Apartheit
Südafrikas langer Weg in die Zukunft
Für Südafrika war dieser Moment eine Zeitenwende: Am 11. Februar 1990 wurde Nelson Mandela nach 27 Jahren aus der Haft entlassen. Das Ende der Apartheid war eingeläutet. Doch 30 Jahre später warten viele Schwarze immer noch auf eine bessere Zukunft.
Von Benjamin Dürr Dienstag, 11.02.2020, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 10.02.2020, 15:34 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Nelson Mandela hat nur wenige Stunden geschlafen. Um halb fünf am Morgen wacht er auf, macht – wie er sich er sich es über Jahrzehnte in Haft angewöhnt hat – einige Übungen, wäscht sich, frühstückt. Danach setzt er sich an die Arbeit. Eine Rede muss noch geschrieben werden, der Gefängnisarzt schaut für eine letzte Untersuchung vorbei. Kisten mit Büchern und anderen Besitztümern müssen gepackt werden.
Es ist der 11. Februar 1990 – der Tag, an dem Mandela aus dem Gefängnis entlassen wird. 27,5 Jahre war er eingesperrt, weil er gegen das Apartheid-System in Südafrika kämpfte. Weltweit wurde er zu einer Symbolfigur des Widerstands. Als das System Ende der 80er Jahre so nicht mehr zu halten war, entschied das Regime, Mandela freizulassen und das Verbot seiner Bewegung, des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC), aufzuheben.
Dieser Moment war eine Zeitenwende. Mandelas Freilassung ist heute ein Symbol für das Ende der Apartheid. Die schwarze Bevölkerung schöpfte Hoffnung auf Freiheit und gleiche Chancen für alle. Manche Erwartung erfüllte sich zwar. Doch die große Euphorie ist weit verbreiteter Enttäuschung und Frust gewichen, denn noch immer lebt ein Großteil der Schwarzen in Armut und Chancenlosigkeit.
Ein ikonisches Foto
Im Februar 1990 führt Mandelas Beliebtheit auch zu rein praktischen Fragen: Wo kann er zu seinen Anhängern sprechen, die so lange auf ihn gewartet haben? Und vor allem: Wo soll er die erste Nacht in Freiheit verbringen? Er selbst hätte aus Solidarität mit der Bevölkerung am liebsten im Schwarzenviertel der Cape Flats übernachtet, wie Mandela in seiner Autobiografie „Ein langer Weg zur Freiheit“ schrieb. Seine Frau Winnie und seine Kollegen, darunter der heutige Präsident Cyril Ramaphosa, überzeugen ihn jedoch, in der Residenz von Erzbischof Desmond Tutu zu übernachten.
1964 war Mandela zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Er hatte als ANC-Anführer Proteste und Sabotageakte gegen das Apartheid-Regime organisiert. 18 Jahre verbrachte er im berüchtigten Gefängnis auf der Insel Robben Island vor Kapstadt, in einer kleinen Zelle mit einem Metalleimer als Toilette, den er jeden Morgen selbst leeren musste. Die Gefangenen verrichteten Zwangsarbeit, zum Beispiel im Steinbruch. „Sie wollen unsere Seele brechen“, schrieb Mandela in einem Brief über den Drill.
Mehrmals wird er verlegt, zuletzt in das Victor-Verster-Gefängnis in Kapstadt. Von hier kommt er in die Freiheit. Es ist ein Sonntagmittag, zu Fuß schreitet Mandela mit seiner Frau durch das Tor. Mehrere Hundert Anhänger nehmen ihn in Empfang. Mandela reckt die Hand in den Himmel – ein ikonisches Foto, das um die Welt geht. „Man wollte sich ständig kneifen und sagen: Wir träumen das alles“, erinnerte sich später Desmond Tutu. Doch da stand Mandela „lebensgroß und mit seiner majestätischen Präsenz“.
Vieles hat sich verbessert
„Heute erkennt die Mehrheit der Südafrikaner, Schwarze und Weiße, dass die Apartheid keine Zukunft hat“, ruft Nelson Mandela kurz danach vom Balkon des Kapstädter Rathauses. Dieser Moment müsse genutzt werden, um den Weg zur Demokratie schnell und ohne Hindernisse beschreiten zu können: „Unser Marsch zur Freiheit ist unumkehrbar.“ Mandela erhält 1993 den Friedensnobelpreis und wird 1994 zum ersten schwarzen Präsidenten des Landes gewählt.
Vieles hat sich seither verbessert: Durch die Aufhebung der Sanktionen gegen Südafrika nahm der Handel schnell zu und sorgte für Wirtschaftswachstum. Mehr Menschen haben heute fließend Wasser, gehen zur Schule und haben Zugang zu Gesundheitsversorgung.
Doch viele, vor allem schwarze Südafrikaner, haben wenig oder gar nicht profitiert. Laut der Weltbank gehört Südafrika zu den Ländern mit der größten Ungleichheit zwischen Arm und Reich – die seit Ende der Apartheid sogar noch zugenommen hat. Von der hohen Arbeitslosigkeit von mehr als 27 Prozent sind vor allem junge Schwarze betroffen. Gleichzeitig grassiert in Regierung und Behörden massive Korruption. Laut der offiziellen Statistik nimmt auch die Gewalt zu: Die Zahl sexueller Angriffe steigt nach mehreren Jahren Rückgang seit 2016 wieder an, die Mordrate erhöht sich kontinuierlich.
Win tief verwurzeltes Phänomen
Der Politik sei es nicht gelungen, eine tiefgreifende Transformation in Gang zu setzen, kommentierte Wirtschaftsprofessor Murray Leibbrandt den jüngsten Weltbank-Bericht. Wohlstand und Armut würden – wie zu Apartheid-Zeiten – von Generation zu Generation weitergegeben. „Dies ist ein tief verwurzeltes Phänomen, das sich nicht leicht umkehren lässt“, sagte Leibbrandt, der an der Universität Kapstadt lehrt.
Die Jugend, die nach der Apartheid geboren wurde, wendet sich von der Politik ab. Die Wahlbeteiligung der Unter-20-Jährigen sank bei der Abstimmung im vergangenen Mai auf den niedrigsten Stand seit 1999.
Südafrika gehöre laut der Freiheitscharta aus der Apartheid-Zeit allen Menschen, die darin lebten, betont der südafrikanische Jurist Jody Kollapen. „Aber das bleibt ein wunderbares Ideal“, und das Land sei noch weit davon entfernt. In mancher Hinsicht seien sieben Jahre nach Mandelas Tod im Jahr 2013 Fortschritte erreicht. „Daraus müssen wir Trost schöpfen“, erklärt der Richter am Verfassungsgericht in einem Beitrag für die Unesco. Südafrika sei heute eine bessere Gesellschaft. „Und es gibt genug Willen, auf der Vision aufzubauen, die Mandela uns hinterlassen hat.“ (epd/mig) Ausland Leitartikel
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