Hanau, Rassismus, Demonstration, Kundgebung, Corona
Kundgebung in Hanau nach Demo-Verbot wegen Corona

„Systemisches Rassismusproblem“

Scharfe Kritik nach Demo-Verbot in Hanau

In rund 30 Städten haben Tausende an die Opfer des rassistisch motivierten Anschlags in Hanau gedacht. In Hanau selbst durften nur maximal 249 Personen eine kleine Kundgebung veranstalten. Die Stadt untersagte eine Großdemo wegen Corona. Im Netz hagelt es Kritik.

Montag, 24.08.2020, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 23.08.2020, 16:19 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Tausende Menschen haben am Samstag in rund 30 deutschen Städten – darunter Berlin, Hamburg, Hannover, Frankfurt am Main, Köln, Leipzig, Stuttgart und München – an die Opfer des rechtsextremistisch motivierten Anschlags vom 19. Februar in Hanau gedacht. Die zentrale Demonstration in Hanau selbst, zu der die Organisatoren bis zu 5.000 Menschen erwartet hatten, war allerdings am Abend zuvor von der Stadt untersagt worden. Lediglich eine Kundgebung „im kleinen Rahmen“ mit maximal 249 Personen war gestattet.

Auf der Kundgebung auf dem Hanauer Freiheitsplatz wies Nevros Duman von der „Initiative 19. Februar Hanau“ Forderungen nach einem Zurück zur Normalität zurück. Zuvor müsse der alltägliche Rassismus überwunden werden. Duman kritisierte zugleich das Verbot der Demonstration durch die Stadt Hanau. „Wir dürfen hier nur mit 249 Menschen trauern, während um uns herum in der Fußgängerzone Tausende Menschen in aller Ruhe einkaufen oder draußen sitzen und Wein trinken“, rief sie aus.

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Wenn die Opfer andere Namen hätten

Mehrere Redner in Hanau forderten rückhaltlose Aufklärung der Tat, Unterstützung für die Angehörigen der Toten und warfen den Behörden Versagen vor. „Warum wurde dieser Mann, der schon so oft aufgefallen war, nicht rechtzeitig aus dem Verkehr gezogen?“, fragte die Schwester eines der Toten. Eine Angehörige eines anderen Opfers erklärte: „Es wird immer so getan, als bekämen wir alle erforderliche Hilfe. Aber nichts davon ist wahr.“

Armin Kurtović, der Vater des ermordeten Hamza Kurtović, sagte im Gespräch mit „bento“: „Ich glaube, dass vieles hier und in Deutschland anders gelaufen wäre, wenn die Opfer andere Namen hätten, wenn sie Stefan und Marie geheißen und in Waldis Bierkeller gesessen hätten.“

Demo-Aus wegen Corona

Grund für die Absage der Demonstration seien die „Entwicklungen der Corona-Zahlen“, erklärte die „Initiative 19. Februar Hanau“. Das habe Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) der Initiative mitgeteilt. Man bedauere die Entscheidung, weil es wegen des späten Zeitpunkts keine Möglichkeit zu ihrer rechtlichen Überprüfung mehr gebe. „Dennoch sind wir keine Corona-Rebellen und folgen der Entscheidung“ versicherten die Organisatoren.

Auf der Internetseite der Stadt erklärte Oberbürgermeister Kaminsky: „Sobald die Infektionsfälle wieder deutlich zurückgegangen sind, holen wir diese Trauerbekundung selbstverständlich nach.“ Die Zahl der Neuinfizierten je 100.000 Einwohner im Sieben-Tage-Rückblick sei in Hanau auf 49 hochgeschnellt. Tags zuvor habe diese Zahl noch bei 36 gelegen.

Scharfe Kritik im Netz

In den sozialen Netzwerken wurde die Entscheidung der Stadt scharf kritisiert. Bundestagsabgeordneter Helge Lindh schrieb im Kurznachrichtendienst Twitter: „Wir verlieren auf Dauer Glaubwürdigkeit und jedes Vertrauen der Angehörigen der Opfer, wenn Corona-Leugner ohne Masken und Abstand aufmarschieren, Corona-Partys stattfinden, S-Bahnen aus allen Nähten platzen, aber die Gedenkdemo von #Hanau abgesagt wird. #NiemalsVergessen“.

Ähnlich argumentiert auch die frühere Kapitänin des Seenotrettungsschiffs „Sea Watch 3“, Carola Rackete, im Twitter: „Was ist das für ein Land, in dem alle Corona-Leugner wochenlang in großen Gruppen ohne Masken demonstrieren, die Gedenkdemo mit Hygienekonzept in #Hanau aber am Abend vorher abgesagt wird? Vermutlich ist es das ein Land, in dem es ein systemisches Rassismusproblem gibt“.

„Zutiefst rassistischen Gesinnung“

In Hanau hatte der 43-jährige Tobias R. in den späten Abendstunden des 19. Februar zwei Bars angegriffen und neun Menschen mit ausländischen Wurzeln erschossen. Er und seine Mutter wurden im Anschluss in ihrer Wohnung tot aufgefunden. Der Generalbundesanwalt sprach von einer „zutiefst rassistischen Gesinnung“ des Täters.

Die Kundgebungen in Hanau und anderen Städten wurden live im Internet übertragen. Ein Aufruf in den sozialen Netzwerken an den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk, nach dem Demo-Verbot der Stadt Hanau die Kundgebung live im Fernsehen auszustrahlen, blieb unerhört. (epd/mig) Gesellschaft Leitartikel

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