschaft
Zudem hat sich im Rakhine-Staat seit Ende 2018 ein weiterer Konflikt verschärft, in dem das Militär gegen die buddhistischen Rebellen der „Arakan Army“ kämpft. Leidtragende sind Zivilisten aller Glaubensrichtungen, Hunderte wurden getötet.
Die Rohingya-Flüchtlinge in Bangladesch hätten deutlich gemacht, sie gingen nur dann zurück, wenn für ihre Sicherheit garantiert werde, betont UNHCR-Sprecherin Louise Donovan. Dem „Evangelischen Pressedienst“ sagten Geflüchtete, sie forderten die Staatsbürgerschaft. Die ist den Rohingya in Myanmar bislang verwehrt. Auch müssten alle Täter, die für Verbrechen wie Morde, Massenvergewaltigungen und Vertreibungen verantwortlich sind, zur Rechenschaft gezogen werden. (epd/mig) Ausland Leitartikel
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