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"Menschenkind" von Toni Morrison

Buchtipp zum Wochenende

Toni Morrisons visionäre Wucht in „Menschenkind“

Vor 25 Jahren wurde in den USA gefeiert, besonders im schwarzen Amerika: Als erste Afroamerikanerin bekam Toni Morrison den Literaturnobelpreis. Mit Wucht schreibt sie von tiefsitzendem Rassismus - und davon, wo seine Wurzeln liegen. Von Konrad Ege

Von Konrad Ege Freitag, 05.10.2018, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 08.10.2018, 21:14 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Das Mädchen Pecola Breedlove in „The Bluest Eye“ (Sehr blaue Augen) wünscht sich inbrünstig blaue Augen. Die Mutter Sethe in „Beloved“ (Menschenkind) tötet eines ihrer Kinder, um es von der Versklavung zu bewahren. Toni Morrisons Werke sind voll visionärer Wucht und poetischer Kraft, wie das Nobelkomitee vor 25 Jahren befand. Am 7. Oktober 1993 wurde die US-Schriftstellerin und Professorin an der Universität Princeton mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet – als erste schwarze Frau.

Morrison erwecke einen grundlegenden Aspekt der amerikanischen Realität zum Leben, erklärte das Nobelkomitee. Gemeint war: das Leben schwarzer Menschen in den USA und deren von Demütigung, Misshandlung und Widerstand geprägte Geschichte. Ihre Hauptpersonen sind meist afrikanisch-amerikanische Frauen.

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Oft geht es um die Folgen der Sklaverei – um tiefe seelische Wunden, die nicht verheilt sind, und um Liebe, die vor großen Herausforderungen steht. „Die Vereinigten Staaten wurden von Weißen für Weiße gegründet“, sagte die heute 87-jährige Morrison im Frühjahr in einem Interview. „Amerikaner zu sein, heißt, weiß zu sein. Schwarze hatten diese Möglichkeit nie.“

Morrison entschlüssele schwarze Communitys, sagt die Direktorin der „Toni Morrison Gesellschaft“, Carolyn Denard. „Sie führt uns weg von Stereotypen und erzählt Geschichten von Menschen, im Guten und im Schlechten.“ Auch für viele junge Menschen sei die Schriftstellerin relevant, sagte Denard dem epd. Man nehme nur „Sehr blaue Augen“, das sich mit Schönheitsidealen befasse.

Bester amerikanischer Roman

Die „New York Times“ hat 2006 einige hundert Persönlichkeiten aus der Welt der Literatur nach dem besten amerikanischen Roman der vergangenen 25 Jahre gefragt. Morrisons „Menschenkind“ bekam die meisten Stimmen. Es folgten Don DeLillo (Unterwelt), Cormac McCarthy (Die Abendröte im Westen) und John Updike (die „Hasenherz“-Serie).“

Als zweites von vier Kindern einer Arbeiterfamilie 1931 in Lorain/Ohio geboren, las Toni Morrison schon als Kind die Bücher von Jane Austen und Leo Tolstoi. Nach dem Studium wurde sie Lektorin beim Verlag Random House, fing relativ spät mit dem Schreiben an. Sie war berufstätig, alleinerziehende Mutter zweier Söhne und hatte wenig Zeit. Ihre Ehe war 1964 nach sechs Jahren gescheitert.

„Sehr blaue Augen“

Morrisons erster Roman, „Sehr blaue Augen“, erschien 1970. Da war sie bereits 39 Jahre alt. Ihr bisher letzter, „Gott, hilf dem Kind“, kommt im Oktober in deutscher Übersetzung heraus. Darin kommt die Autorin auf die Hautfarbe zurück, den Umstand – so Morrison in einem Rundfunkinterview -, dass ein gesellschaftliches Ranking existiere, bei dem das „Hautprivileg“ sich nach Helligkeit der schwarzen Hautfarbe richtet. Im Roman verstößt ein Vater sein Baby mit sehr schwarzer Hautfarbe: Es könne nicht von ihm sein.

Schon lange vor der Ära Trump sprach Toni Morrison auch über den Missbrauch von Sprache: In ihrer Nobelpreisrede verurteilte sie Raubbau an der Sprache. Man erkenne diesen, wenn Sprechende auf nuancierte und komplexe Wortwahl verzichteten. „Repressive Sprache repräsentiert nicht nur Gewalt, sie ist Gewalt“, erklärte Morrison. Sie limitiere Wissen, ob als obskure Sprache des Staates oder als Pseudosprache („faux-language“) „inhaltsloser Medien“.

Kaum Mahnmale in den USA

Im Jahr 1989 beklagte Morrison in einem Interview, dass es in den USA kaum Mahnmale gebe, die an das Leben der Afrikaner erinnern, die versklavt worden sind: nicht einmal „eine kleine Bank am Straßenrand“. Die „Morrison Gesellschaft“ hat darum das Projekt „The Bench by the Road“ (Die Bank am Straßenrand) ins Leben gerufen: An Orten, die für schwarze US-Amerikaner wichtig sind, wurden bereits mehr als 20 Bänke in ihrem Namen aufgestellt, zum Verweilen und Nachdenken.

Die erste wurde 2008 auf Sullivans Insel in South Carolina errichtet. Dort haben viele verschleppte Afrikaner Nordamerika betreten. Eine steht in Oberlin in Ohio, wo viele geflohen Sklaven Hilfe fanden, und eine in Baton Rouge in Louisiana. Dort hatten Afroamerikaner 1953 einen Boykott öffentlicher Verkehrsmittel organisiert, der zwei Jahre später Vorbild war für den historischen „Montgomery Bus Boycott“ in Alabama, initiiert von Rosa Parks. Morrison: „Wir sind noch weit vom Ende von Rassismus und Hass entfernt.“ (epd/mig) Aktuell Feuilleton

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