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Forschungsschiff "Poseidon" wird zum Rettungsschiff © steffenz @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Seenotrettung

„Sea-Watch 4“ vor der ersten Mission

Kirchenschiffe stehen sonst auf festem Grund, doch bald wird ein schwimmendes Kirchenschiff im Mittelmeer Geflüchtete retten: Die "Sea-Watch 4" ist kurz vor ihrer ersten Mission. Gut ein Jahr haben die Vorbereitungen gedauert.

Von Mittwoch, 05.08.2020, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 04.08.2020, 14:35 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Die Vorrichtungen für die Schnellboote sitzen, die Seekarten und nautischen Handbücher sind auf dem neuesten Stand. Die Mannschaft an Bord der „Sea-Watch 4“ hat die vergangenen Wochen damit verbracht, das alte Forschungsschiff in ein Seenotrettungsschiff umzubauen. Ein Schutzbereich mit 24 Betten für Frauen und Kinder wurde eingerichtet und eine Krankenstation. Die letzten Tests auf See haben gezeigt, alles funktioniert soweit. Bald kann es losgehen, wenn die Crew ihre verpflichtende Quarantäne hinter sich hat. Wegen der Corona-Pandemie und des Lockdowns in Spanien hat sich die erste Mission fast vier Monate verzögert.

Bis Mitte August soll das überwiegend aus kirchlichen Spenden finanzierte Seenotrettungsschiff vom spanischen Burriana aus in See stechen – gut ein Jahr, nachdem im Juni 2019 die Petition „Wir schicken ein Schiff“ veröffentlicht wurde. „Das ist Start-up-Geschwindigkeit, mit der unsere Kirche hier gehandelt hat“, sagt der Grünen-EU-Politiker Sven Giegold. Er ist einer der Initiatoren der Petition, die sofort in der Kirchenleitung Unterstützung bekam. „Das Schiff wird den Druck auf die Politik erhöhen, dem Sterben im Mittelmeer ein Ende zu setzen.“

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Noch private Rettungsschiffe im Mittelmeer

Seit dem Ende der staatlichen Seenotrettung der EU-Mitgliedsländer sind nur noch private Schiffe im Mittelmeer unterwegs, um geflüchtete Menschen aus Seenot zu retten. Rund 400 Menschen sind im Jahr 2020 bislang laut Schätzungen im Mittelmeer ertrunken. Eine Tatsache, die viele Christinnen und Christen schmerzt.

Auf dem evangelischen Kirchentag im Juni 2019 in Dortmund war die Seenotrettung ein beherrschendes Thema. Die „Sea-Watch 3“ lag zu diesem Zeitpunkt mit Flüchtlingen an Bord vor Lampedusa fest. Der Journalist Hans Leyendecker, damals Kirchentagspräsident, fand mehrfach deutliche Worte: „Europa darf nicht töten, auch nicht durch unterlassene Hilfeleistung.“ Und: „Wir dürfen das Meer nicht denjenigen überlassen, die aus dem Mare Nostrum ein Mare Monstrum machen, einen Friedhof der Menschenrechte.“ Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, der das Projekt Kirchenschiff in der EKD vorantrieb, sagte: „Europa verliert seine Seele, wenn wir so weitermachen.“ Und die Pastorin Sandra Bils brachte alles in ihrer Predigt beim Abschlussgottesdienst auf die Formel: „Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt.“

Zivilgesellschaftliches Bündnis geplant

Bereits in der Woche nach dem Kirchentag stimmten die Kirchenvorderen der Forderung der Petition zu, ein Schiff für die Seenotrettung im Mittelmeer anzuschaffen. Seitdem arbeitete das Kirchenamt der EKD unter Hochdruck an möglichen Wegen dahin. Denn allen war klar: Zur Reederei wird die EKD nicht. Beinahe monatlich gibt es seitdem Neues zu verkünden.

Im September steht der Plan, ein zivilgesellschaftliches Bündnis zu gründen, um Spenden für ein Schiff zu sammeln. Im November wird dafür der Trägerverein „Gemeinsam Retten e.V.“ gegründet. Die EKD entscheidet sich, mit der Seenotrettungsorganisation Sea-Watch zusammenzuarbeiten.

Streit in der Kirche

Auf der Synode der EKD in Dresden wird über das Für und Wider des Schiffs diskutiert. Innerkirchliche Skeptiker fordern, dass keine Kirchensteuermittel in die Anschaffung fließen. Grundsätzliche Kritiker der Seenotrettung argumentieren, mit der Seenotrettung unterstütze man das menschenverachtende System der libyschen Schlepper. Zuletzt steht auch infrage, ob sich die Kirche überhaupt derart politisch betätigen sollte. Doch die Befürworter sind in der Mehrheit.

Im Dezember beginnt die Spendenkampagne des Bündnisses mit dem Namen „United4Rescue“, dem heute mehr als 500 Partner angehören. Ende Januar 2020 gelingt es dem Bündnis dann, das ehemalige Forschungsschiff „Poseidon“ zu ersteigern. Kosten: 1,3 Millionen Euro, davon 1,1 Millionen Euro Spendengeld von „United4Rescue“. Am 20. Februar wird die „Poseidon“ auf ihren neuen Namen „Sea-Watch 4“ getauft. Wenige Tage später sticht das Schiff in Richtung Burriana in See. „Dieses Schiff wird Leben retten und steht für eine lebendige Kirche“, sagt Sven Giegold. Doch bis die „Sea-Watch 4“ ausläuft, wird es mutmaßlich weitere Tote geben. Derzeit ist kein privates Seenotrettungsschiff im Mittelmeer unterwegs. (epd/mig) Aktuell Panorama

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  1. Gerrit sagt:

    Endlich, endlich engagieren sich die Kirchen noch mehr, als es ohnehin schon der Fall ist (national Caritas und Diakonie, Kirchengemeinden, ChristenInnen ehrenamtlich u.v.m.).

    Dieser Schritt war nur logisch, um den Verantwortlichen aus der Politik ganz klar zu zeigen, daß es nach deren Denkmuster nicht funktioniert. Denn das ist oft viel zu zögerlich und nicht selten menschenverachtend (Beispiel griechische Lager).

    All denen, die das jetzt möglich gemacht haben, gebührt Respekt und großer Dank.

    Und all denen, die der Meinung sind, Kirche dürfe sich nicht politisch betätigen, sei gesagt, daß das FALSCH ist.

    Die Zeiten haben sich geändert und natürlich soll z.B. der örtliche Geistliche sich beispielsweise nicht in Kommunalwahlen einmischen. Die Trennung Kirche und Poltik hatte ja ganz andere Hintergründe. Die sogenannte Säkularisierung war sicherlich richtig, bedeutet aber nicht, daß die Kirche die Augen verschließen muss, wenn ganz offensichtlich nicht nach christlichen Maßstäben gehandelt wird. Dann MUSS die Kirche „politisch“ werden, nämlich auf Mißstände hinweisen und ggf. auch tätig werden. Das ist nämlich AUCH Kirche und christliches Denken.

    Selbst in der Präambel unseres Grundgesetzes steht:
    „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen,
    von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben….“

    Und das sollte verpflichtend sein und das sollten einige aus der Politik mal lesen und sich daran erinnern!!!