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Wohncontainer (Symbolfoto) © DeepakG @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Flüchtlingspolitik

Menschenrechtler fordern Sofort-Maßnahmen angesichts der Corona-Pandemie

Aussetzung von Abschiebungen, verbesserten Zugang zu mehrsprachigen Informationen und die dezentrale Unterbringung. In einem Forderungskatalog rufen Menschenrechtler die Politik auf, Maßnahmen zum Schutz von Flüchtlingen vor dem Coronavirus zu ergreifen.

Mittwoch, 18.03.2020, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 17.03.2020, 14:57 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Weitreichende Einschränkungen im öffentlichen Leben hat die Corona-Pandemie bereits gebracht. Der Flüchtlingsrat Thüringen fordert jetzt die Politik auf, auch Konsequenz im Flüchtlingsbereich zu ergreifen. „Gerade unter Asylsuchenden ist die Verunsicherung derzeit sehr groß, da die meisten Informationen nur auf Deutsch zugänglich sind. Zudem haben wir weiterhin eine prekäre Unterbringungssituation im Land“, erklärt Philipp Millius vom Flüchtlingsrat.

Vielerorts seien die Menschen außerdem in großen Unterkünften in Mehrbettzimmern untergebracht. Teilweise herrschten besorgniserregenden Bedingungen ohne Zugang zu Informationen. In bestimmten Bereichen bräuchten die Menschen zudem Rechtssicherheit, was die aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen durch Corona angeht. „So müssen alle Abschiebungen offiziell bis auf weiteres ausgesetzt werden“, fordert Millius.

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Den Angaben des Flüchtlingsrates zufolge wurden bereits einige Abschiebungen wegen dem Coronavirus storniert. Einen allgemeinen Abschiebungsstopp gebe es allerdings nicht. Dies sei aufgrund der völlig unklaren Lage in weiten Teilen der Welt allerdings nötig. Um Rechtsklarheit zu haben sei ein entsprechender Erlass nötig.

Faire Verfahren gefordert

Auch das Berliner „Zentrum Überleben“ für geflüchtete Folteropfer hat Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte in einem dringenden Appell aufgefordert, angesichts der Corona-Krise für faire und ordentliche Verfahren zu sorgen. Es müsse sichergestellt werden, dass Schutzsuchende ihre Rechte durch eine gute Verfahrensberatung und Vorbereitung der Anhörung wahrnehmen können, erklärte Geschäftsführer Carsten Völz am Dienstag in Berlin. Solange die Krise anhalte, sollten deshalb asyl- und aufenthaltsrechtliche Verfahrenstermine möglichst verschoben werden.

„Wenn öffentliche Stellen geschlossen werden, kann das schwerwiegende Konsequenzen für geflüchtete und schutzsuchende Menschen haben“, sagte Völz weiter. Insofern sollte bei allen Maßnahmen längerfristig und vorausschauend gehandelt werden. Dies betreffe den Umgang mit Aufenthaltspapieren genauso wie staatliche Leistungen. So müsse die gesundheitliche Versorgung genauso gewährleistet bleiben wie die Übernahme von Kosten und Bargeldauszahlungen für Geflüchtete ohne Konto, unterstrich Völz.

Forderungen des Flüchtlingsrates im Einzelnen:

Duldungen verlängern

Das Land sollte per Erlass klarstellen, dass aufenthaltsrechtliche Papiere und erteilte Arbeitserlaubnisse auch nach Auslaufen weiter gelten sollten. Grundsätzlich sollten die Ausländerbehörden Duldungen mit längerer Laufzeit ausstellen, damit die Menschen nicht mehr so häufig zur Ausländerbehörde müssen. Es sollte geprüft werden, ob bestimmte Verfahren vorübergehend auch auf elektronischem Wege möglich sind, z.B. Arbeitserlaubnisverfahren, Verlängerung von Aufenthaltstiteln oder Duldungen.

Fristenverlängerung

Fristen zur Identitätsklärung z.B. für die Ausbildungsduldung oder aber auch für die „Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“ müssen verlängert werden, da viele Konsulate den Betrieb bereits eingestellt haben und Dokumente daher faktisch nicht beschafft werden können.

Aufhebung von Leistungskürzungen

Sämtliche Kürzungen von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz müssen aufgehoben werden, einerseits wegen jetzt fehlender Kausalität der Nichtmitwirkung bei der Abschiebung, andererseits um dem erhöhten Bedarf an Hygieneartikeln Rechnung zu tragen.

Dezentrale Unterbringung

Beengte Unterkünfte, in denen sich oft mehrere Personen ein Zimmer teilen müssen, sind niemals eine gute Idee, bei der Corona-Pandemie erst recht nicht. Für die Bewohner von Sammelunterkünften bedeutet dies aktuell eine extrem belastende Situation, in denen besonders deeskalierende Strategien im Rahmen von vernünftigen Gewaltschutzkonzepten zwingend erforderlich sind. Das Land muss dringend in Kooperation mit den Kommunen ein Konzept entwickeln, um die Anzahl der Personen in Großunterkünften deutlich zu reduzieren und möglichst viele Menschen dezentral unterzubringen sowie die Folgen einer Quarantäne-Situation wie in der Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl für Schutzsuchende zu vermeiden. Hierzu müssen alle Möglichkeiten bei der Unterbringung genutzt werden, um soziale Abstandsregelungen zu wahren und die gesundheitliche Gefährdung für Bewohner durch das Corona-Virus auf ein Minimum zu reduzieren.

Besonders Personengruppen, die als Angehörige einer Risikogruppe eingestuft werden, müssen sofort aus den Sammelunterkünften herausgeholt und separat untergebracht werden. Sowohl in der Erstaufnahme als auch in den Kommunen sollten für die Sammelunterkünfte extra Reinigungs- und Desinfektionsmittel für die Unterkünfte zur Verfügung gestellt sowie die Reinigungsfrequenz vor Ort deutlich erhöht werden.

Zugang zu Informationen

Es gibt bislang keine bzw. nur wenige mehrsprachige Informationen zur aktuellen Lage in Thüringen. Die Thüringer Ministerien sollten Hinweise zur aktuellen Situation auch in den wichtigsten Sprachen von Asylsuchenden zur Verfügung stellen. Dies betrifft sowohl Verhaltenshinweisen bei der Corona-Pandemie als auch Informationen zu Abschiebungen, sonstigen Verfahren etc.  Der Zugang zu Informationen muss für alle sichergestellt werden. In der Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl und allen anderen Unterkünften muss daher schleunigst der kostenlose Zugang zu Informationen und kostenfreiem Internet ermöglicht werden.

Aufenthaltsrechtliche Konsequenzen

Es ist absehbar, dass sich aufgrund der Corona-Pandemie die wirtschaftliche Lage vieler Betriebe verschlechtern wird. Infolge dessen werden wahrscheinlich auch Menschen ihre Arbeit verlieren. Hiervon sind erfahrungsgemäß überproportional prekäre Beschäftigungsverhältnisse betroffen, die häufig von Menschen mit unsicherem Aufenthalt ausgeübt werden.

Gerade bei Regelungen wie der Bleiberechtsregelung oder der neuen Beschäftigungsduldung hängt der Aufenthalt direkt davon ab, dass man den Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit sichert. Hier sollte per Erlass klargestellt werden, dass Unterbrechungen der Lebensunterhaltssicherung infolge der Corona-Pandemie keine negativen aufenthaltsrechtlichen Auswirkungen haben. (mig) Leitartikel Politik

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