Oberlandesgericht, OLG, Dresden, Justiz, Rechtsprechung
Oberlandesgericht Dresden © corno.fulgur75 @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Corona kontra Rechtsstaatlichkeit

Im Prozess „Revolution Chemnitz“ wird das Urteil erwartet

Im Dresdner Terrorprozess gegen die "Revolution Chemnitz" könnte am heutigen Dienstag das Urteil fallen. Wegen der Corona-Krise sollen weitere Prozesstermine möglichst vermieden werden. Doch einige Verteidiger haben noch nicht plädiert.

Von Dienstag, 24.03.2020, 5:19 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 23.03.2020, 20:03 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Der Saal im Oberlandesgericht (OLG) am Dresdner Hammerweg ist leer geworden. Nur noch wenige Besucher und Journalisten verfolgten in den vergangenen Tagen hinter der riesigen Sicherheitsglasscheibe den Prozess gegen die mutmaßlich rechtsextreme Terrorgruppe „Revolution Chemnitz“. Nach gut fünf Monaten könnte am heutigen Dienstag das Urteil gegen die acht mutmaßlichen Gründer und Mitglieder der Gruppe fallen. Zuvor werden weitere Plädoyers der Verteidiger sowie letzte Worte der Angeklagten erwartet.

Ein Grund für die Leere auf der Besucherseite im Verhandlungssaal dürfte das sich rasant ausbreitende Coronavirus sein. Persönliche Kontakte sollen derzeit vermieden, nicht zwingend notwendige Termine abgesagt werden. Öffentliche Veranstaltungen sind ohnehin schon verboten. Das gesellschaftliche wie kulturelle Leben liegt lahm.

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Keine Prozessabsage

Für den Prozess gibt es dennoch keine Absage. Laut geltendem Recht dürfe die Dresdner Verhandlung nur noch für höchstens zehn Tage unterbrochen werden, sagt OLG-Sprecherin Gesine Tews. Andernfalls müsse der Prozess von vorn beginnen. Angeklagt sind acht Männer zwischen 22 und 32 Jahren wegen der Gründung einer terroristischen Vereinigung. Sie stehen seit dem 30. September 2019 vor Gericht. Verhaftet wurden sie bereits ein Jahr zuvor.

Eine Sonderregelung für Gerichte in Corona-Zeiten gibt es nicht. Das Bundesjustizministerium arbeitet zwar derzeit daran, strafgerichtliche Hauptverhandlungen für eine längere Zeit unterbrechen zu können. Dieser Schritt soll es den Gerichten erlauben, eine Verhandlung für maximal drei Monate und zehn Tage zu unterbrechen, wenn diese wegen Infektionsschutzmaßnahmen nicht ordnungsgemäß stattfinden kann. Doch bis Dienstag wird noch keine solche gesetzliche Regelung vorliegen. Es muss verhandelt oder neu angefangen werden.

Minimierung der Ansteckungsgefahr

Das OLG Dresden reagiert vorschriftsgemäß. Dem Gericht sei es ein „wichtiges Anliegen, eine Minimierung der Ansteckungsgefahr zu gewährleisten“, sagt Gerichtsprecherin Tews. Gleichzeitig gelte es, die rechtsstaatlichen Grundsätze zu waren. Diese besagten: Die Verhandlung ist öffentlich.

Durch entsprechende Maßnahmen werde versucht, einer Ansteckungsgefahr zu begegnen. Dazu gehöre die Reduzierung von insgesamt mehr als 150 Zuschauerplätzen – etwa 70 davon für Journalisten – im Verhandlungssaal. Zwischen den Besuchern müssten Mindestabstände gewahrt werden. Doch auf den Anklagebänken sitzen Mandanten und Verteidiger durchaus eng beieinander. Da helfen wohl auch ein zusätzlich aufgestelltes Rednerpult samt Desinfektionsflasche und das Ausschalten der Klimaanlage nichts.

Möglichst kurzfassen

Die Corona-Pandemie sitzt natürlich auch dem Vorsitzenden Richter Hans Schlüter-Staats im Nacken. Schon in den vergangenen Sitzungen am Gericht drang er darauf, sich auf das Nötigste in der Kommunikation zu beschränken. Die 16 Verteidiger sollten sich in ihren Plädoyers möglichst kurzfassen, appellierte er.

Diese halten allesamt die von der Bundesanwaltschaft geforderten Freiheitsstrafen zwischen drei Jahren sowie fünf Jahren und sechs Monaten für zu hoch, plädieren für mildere Strafen oder sogar Freispruch von einigen Vorwürfen. Das wollen sie auch begründen. Für drei Angeklagte stehen die Plädoyers nun noch aus. Sie sind für Dienstagvormittag terminiert. Geht der straffe Zeitplan auf, könnte das Urteil noch am Nachmittag fallen.

Angriffe auf Flüchtlinge geplant

Die Gruppe „Revolution Chemnitz“ soll sich in einem Chat am 10. September 2018 zusammengeschlossen und zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2018 in Berlin einen „Systemwechsel“ sowie Angriffe auf Flüchtlinge, Andersdenkende und Repräsentanten des Staates geplant haben. Dafür hat sie sich laut Anklage auch um Waffen bemüht. Die Gruppe flog jedoch nach einem „Probelauf“ am 14. September in Chemnitz auf.

Mehr als 30 Verhandlungstage hat der Prozess gedauert. Laut OLG-Sprecherin Tews sind rund 80 Zeugen gehört und mehr als 20 Beweisanträge gestellt worden. Am Dienstag – oder spätestens am Freitag – wollen die Richter ihr Urteil fällen – trotz Corona-Krise. (epd/mig) Aktuell Panorama

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