Grundgesetz, Würde, Menschen, Rechtsstaat, Verfassung
Art. 1 Grundgesetz: Die Würde des Menschen ist unantastbar © MiG

Menschenrechtsinstitut

„Menschenrechte sind ein Maßstab für das gesellschaftliche Miteinander“

Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat ein Projekt lanciert, das Pädagogen darin stärken soll, die Themen Flucht, Asyl und rassistische Diskriminierung sensibel und menschenrechtlich fundiert zu bearbeiten. Bis Ende 2019 werden in Kooperation mit Selbstorganisationen bundesweit Fortbildungen angeboten. Beatrice Cobbinah und Mareike Niendorf vom Menschenrechtsinstitut im Gespräch.

Dienstag, 18.09.2018, 5:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 19.09.2018, 18:48 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

MiGAZIN: Flucht und Asyl sind Themen, die die Gesellschaft polarisieren. Dabei fällt auf, dass häufig rassistisch und an den Fakten vorbei diskutiert wird, wenn es um geflüchtete Menschen geht. Warum ist es notwendig, sich in der Diskussion auf Menschenrechte zu berufen?

Beatrice Cobbinah und Mareike Niendorf: Menschen, die fliehen und einen Asylantrag stellen, üben ein Menschenrecht aus. Menschenrechte bieten eine klare Antwort, wenn es darum geht, im Kontext Flucht und Asyl weitere Fragen zu beantworten, etwa zur Unterbringung von Geflüchteten, zur Seenotrettung oder zum Familiennachzug. Dabei sind Menschenrechte ein global anerkannter, ethischer Maßstab, auf den sich alle Menschen berufen können. Als Leitlinie können sie herangezogen werden, um gesellschaftliches Miteinander zu gestalten. Darüber hinaus sind Menschenrechte justiziable Rechte, können also eingeklagt werden. Sie sind damit weit mehr als nur ein moralischer Kompass. So sind im Grundgesetz in Deutschland die Grundrechte niedergelegt, von denen die meisten zugleich Menschenrechte sind. Auf europäischer Ebene gibt es zum Beispiel die Europäische Menschenrechtskonvention, ein völkerrechtlich verbindliches Menschenrechtsübereinkommen. Weiter hat sich Deutschland verpflichtet, einen Großteil der UN-Konventionen anzuerkennen, etwa die Anti-Rassismus-Konvention (ICERD) und die UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK).

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Info: „Maßstab Menschenrechte – Bildungspraxis zu den Themen Flucht, Asyl und rassistische Diskriminierung stärken“ ist ein Projekt des Deutschen Instituts für Menschenrechte und wird im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert. Bis Projektende im Oktober 2019 sind bundesweit insgesamt noch sieben Workshops geplant. Die Projektinhalte und die Erfahrungen aus den Workshops fließen zudem in ein Handbuch, das Ende 2019 veröffentlicht werden soll. Wo und wann Fortbildungen stattfinden, erfahren Sie hier.

Wie sind die Themenfelder Flucht, Asyl und Rassismus miteinander verknüpft?

Cobbinah und Niendorf: Wenn über geflüchtete Menschen gesprochen wird, werden häufig rassistische Bilder und Stereotype reproduziert, etwa in den Medien. Gleichzeitig handelt es sich bei Rassismus um ein historisch gewachsenes Phänomen, das natürlich auch jenseits der Themen Flucht und Migration wirkmächtig ist und soziale Ungleichheit hervorbringt. Deshalb ist es wichtig, die Themenfelder einzeln zu betrachten, aber auch die Wechselwirkungen zu berücksichtigen.

Sie führen das Projekt zusammen mit Selbstorganisationen durch. Wie ist die Zusammenarbeit konkret gestaltet?

Cobbinah und Niendorf: Wir haben unter anderem das Workshop-Konzept gemeinsam entwickelt und führen die Fortbildungen zum Teil auch zusammen durch. Die Expertise der einschlägigen Selbstorganisationen ergänzt sich sehr gut mit der Arbeit einer Nationalen Menschenrechtsinstitution. Auch im Sinne von „nicht über uns ohne uns“ ist es wichtig und notwendig, Selbstorganisationen und Experten mit Flucht- und/oder Rassismuserfahrung einzubinden. Geflüchtete Menschen sind Rechtsträger, die sich selber organisieren und vertreten.

Warum ist Bildung so wichtig, wenn es darum geht, die Würde und Rechte aller Menschen zu achten?

Cobbinah und Niendorf: Eine Gesellschaft, die die Würde und Rechte aller Menschen achtet, kann nur dort bestehen, wo Menschen ihre Menschenrechte auch wirklich kennen, diese Rechte mit ihren Werten verinnerlicht haben und ihr Handeln an diesen Menschenrechten ausrichten. Bildung ist wichtig, weil sie nicht nur ein eigenes Menschenrecht ist, sondern auch ein wichtiges Instrument, dass Menschen dazu befähigt, selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und Menschenrechte für sich und andere einzufordern, etwa gegenüber dem Staat. Das Recht auf Bildung als sogenanntes „Empowerment-Recht“ ist besonders für Gruppen, die von Diskriminierung betroffen sind, von Bedeutung.

Ihre Zielgruppe sind Pädagogen. Warum fokussieren Sie sich auf diese Gruppe?

Mareike Niendorf ist staatlich anerkannte Sozialpädagogin und Absolventin des Masterstudiengangs „Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession“. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind (diskriminierungskritische) Menschenrechtsbildung und das Menschenrecht auf Bildung. Seit 2013 arbeitet sie am Deutschen Institut für Menschenrechte und ist dort als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig. Beatrice Cobbinah ist Juristin und Diversity-Trainerin. Sie führt seit mehreren Jahren Seminare und Sensibilisierungstrainings mit den Arbeitsschwerpunkten Antidiskriminierungsberatung & AGG, Gender, sexuelle Identitäten, Menschenrechte und Rassismus für verschiedene Zielgruppen durch. Derzeit ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Deutschen Institut für Menschenrechte tätig.

Cobbinah und Niendorf: Im Kontext Bildung können wir sehr viele unterschiedliche Menschen erreichen. Die Workshops richten sich denn auch an eine breite Zielgruppe. Mit Pädagogen sind zum Beispiel Lehrer, Erzieher oder Jugendsozialarbeiter gemeint, darunter fallen aber auch Lehrbeauftragte und pädagogisches Leitungspersonal – sie alle sind Multiplikatoren, die ihr Wissen und ihre Erfahrungen weitergeben und auch Veränderungen in der eigenen Institution anstoßen können. Die Thematik Flucht und Asyl beziehungsweise Rassismus ist für alle Bildungskontexte relevant. Zum Beispiel darf man nicht vergessen, dass in manchen Bildungsinstitutionen sehr früh schon viele Menschen ausgegrenzt werden. Wir möchten Pädagogen für strukturellen Rassismus sensibilisieren und sie darin bestärken, ihr Handeln an den Menschenrechten auszurichten. Zum Beispiel dann, wenn es an der Institution, an der sie tätig sind, zu rassistischen Vorfällen kommt oder auch im Umgang mit Unterrichtsmaterialien, die Stereotype und Diskriminierung in Sprache und Bildern reproduzieren können. Pädagogen sollten in der Lage sein, menschenrechtliche Werte nicht nur zu verstehen, sondern sie auch anzuwenden, um ihren Unterricht diskriminierungssensibel und möglichst inklusiv zu gestalten.

Was brauchen Pädagogen, um im beruflichen Alltag angemessen und kompetent mit Rassismus umgehen zu können?

Cobbinah und Niendorf: Wichtig ist es, eigene Denkmuster und Stereotypen im Zusammenhang mit Rassismus, Flucht und Asyl zu hinterfragen, sich also einer kritischen Selbstreflexion zu unterziehen. Neben dieser Sensibilisierung braucht es auch Wissen, etwa zu institutioneller Diskriminierung. Das Projekt verfolgt hier einen intersektionellen Ansatz, das heißt, in den Workshops sprechen wir nicht nur über rassistische Diskriminierung, sondern legen den Fokus auf das Zusammenwirken von Diskriminierungsdimensionen, wie etwa Staatsbürgerschaft, Geschlecht und Behinderung. Der Austausch der Pädagogen untereinander zu ihrer Praxis ist wichtig und liefert viele hilfreiche Anregungen. Schließlich ist auch Wissen zu den Menschenrechten essentiell. Denn wie bereits erwähnt, dienen Menschenrechte als Orientierungspunkt und Maßstab für Bildungsinstitutionen und die pädagogische Praxis. Aktuell Interview

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