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Flüchtlingskinder

Bundesregierung: Hilfe nur mit „Koalition der Willigen“

Die Bundesregierung will Kinder aus den überfüllten Flüchtlingslagern in Griechenland holen. Bedingung ist eine "Koalition der Willigen" mit anderen europäischen Staaten. Erste Zusagen gibt es. Wann den Kindern konkret geholfen wird, ist aber offen.

Dienstag, 10.03.2020, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 09.03.2020, 21:56 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Die Bundesregierung will Kinder aus den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln holen – wann, ist allerdings unklar. Der Koalitionsausschuss von CDU, SPD und CSU verständigte sich in der Nacht zu Montag darauf, auf europäischer Ebene in einer „Koalition der Willigen“ die Übernahme von Kindern aus Griechenland zu organisieren. „In diesem Rahmen steht Deutschland bereit, einen angemessenen Anteil zu übernehmen“, heißt es im Beschluss. Wann diese Koalition stehen soll, blieb offen. Hilfsorganisationen und Experten drangen darauf, schnell zu handeln.

Es handele sich um Kinder, die wegen einer schweren Erkrankung dringend behandlungsbedürftig oder unbegleitet und jünger als 14 Jahre sind, heißt es im Beschluss weiter. Ob kranke Kinder mit Eltern in andere Länder geholt werden sollen, blieb ebenfalls noch offen. Eine Aufnahme im Familienverband sei aber „wahrscheinlich“, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums.

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1.000 bis 1.500 Kinder

Nach seinen Angaben liefen bereits am Montag auf verschiedenen Ebenen Gespräche über eine europäische Initiative. Ob es am Freitag beim Treffen der EU-Innenminister, vielleicht schon davor oder erst später einen konkreten Beschluss geben soll, konnte er noch nicht sagen.

Im Beschlusspapier der Koalition ist von 1.000 bis 1.500 Kindern die Rede. Die Bundesregierung hatte in der vergangenen Woche wiederholt betont, dass sie keinen Alleingang bei der Aufnahme wolle, sondern auf eine europäische Initiative setze. EU-weit haben sich laut Europäischer Kommission mindestens fünf Länder zur Aufnahme unbegleiteter Minderjähriger von den griechischen Inseln bereiterklärt. Kommissionschefin Ursula von der Leyen sagte, es gebe „positive Antworten“ zum Beispiel auch aus Frankreich, Portugal, Luxemburg und Finnland.

Seehofer: Priorität für Grenzschutz

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) betonte am Montag aber auch erneut die Priorität für den EU-Grenzschutz. Ordnung und Begrenzung von Migration seien Voraussetzung für Humanität, erklärte Seehofer: „Zu allererst müssen wir jetzt Griechenland helfen.“

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) sagte, Deutschland habe die Kapazitäten, um zu helfen. „In den vergangenen Jahren hat Deutschland gezeigt, dass wir unbegleiteten Kindern und Jugendlichen einen guten Schutz und neue Perspektiven bieten können“, sagte sie.

Jelpke: Wir haben erhebliche Kapazitäten

Ähnlich argumentiert auch Ulla Jelpke (Die Linke). „Die Entscheidung der Bundesregierung, gemeinsam mit anderen EU-Staaten 1.000 bis 1.500 unbegleitete Minderjährige aufzunehmen, ist kein humanitärer Akt, sondern eine Bankrotterklärung. Deutschland hat erhebliche Aufnahmekapazitäten: 140 Städte und etliche Bundesländer haben mit Nachdruck ihre Bereitschaft zur Flüchtlingsaufnahme erklärt. Seehofer muss umgehend seine Zustimmung erteilen“, erklärte die Innenpolitikerin.

Auch der Vorsitzenden des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR), Prof. Dr. Bendel, zufolge kann die geplante Aufnahme „nur ein Anfang sein“. Weitere Taten müssten folgen. „Solange sich die EU nicht einigen kann, wie sie die in Griechenland ankommenden Flüchtlinge auf ihre Mitgliedstaaten verteilt, müssen pragmatische und flexible Lösungen gefunden werden. Deutschland sollte dabei vorangehen und darf nicht warten, bis andere Staaten auch Verantwortung übernehmen“, erklärte Bendel am Montag.

Hilfsorganisationen fordern schnelles Handeln

Hilfsorganisationen forderten am Montag ebenfalls ein schnelles Handeln und eine Ausweitung der Hilfe auf andere Gruppen. Die Aufnahme sollte auch für vulnerable Familien von Minderjährigen gelten, erklärte die Gemeinschaft Sant’Egidio. Die Lage der Flüchtlinge auf den griechischen Inseln sei wirklich dramatisch und verschlimmere sich Tag für Tag.

Der Geschäftsführer von Unicef Deutschland, Christian Schneider, bezeichnete die Planungen der Bundesregierung als „eine wichtige humanitäre Geste“. Allerdings müssten auch die unhaltbaren Zustände in Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln so schnell wie möglich abgestellt werden. In Griechenland leben Unicef zufolge etwa 40.000 geflüchtete und migrierte Kinder, von ihnen sind 5.300 unbegleitet.

World Vision: 14.000 Kinder harren aus

Die Hilfsorganisation World Vision teilte mit, mehr als 14.000 Kinder harrten derzeit auf den griechischen Inseln aus. Die Hilfe für unbegleitete Minderjährige sei ein Schritt in die richtige Richtung. Dabei dürfe es aber nicht bleiben. Auch die Vorsitzende des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration, Petra Bendel, sagte, der Beschluss des Koalitionsausschusses könne nur ein Anfang sein.

Kritik am Beschluss kam von der AfD. Die Entscheidung, Kinder und Jugendliche aufzunehmen, sei ein „Dammbruch“, erklärten die Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel und Alexander Gauland. (epd/mig) Leitartikel Politik

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  1. Gerrit sagt:

    Wenn ich das schon höre/lese: Eine Koalition der Willigen …

    Der Begriff wurde auch benutzt im 3ten Golfkrieg – hat also einen sehr bitteren Beigeschmack. Nicht einmal in der Wortfindung zeigen große Teile der Verantwortlichen so etwas wie Menschlichkeit.

    Herr Seehofer betont die Priorität der Grenzsicherung und die Notwendigkeit der Hilfe für Griechenland. Jahrelang konnt man das schon tun, denn Moria oder die Situation z.B. auf den Ägäis-Inseln ist ja nicht erst seit gestern so schlimm.

    Wir reden von Kindern und da muss man immer noch warten, wohlmöglich irgendwelche Sondergipfel abhalten (mit dem Geld für diese Sondergipfel konnte man die Kinder schon lange versorgen). Es wird verzögert, verschoben und verschleppt.

    All die, die das unterstützen, sollte man vier Wochen unter den Bedingungen „leben“ lassen. Dann würde vieles schneller erledigt.

    Die EU-Kommission hat (lt. einem anderen Artikel) dringend zu mehr Hilfe auf den griechischen Inseln aufgerufen, eine Verdoppelung der Anstrengungen der int. Hilfsorganisationen quasi gefordert. Das sollten sie vielleicht mal der Chefin, Frau von der Leyen, sagen. Und vielleicht auch dafür sorgen, daß eben diese Helfer nicht von rechten Chaoten angegriffen werden. Solche Aufrufe lassen mich immer an einen Ausspruch von Otto v. Bismarck denken.

    Wenn man sagt, daß man einer Sache grundsätzlich zustimmt, bedeutet das, daß man nicht die geringste Absicht hat, sie in der Praxis durchzuführen. (Otto v. Bismarck)

    So, genau so verhält sich die EU !!!