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Szene aus einem Handy-Video. Der Täter schießt mit einer Waffe

Halle-Attentäter vor Gericht

Mythos des „isolierten Einzeltäters“ aufdecken

Der Attentäter, der am 9. Oktober 2019 einen Anschlag auf die Synagoge in Halle verübte und zwei Menschen tötete, steht ab Dienstag vor Gericht. Nebenklagevertreter fordern, den Mythos des "isolierten Einzeltäters" aufzudecken.

Dienstag, 21.07.2020, 5:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 20.07.2020, 22:54 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Rund neun Monate nach dem Anschlag mit zwei Toten in Halle muss sich von Dienstag an der Attentäter Stephan B. vor Gericht verantworten. Die insgesamt 123 Seiten umfassende Anklage der Bundesanwaltschaft wirft dem 28-Jährigen Mord in zwei Fällen und versuchten Mord vor. Die Anklage listet neun Mordversuche auf, die insgesamt 68 Menschen betreffen.

Der Anschlag auf die Synagoge, in der sich 52 Menschen aufhielten, wird juristisch als ein Mordversuch gewertet. Weitere Anklagepunkte lasten Stephan B. gefährliche Körperverletzung, versuchte räuberische Erpressung mit Todesfolge, besonders schwere räuberische Erpressung, Volksverhetzung und fahrlässige Körperverletzung an.

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Die Hauptverhandlung des Staatsschutzsenats am Oberlandesgericht Naumburg findet aus Platzgründen am Magdeburger Landgericht statt. Es wurden insgesamt 43 Nebenkläger zugelassen, die von 21 Rechtsanwälten vertreten werden. Im Sitzungssaal selbst können 44 Medienvertreter und 50 Zuschauer den Prozess verfolgen. Weitere Presseplätze stehen in einem Raum mit Tonübertragung zur Verfügung. Zu den strengen Sicherheitsvorkehrungen kommen Einschränkungen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie. So ist unter anderem das Tragen eines Mund-Nasenschutzes vorgeschrieben.

Antisemitische, rassistische und fremdenfeindliche Motivation

Stephan B. erschoss am 9. Oktober 2019 in Halle eine 40 Jahre alte Passantin und in einem türkischen Döner-Imbiss einen 20 Jahre alten Mann. Aus einer antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Motivation heraus soll er einen Mordanschlag auf Juden in der Synagoge in Halle geplant haben. Er versuchte mit Sprengsätzen und Schusswaffen in die abgeschlossene Synagoge zu gelangen, in der sich zum höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur 52 Gläubige aufhielten. Er scheiterte aber an der Tür. Anschließend suchte er gezielt einen nahegelegenen Döner-Imbiss auf, um seine Tat fortzusetzen. Der Angeklagte filmte seine Tat und verbreitete die Aufnahmen per Livestream im Internet.

Insgesamt sind im Prozess 147 Zeugen geladen, darunter 68 Ermittlungsbeamte. Zu Prozessbeginn hat der Angeklagte die Möglichkeit, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Stephan B. droht bei einer Verurteilung eine lebenslange Freiheitsstrafe. Zudem kommt eine anschließende Sicherungsverwahrung in Betracht. Die Verhandlung unter Vorsitz der Richterin Ursula Mertens wird von fünf Berufsrichtern geführt.

Mythos des „isolierten Einzeltäters“ aufdecken

Vor Prozessbeginn veröffentlichten zahlreiche Nebenklagevertreter am Montag im Internet eine gemeinsame Erklärung und teilten mit, Ziel ihrer Nebenklage sei es, sicherzustellen, dass die rassistische Ideologie des Angeklagten und seine Integration in militante rechte Strukturen auch von den Strafverfolgungsbehörden und der Öffentlichkeit wahrgenommen werde: „Täter wie der Angeklagte brauchen keine physischen Gemeinschaften mehr, um von Gleichgesinnten Ermutigung und Unterstützung zu erhalten“, heißt es in der Erklärung.

Es sei wichtig, dass dieser Prozess Politikern, Strafverfolgungsbehörden und der breiten Öffentlichkeit als Erinnerung diene, Rassismus, Sexismus, Islamophobie und Antisemitismus „aktiv entgegenzutreten und alle rechten Ideologien zu bekämpfen“. Die Nebenkläger fordern weiter, dass der Prozess dazu diene, den Mythos des „isolierten Einzeltäters“ aufzudecken und eine verantwortungsvolle Politik zur Bekämpfung der zunehmenden Online-Radikalisierung zu entwickeln.

Der Autor Ronen Steinke („Terror gegen Juden“) sprach sich im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) für einen besseren Schutz jüdischer Einrichtungen in Deutschland aus. Selbst wenn sich Juden bei einer konkreten Bedrohung an die Polizei wendeten, bedeute dies nicht, dass ein offizielles Schutzkonzept erarbeitet werde, sagte der Jurist und Redakteur der „Süddeutschen Zeitung“ in München. Mit Blick auf den Prozess sagte Steinke: „Ich bin neugierig, wie man mit den Opfern umgehen wird. Bleiben sie Zaungäste oder werden sie zu richtigen Beteiligten, denen man zuhört?“ (epd/mig) Aktuell Panorama

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