Hanau
Die Opfer sind alleine – wieder einmal
Der rassistische Anschlag in Hanau ist erst drei Monate her und kaum mehr Thema. Der Kampf gegen den Rassismus und für unsere Grundwerte sind der Corona-Pandemie gewichen – obwohl er ebenso tödlich ist und uns alle betrifft.
Von Carlotta Döring Mittwoch, 03.06.2020, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 02.06.2020, 14:58 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Die Corona-Pandemie hat den rassistisch motivierten Anschlag in Hanau überschattet. Kaum jemand redet mehr über das Attentat. Die so häufig geforderte Aufmerksamkeit ist verschwunden – hier und da noch vereinzelte Hilferufe und Aktionen. Doch was sollen Flugzettel, wenn niemand draußen ist? Was nutzen Demo-Planungen, wenn es Kontaktverbote gibt? Wie können Freunde, Bekannte, Angehörige gemeinsam trauern, wenn sie sich nicht treffen dürfen?
Die Opfer sind mit ihrer Trauer allein. Menschen, die in Deutschland geboren wurden, schon seit Generationen in diesem Land leben. In einem Land, das in seinem Grundgesetz Benachteiligungen aufgrund der Sprache, Heimat und Herkunft, des Glaubens, der religiösen oder politischen Anschauungen verbietet. In einem Land, das sie immer und immer wieder enttäuscht.
Benachteiligungen und Ausgrenzungen – Tag für Tag. Eine Ausgrenzungsdichte, die für Menschen, die der vermeintlichen „deutschen Norm“ entsprechen, nicht vorstellbar ist. Alltagsrassismus in allem Formen: unterschwellige Bemerkungen, abwertende Blicke, Getuschel hinter dem Rücken, Fingerzeige, offensive Anfeindungen, verbale und körperliche Gewalt. Damit müssen sich Menschen täglich auseinandersetzen. Allein.
„Wir halten zusammen, wir lassen einander nicht allein“, schallt es von den oberen Rängen – so lange Kameras laufen und Mikrofone aufnehmen. Wo bleibt dieses „Wir“-Gefühl, an das heute so häufig plädiert wird, wenn es um unsere Gesellschaft geht? Die breite bunte Masse, die stolz in allen Farben schillern und sich nicht in seinen Rechten und im Umgang miteinander unterscheiden sollte. Eine „Ihr- Wir“-Separation wird bei keinem anderen Thema so laut, wie wenn man den Rassismus betrachtet. Das Rassismusproblem in Deutschland ist nicht zu leugnen oder unter dem Begriff „Fremdenfeindlichkeit“ kleinzureden. Diese Anschläge waren nicht gegen Fremde gerichtet, sondern gegen die eigenen Mitbürger.
„Muss erst getötet werden, damit Ihr empört seid?“ Laut und eindringlich tönen die verzweifelten Rufe der Betroffenen, trotzdem finden sie kein Gehör – scheinbar reicht noch nicht einmal das. Gerade jetzt nicht, da die Augen und Ohren auf vermeintlich größere Gefahren gerichtet sind. Derweil verbreitet sich der Rassismus weiter.
Es ist erschreckend, wie er wächst, wie ihm nährreicher Boden geboten wird. Durch jedes Nichteinschreiten, jedes Wegschauen, jedes Stillbleiben, jede ignorierte Tat düngen wir diesen Boden gemeinsam und geben Rassismus die Möglichkeit, zu einer starken unbändigen Kraft heranzuwachsen. Das Rassismusproblem darf nicht nur diejenigen beschäftigen, die den Hass hautnah erfahren, sondern auch die, die es ignorieren und rassistisch handeln.
Wir müssen den Terror und den Rassismus sehen, hören und ernst nehmen. Wir müssen dafür sorgen, dass niemand mehr Angst haben muss, wegen der Abstammung, Sprache, Heimat und Herkunft, des Glaubens, der religiösen oder politischen Anschauungen diskriminiert oder getötet zu werden. Wir müssen ein Bewusstsein für rassistische Denkmuster schaffen. Wir müssen auch im Kleinen wachsam sein, zuhören, hinschauen und mutig sein – Courage zeigen und aufstehen, wenn uns etwas nicht gefällt. Wir müssen über strukturellen Rassismus sprechen und Konsequenzen ziehen. Wir müssen uns aktiv positionieren und für eine tolerante und offene Gesellschaft eintreten. Wir müssen vehement und bedingungslos gegen die Entmenschlichung kämpfen. Wir müssen mit dieser „Wir-Ihr“- Rhetorik aufhören.
Die Opfer waren keine Fremden, sie waren Menschen und daran ändert auch die Hautfarbe, Herkunft, Religion, das Geschlecht oder die Gesinnung nichts. Rassismus ist da. Er war nie weg. Er verbreitet sich wie ein Virus – und stirbt nur durch unseren Widerstand. Meinung
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