Obdachlosigkeit, Armut, Parkbank, Sitzen, Mann
Obdachloser auf einer Parkbank (Symbolfoto) © Paleontour @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Schutzlos ausgeliefert

Wie EU-Bürger in Deutschland aus dem sozialen Netz fallen

In deutschen Großstädten hausen Menschen ohne ein Dach über dem Kopf, ohne Anspruch auf ärztliche Hilfe oder Sozialhilfe. Oft kommen sie aus Bulgarien oder Rumänien. Wie der Tagelöhner Kasimir, der von sich sagt: "Ich bin hier verloren." Von Rudolf Stumberger

Von Rudolf Stumberger Montag, 29.10.2018, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 04.11.2018, 18:41 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Die Reichenbachbrücke in München überquert die Isar in der Stadtmitte. Zugleich gibt sie Menschen ein Dach über dem Kopf. Zurzeit „wohnen“ dort auch Ismet (47), Valentin (53), Kasimir (43). Die Tagelöhner des 21. Jahrhunderts stammen aus Bulgarien und dürfen sich nach EU-Recht in Deutschland aufhalten und arbeiten. Anrecht auf Sozialhilfe haben sie nicht. Eine Wohnung können sie sich in der Stadt mit den höchsten Mieten nicht leisten.

So hausen die drei mit anderen Kumpels zusammen unter der Brücke. Auf herbeigeschleppten Matratzen und zwischen Stühlen und einem Tisch vom Sperrmüll. Irgendwo steht ein kleiner Rollkoffer, sogar eine Blumenvase mit Blumen. „Ich bin hier verloren“, sagt Kasimir, und zeigt zur Bekräftigung eine Plastiktüte mit Pfandflaschen. Davon lebt er.

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30.000 Bulgaren und Rumänen in München

Deutschland ist für südosteuropäische Arbeitsemigranten das bevorzugte Ziel. Derzeit leben in und um München rund 13.000 Bulgaren und knapp 18.800 Rumänen, viele davon in prekären Verhältnissen. Bürger der beiden EU-Mitgliedsländer können in der Europäischen Union Wohn- und Aufenthaltsort frei wählen und auch in anderen EU-Ländern arbeiten. Doch das soziale Netz für diese Menschen aus der „Armutszuwanderung“, wie es im Fachjargon heißt, ist löchrig. So hausen die Männer in Parks, zwischen Gleisen und am Mittleren Ring.

Heute treffen sich Ismet und Valentin, die Obdachlosen von der Reichenbachbrücke, in einem Beratungscafe der Arbeiterwohlfahrt mit Lisa Riedner von der Initiative Zivilcourage. Die Initiative kümmert sich um die Menschen aus Südosteuropa, die hier auf Arbeitssuche sind und meist kein Deutsch sprechen. Die junge engagierte Frau spricht auch ein wenig Türkisch – das ist neben dem Bulgarischen die Sprache der Minderheiten an der bulgarisch-türkischen Grenze.

Kein Geld bisher

Bei dem Beratungstermin heute geht es um den ausstehenden Lohn von Ismet und Valentin. Sie sind von einem Subunternehmen für eine Baustelle in Feldmoching im Norden von München angeheuert worden. Eine Woche haben sie dort gearbeitet, aber Geld haben sie bisher nicht gesehen. Jetzt soll Lisa Riedner mit ihnen hinaus zur Baustelle fahren und mit der Bauleitung reden, damit sie ihren Lohn bekommen.

Zusammen fahren sie mit der S-Bahn auf die Baustelle. Direkt neben der Bahn-Strecke soll hier ein Boarding-Haus für Montagearbeiter entstehen, das Gebäude ist schon weitgehend fertiggestellt. Ismet zeigt die Stellen, an denen sie gearbeitet haben: beim Innenausbau, beim Schleppen von Holzpaletten, beim Schlagen von Kabelschlitzen. Sie versuchen auf der Baustelle den Vorarbeiter zu finden, der ihnen die Arbeit verschafft hat – vergebens. Auch den Namen der Subfirma, die sie angeworben hat, wissen die beiden Bulgaren nicht. Nur dass der Mann „Theo“ heißt.

Zurück unter die Reichenbachbrücke

Schließlich kommen sie ins Büro der Bauleitung. Der anwesende Ingenieur hört sich die Forderung der beiden Arbeitsmigranten an. Lisa Riedner übersetzt und sagt auch schon mal resolut: „Das Beste wäre, sie würden den Männern jetzt ihren Lohn auszahlen!“ Der Bauleiter hört sich das an, und dann geht es noch einmal hinaus auf die Baustelle. Noch einmal zeigen Ismet und Valentin, wo und was sie gearbeitet haben. Immerhin wird jetzt klar, welcher Subunternehmer in der Schuld steht.

Der Bauleiter verspricht, er werde sich an die Firma wegen des fehlenden Lohns wenden, das könne aber ein paar Tage dauern. Für heute bleibt den Männern aus Bulgarien nichts übrig, als wieder zurückzufahren – zu ihrem Unterschlupf unter der Reichenbachbrücke. Doch diesmal geht die Geschichte gut aus. Eine Woche später schreibt Lisa Riedner per E-Mail: „Ismet hat mir gestern berichtet, dass der Subunternehmer ihm und seinen Freunden das geforderte Geld ausgezahlt hat.“ (epd/mig) Leitartikel Panorama

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