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Björn Höcke (AfD) (r.) gratuliert Thomas Kemmerich (FDP) (l.) nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten von Thüringen

Thüringen

Juden und Muslime entsetzt über Kemmerich-Wahl

Jüdische und muslimische Spitzenrepräsentanten kritisieren scharf, dass in Thüringen mit AfD-Stimmen ein neuer Ministerpräsident gewählt wurde. Damit verlasse die FDP den Konsens der demokratischen Parteien.

Donnerstag, 06.02.2020, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 05.02.2020, 22:19 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum neuen thüringischen Ministerpräsidenten scharf kritisiert. „Ich bin entsetzt, dass sich der Landes- und Fraktionschef der FDP in Thüringen mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten hat wählen lassen“, erklärte Zentralratspräsident Josef Schuster am Mittwoch in Berlin. Damit verlasse die FDP den Konsens der demokratischen Parteien, nicht mit der AfD zusammenzuarbeiten oder auf die Unterstützung der Rechtspopulisten zu zählen.

Der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, sprach von einem Damm- und Tabubruch in Deutschland. „Dass es gerade dieser rechtsextremen Höcke-AfD so leicht gelungen ist, die demokratischen Parteien als konsensunfähig vorzuführen, ist ein politisches Desaster mit weitreichenden Folgen“, erklärte Heubner in Berlin. Die oft gehörten Beschwörungen zur Abgrenzung von der AfD würden immer unglaubwürdiger. In der Auseinandersetzung mit Neonazis und Rechtsextremen in Europa sei dies für Überlebende des Holocaust ein fatales Signal aus Deutschland, sagte Heubner.

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Die frühere Zentralratspräsidentin Charlotte Knobloch schrieb im Kurznachrichtendienst Twitter, die Wahl sei „ein Tabubruch ohne Beispiel in der jüngeren Geschichte unseres Landes“. Auch wenn es keine klaren Mehrheitsverhältnisse im Landtag gegeben habe: Einen Regierungschef, der nur dank Stimmen „einer rechtsradikalen Partei ins Amt gelangen konnte, darf es in einer Demokratie nicht geben“, schrieb die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern.

Muslime entsetzt

Die Türkische Gemeinde in Deutschland kommentierte den Wahlausgang im Twitter kurz mit: „Deutschland 2020: Der Faschismus entscheidet wieder Wahlen.“ Der Vorsitzender der Zentralrat der Muslime, Aiman Mazyek schrieb im Kurznachrichtendienst, dass „Nazi #Höcke als Königsmacher in #Thüringen“ zugelassen wurde.

Der Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs, Bekir Altaş, zeigte sich ebenfalls entsetzt. „Wir hätten einen Ministerpräsidenten, der mit Stimmen der AfD gewählt wurde, nicht für möglich gehalten. Die FDP hat damit eine rote Linie überschritten.“ Die AfD sei eine offen islamfeindliche Partei, deren Politik gegen alle Minderheiten gerichtet sei. „Das ist eine noch nie dagewesene Verschiebung nach rechts – wenige Tage nach dem Gedenken an die Auschwitz-Befreiung ist das umso erschütternder“, so Altaş.

Mit Unterstützung der AfD

Kemmerich erhielt im dritten Wahlgang 45 Stimmen der 90 Abgeordneten. Er setze sich damit gegen den bisherigen Amtsinhaber Bodo Ramelow (Linke) durch, der 44 Stimmen auf sich vereinen konnte. Kemmerich wurde unmittelbar nach der Wahl vereidigt.

Der Liberale wurde offensichtlich mit der Unterstützung der AfD ins Amt gehoben. Deren eigener Kandidat, der parteilose ehrenamtliche Bürgermeister von Sundhausen, Christoph Kindervater, erhielt im dritten Wahlgang keine Stimme mehr.

Kurz nach Bekanntwerden des Wahlausgangs kam es vor dem Thüringen Landtag zu spontanen Demonstrationen. Pro Asyl, Landesflüchtlingsräte und Tausende Bürger protestierten gegen das Ergebnis. Menschenrechtsorganisationen erklärten in einer gemeinsamen Erklärung den Wahlausgang als „erneute Machtergreifung mittels faschistischer Steigbügelpolitik, die schon einmal vor 90 Jahren in Thüringen ihren Anfang nahm“. (epd/mig) Leitartikel Politik

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  1. keisner sagt:

    betr: Thüringen
    Nicht nur die FDP begeht einen TABUBRUCH, VOR ALLEM DIE CDU. Ihre Haltung ist mindestens undurchsichtig. Kemmering behauptet doch, er habe sich vorher mit allen abgestimmt, auch mit der CDU-Führung. Insofern ist die Parallele zu 1930, als die NSDAP mit Neuwahlen drohte, wenn ihr Kandidat Frick nicht zum Innenminister gewählt wird, frappierend. Heute braucht die AFD nicht mit Neuwahlen zu drohen, sie kann beruhigt darauf warten, bis den bürgerlichen Altparteien keine andere Lösung einfällt.

  2. Waltraud Hübner sagt:

    Ich bin zutiefst empört, wie man eine Partei wählen kann, die durch rechtslastige Äußerungen mehrmals bewiesen hat, dass sie nicht auf dem Boden des Grundgesetzes steht. Noch beschämender ist allerdings das Verhalten von CDU und FDP. Weniger politische Professionalität geht ja gar nicht mehr!

  3. Ute Plass sagt:

    „Menschenrechtsorganisationen erklärten in einer gemeinsamen Erklärung den Wahlausgang als „erneute Machtergreifung mittels faschistischer Steigbügelpolitik, die schon einmal vor 90 Jahren in Thüringen ihren Anfang nahm“.

    Dazu ein lesens/hörenswertes Gespräch mit der Historikerin Eva Schlotheuber: „Warum Erfurt nicht Weimar ist“
    https://www.deutschlandfunkkultur.de/problematische-nazivergleiche-warum-erfurt-nicht-weimar-ist.1008.de.html?dram:article_id=469912