Ulla Jelpke (Die Linke), innenpolitische Sprecherin © linksfraktion.de / Zeichnung MiG
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Zeitungsente

Falschmeldung zu angeblich 350.000 Illegalen widerlegt

Nach einer Zeitungsmeldung soll es in Deutschland 350.000 "illegal hier lebende Ausländer" geben, die nicht als ausreisepflichtig erfasst würden, obwohl sie entsprechend registriert seien. Nach einer Antwort der Bundesregierung erweist sich diese reißerische Behauptung als tendenziöse Zeitungsente.

Von Mittwoch, 01.07.2020, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 01.07.2020, 9:36 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Immer wieder gibt es, gerade auch in der Zeitung „Die Welt“, Artikel, in denen mit Zahlen zur Asylpolitik (schlechte) Stimmung und (rechte) Politik gemacht werden soll. Etwa, indem in dramatisierender Darstellung auf die große Zahl formal abgelehnter Asylsuchender hingewiesen wird – obwohl diese in ihrer großen Mehrheit längst eine Aufenthaltserlaubnis besitzen und seit vielen Jahren rechtmäßig in Deutschland leben.

Ende letzten Jahres hieß es in einem Artikel in der „Welt“, angeblich führe „der Staat“ 350.000 „illegal hier lebende Ausländer nicht als ausreisepflichtig“, obwohl sie im Ausländerzentralregister registriert seien. Das würde „unter Innenpolitikern für einige Diskussionen sorgen“, wurde dort wichtigtuerisch orakelt. Nicht überraschend war es die AfD, die diese Falsch-Meldung dann noch am selben Tag begierig aufgriff und in einer Bundestagsdebatte verwandte: Martin Hebner (AfD) bezog sich auf den Artikel und behauptete in hämischem Tonfall, dass „durch einen statistischen Trick 350.000 Ausreisepflichtige, die sich illegal hier aufhalten, nicht als solche geführt wurden. Kann in deutschen Behörden ja mal passieren, dass man eine Großstadt übersieht“ (Plenarprotokoll 19/138, Seite 17308).

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Doch diese Meldung konnte nur glauben, wer solche dramatischen Nachrichten schon deshalb glauben will, weil sie ins politische Konzept passen: Das Konzept der Imagination eines groß angelegten „Bevölkerungsaustauschs“ bzw. einer angeblich unkontrollierten „Masseneinwanderung“. Die Linksfraktion fragte deshalb bei der Bundesregierung im Rahmen einer Kleinen Anfrage nach, um die Zahlen richtig stellen zu können.

Ergebnis (Bundestagsdrucksache 19/19333, Frage 29): Von den gut 350.000 Personen, die laut Ausländerzentralregister (AZR) ohne Aufenthaltstitel, Duldung, Gestattung oder ein sonstiges Aufenthaltsrecht geführt werden, sind gerade einmal knapp 45.000 ausreisepflichtig. Dass im AZR kein Aufenthaltstitel erfasst ist, heißt nämlich nicht automatisch, dass diese Personen „illegal“ im Land sind. Als Personen ohne Aufenthaltstitel werden beispielsweise Menschen erfasst, die sich mit einem längerfristigen Visum legal in Deutschland aufhalten. Von der hässlichen Zeitungsente blieb damit nur wenig übrig.

Die Angaben des AZR zu angeblich in Deutschland lebenden Ausreisepflichtigen sind ohnehin höchst unzuverlässig. Das ist seit vielen Jahren bekannt, unter anderem infolge vieler Anfragen der „Linken“ zu diesem Thema. Umso bemerkenswerter ist, dass sich an diesem Informationsdefizit im Kern nichts geändert hat, obwohl mit der Zahl der Ausreisepflichtigen eine Gesetzesverschärfung nach der anderen begründet wurde. Vielleicht hat sich ja auch gerade deshalb nichts Grundlegendes geändert, entspricht es doch einem Grundmuster der Asylpolitik der Bundesregierung, mit falschen Zahlen schlechte Politik zu machen.

Immer wieder zeigt sich, dass viele der als ausreisepflichtig im AZR gespeicherten Personen entweder nicht ausreisepflichtig oder gar nicht mehr im Land sind. Bereits vor zehn Jahren musste die Bundesregierung auf Anfrage der „Linken“ einräumen, dass von den Ende 2009 im AZR gespeicherten 70.000 Ausreisepflichtigen ohne Duldung 40.000 im Rechtssinne gar nicht ausreisepflichtig waren (Bundestagsdrucksache 17/4631, Frage 25). Und in Hessen ergab Mitte 2017 eine Überprüfung aller Akten der laut AZR ausreisepflichtigen Personen, dass von diesen nur 63 Prozent tatsächlich ausreisepflichtig und noch in Deutschland waren (Bundestagsdrucksache 19/3860, Frage 34) – bundesweit hat es eine solche systematische Prüfung der Akten Ausreisepflichtiger allerdings nicht gegeben.

Immerhin werden seit geraumer Zeit Überprüfungen auffälliger Eintragungen im AZR vorgenommen, die für den Zeitraum April 2017 bis September 2019 dazu führten, dass die im AZR registrierte Zahl Ausreisepflichtiger ohne Duldung um 26 Prozent gesenkt wurde, von 64.322 auf 47.317 Personen. Mit weiteren Korrekturen im AZR ist zu rechnen.

Übrigens lebten Ende 2019 gerade einmal gut 21.000 ausreisepflichtige, abgelehnte Asylsuchende ohne eine Duldung in Deutschland. Für die allgegenwärtige Debatte um angebliche Defizite bei Abschiebungen ist das eine relevante Zahl – über die „Die Welt“ vermutlich niemals berichten wird. Meinung

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