Lektionen von Jair Bolsonaro
Wie wird man ein erfolgreicher Hetzer?
In Brasilien wurde mit Jair Bolsonaro ein Populist zum Präsident gewählt. In seiner Kampagne hat er sich nicht nur der Muster des europäischen Rechtspopulismus bedient. Was können wir daraus lernen? Von Dr. Liriam Sponholz
Von Liriam Sponholz Freitag, 02.11.2018, 5:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 05.11.2018, 17:20 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Letzten Sonntag wurde der rechtsextreme Kandidat Jair Bolsonaro, ein Ex-Hauptmann, dem es nicht gelang, in der Armee Karriere zu machen und der seit fast 30 Jahren für eine unbedeutende Partei im brasilianischen Parlament saß, im zweiten Wahlgang zum neuen Präsidenten Brasiliens, der größten Demokratie der südlichen Hemisphäre, gewählt. Im Wahlkampf hatte er wiederholt die Folter und die Militärdiktatur verteidigt, Frauen öffentlich abgewertet und Minderheiten, wie Homosexuelle, Schwarze und Indigene, massiv angegriffen. Die aggressive Kampagne verstärkte die bestehende Polarisierung der Gesellschaft und fegte viele Akteure von der politischen Bühne, die jahrelang die brasilianische Politik bestimmt hatten.
„Tropical Trump“
Marine Le Pen, Vorsitzende des Rassemblement National (ehemals Front National) erklärt den politischen Hurrikan, den Bolsonaro in Brasilien ausgelöst hatte, damit, dass es eine „andere Kultur sei“. Wenn es aber nur an der Kultur liege, wie Le Pen meinte, warum sollte man sich darüber sorgen? Weil Marine Le Pen mit ihrer neorassistische These einer „anderen Kultur “offensichtlich falsch liegt.
Schon vor der Wahl Bolsonaros hatte sich der italienische Innenminister und Vorsitzender der Lega Nord Matteo Salvini mit seinen Äußerungen gegen Migranten und Minderheiten in eine Reihe mit Bolsonaro gestellt.
Auch die österreichische FPÖ kombiniert wie Bolsonaro in ihrer politischen Kommunikation identitäre Fragen mit der Selbstplakatierung als „Anti-System“-Akteur und inszeniert sich als volksnah. Dabei bevorzugt sie vor allem der direkte „Ansprachen“ auf Facebook.
Der ehemalige „Parlamentsclown“, wie Bolsonaro als Abgeordneter bezeichnet wurde, wird in der Öffentlichkeit vielfach als „Tropical Trump“ bezeichnet, wenngleich er in Aussagen und Ideen Trumps „Freund“ Rodrigo Duterte noch mehr ähnelt. Die Verbindung zur US-amerikanischen Rechten ist eng: So traf sich Trumps Ex-Berater Steve Bannon traff während des Wahlkampfes mit Eduardo Bolsonaro, Sohn und einer der Wahlkampfstrategen, des später siegreichen Kandidaten.
Sowohl die Verbindungen als auch die Agenda und die angewandten Kommunikationsstrategien von Bolsonaro machen deutlich, dass er der tropische Ring einer Kette ist, die als transnationale Rechte oder Global Far Right bezeichnet wird. Nicht zuletzt ist das der Grund, warum das brasilianische Experiment auch in Deutschland sehr genau beobachtet werden sollte.
„Innovationen“
Wie aber ist sein Erfolg zu erklären? Bolsonaros Kampagne hat sich nicht nur der „alten Muster“ des europäischen „Rechtspopulismus“ – der Populismusforscher Cas Mude bevorzugt hier zurecht den Begriff „Populist Radical Right Parties“ – bedient. Ein entscheidender Faktor war eine Weiterentwicklung in der Verwendung der Social Media, eine Form der Öffentlichkeit, die für alle Themen und Akteure offen ist, in der realpolitische Verhältnisse aufgehoben und wo politische Sprecher auf Augenhöhe agieren bzw. egalisiert werden.
Erstens: Facebook war gestern. Will man Hate Speech betreiben, was hier hieß, gegen Frauen und Minderheiten zu hetzen und „Hassrede“ von Nutzern zu provozieren, eignet sich Whatsapp viel besser: Keine Filter, nicht einmal Algorithmen, welche die Inhalte bzw. deren Verteilung mitgestaltet, gilt es hier zu beachten. Das Ergebnis im brasilianischen Wahlkampf war, dass Memes und Fake News prompt auf dem Handy landeten, und zwar direkt in den Gesprächen der Familiengruppe. Nicht der Kandidat hat Propaganda geschickt, sondern Tio João (oder vielleicht demnächst, Onkel Hans) hat „etwas“ gepostet. Egal wie lächerlich das klingt: Es gelang der der Blosonaro-Kampagne in den Gruppen auf Whatsapp sogar erfolgreich, der konkurrierenden Arbeiterpartei zu unterstellen, dass diese plane, Babyflaschen in Krippen durch solche mit einem Phallus-Sauger zu ersetzen.
Die „Migration“ von Twitter und Facebook hin zu einem Messenger-Dienst wie Whatsapp hatte sich schon länger angekündigt. Österreichische Medien berichteten letztes Jahr bereits von der Veröffentlichung „Leaked Anne Frank Nudes“ in Facebook-Gruppen „FV-Jus Männerkollektiv“ und „Aktive AG Jus’ler“ sowie in dem Whatsapp-Chat „Badass Warlords“. Nach Informationen der Tageszeitung Der Standard gehören oder gehörten die Mitglieder der Gruppe zum Großteil der bei der ÖH-Wahl kandidierenden ÖVP-nahen Aktionsgemeinschaft (AG) am Wiener Juridicum an, die restlichen sind Bekannte und Freunde von ihnen und auch Mitglieder der Jungen ÖVP. In Indien waren durch via Whatsapp verbreitete Fake News sogar Lynchaktionen ausgelöst worden.
Folgen für Deutschland
Die neue Strategie der Hetze ist aus zwei Gründen interessant. Zuerst stellt sich die Frage, warum ein Messenger-Dienst wie Whatsapp die Vernetzung von bis zu 200 Handynummern ermöglicht. Sind Whatsapp-Gruppen dadurch nicht bereits als Öffentlichkeit einzustufen? Oder entkommen sie als Messenger-Dienst den normativen Ansprüchen an öffentliche Diskurse?
Letzteres sah die deutsche Bundesregierung anders, als sie die 2017 das Netzwerkdurchsetzungsgesetz verabschieden ließ, was garantieren sollte, dass schon existierende Gesetze wie z.B. jenes gegen Volksverhetzungen, auch auf Netzwerkplattformen durchgesetzt werden kann. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz gilt aber nur für Facebook, Twitter und andere Social Networking Sites, aber nicht für Whatsapp, was als Messenger-Dienst eingestuft wurde.
Transnationaler vs. Nationaler Kontext
Sicherlich lässt sich die Global Far Right-Welle nicht nur mit Veränderungen im Mediensystem erklären. Hinzu kommen auch hausgemachte Probleme auf nationaler Ebene. In Brasilien sind dies neben einer tiefen wirtschaftlichen Krise, dysfunktionale politische Institutionen und die daraus resultierende Korruption.
Die seit 2014 juristisch verfolgte Korruption, die als Operation „Lava-Jato“ (Autowäsche) bekannt wurde, trifft dabei vornehmlich Mitglieder der Arbeiterpartei, die das Land seit 14 Jahren regiert hatten. Aus der Konservativen PSDB, ebenfalls in Korruption verstrickt, sitzt bis heute kein Vertreter im Gefängnis.
Infolge der Korruptionsskandale kam es 2016 zu einem Amtserhebungsverfahren gegen die damalige Präsidentin Dilma Rousseff 2016, wodurch die Linkswende, die in den 2000er Jahren in Südamerika stattgefunden hatte, auch in Brasilien zu Ende ging. Rousseff wurde allerdings keine Selbstbereicherung vorgeworfen oder nachgewiesen. Was folgte war eine Übergangsregierung, deren zentrale Akteure – inklusive des neuen Präsident Michel Temer – tief in korrupten Machenschaften verwickelt waren, so dass von der Glaubwürdigkeit der politisch etablierten Parteien wenig übrig blieb.
Der prominenteste Verurteilte der Operation „Lava-Jato“ ist der Ex-Präsident Luis Inacio Lula da Silva, der bei der aktuellen Wahl wieder kandidieren wollte und in den Umfragen führte, bis seine Kandidatur gerichtlich untersagt wurde.
Bei der Präsidentschaftswahl gingen die Konservativen der bis dato staatstragenden Partei PSDB mit dem absolut schwachen Kandidat Geraldo Alckmin ins Rennen, der so farblos blieb, wie es sein Spitzname „Chuchu“ (Chayote – ein grüner Kürbis) nahelegt. Die Linke wiederum war zersplittert in drei verschiedene Kandidaturen. Hinzu kam noch ein lebensgefährliches Attentat gegen Bolsonaro knapp einen Monat vor dem ersten Wahlgang.
Im zweiten Wahlgang traf Bolsonaro mit Fernando Haddad auf einen Kandidaten der Arbeiterpartei, dem es aber nicht gelingen sollte, die übrigen linken Kandidaten und Teile der gesellschaftlichen Mitte hinter sich zu vereinen. Der Wahlkampf auf die Straße war nicht zuletzt durch die stete Hetze der Bolsonaro-Kampagne durch Einschüchterung und Gewalt gegen Andersdenkende, Intellektuelle, Homosexuelle und Frauen geprägt.
In einem solchen Kontext wird klar, dass die Social Media-Kampagne nur eines von mehreren Elementen ist, welches den Wahlausgang bestimmte. Sie trugen aber entscheidend dazu bei, dass beide Lager kommunikativ unter sich blieben (sogenannte Echo Chambers) und so zwar die eigenen Anhänger mobilisierten, aber die gesellschaftliche Polarisierung vertieften. Bolsonaros Hate Speech hat hierin seinen zentralen Anteil und ist eines der Glieder in einer Kette von Umständen. Erst das Zusammenkommen aller Glieder hat die Kette geschmiedet, anhand der er die Wahl gewinnen konnte und so die Möglichkeit bekommt, die Demokratie Brasiliens zu ersticken.
Was nun?
Als Lateinamerikaner weiß man, dass der Subkontinent immer wieder als Versuchslabor für alle möglichen wirtschaftlichen und sozialen Experimente dient. Es bleibt zu hoffen, dass der Rest der Welt aus dem „medialen Experiment“ Bolsonaro lernt, dass eine Kommunikation ohne Regulierung keine Freiheit garantiert. Ein solches Verständnis von freier Kommunikation dient nur dazu, das Gesetz des Stärkeren bzw. des Dschungels zu institutionalisieren. Aktuell Meinung
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