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Hilfsorganisationen helfen Flüchtlingen (Symbolfoto) Malcolm Chapman / Shutterstock.com

Gespräch mit Manfred Rekowski

Humanitäre Einsätze werden kriminalisiert

Abschottung pur - so bewertet der rheinische Präses der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Manfred Rekowski, die derzeitige EU-Flüchtlingspolitik im Gespräch. Er kritisiert das Vorgehen gegen private Helfer als Kriminalisierung und Zwang zur unterlassenen Hilfeleistung. Von Ingo Lehnick

Von Ingo Lehnick Montag, 16.07.2018, 5:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 18.07.2018, 1:55 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Sie besuchen festgesetzte Seenotretter auf Malta. Was erhoffen Sie sich von der Reise?

Manfred Rekowski: Seenotrettung ist nach internationalem Recht eine humanitäre Verpflichtung. Indem europäische Regierungen Seenotrettungseinsätze von Schiffen wie ‚Sea-Watch‘ im Mittelmeer verhindern, erzwingen sie gewissermaßen eine unterlassene Hilfeleistung. Ich möchte mir von der Crew und den auf dem Schiff mitarbeitenden Freiwilligen von ihren Erfahrungen berichten lassen. Das Sterben geflüchteter Menschen auf dem Mittelmeer hört nicht auf, nur weil niemand mehr hinschauen kann. Denn auch das Aufklärungsflugzeug ‚Moonbird‘, das 2017 vermutlich rund tausend Menschen vor dem Ertrinken gerettet hat, darf nicht mehr tätig werden.

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Private Seenotrettung im Mittelmeer ist umstritten: Den Helfern wird vorgeworfen, sie spielten durch ihre Aktionen kriminellen Schleusern in die Hände. Wie sehen Sie das?

Manfred Rekowski: Ich bin empört, wie seit einiger Zeit humanitäre Einsätze geradezu kriminalisiert werden. Soll man die in Seenot geratenen Flüchtlinge denn wissentlich ertrinken lassen? Die hinlänglich bekannten Ursachen wie Menschenrechtsverletzungen, Bürgerkriege und Hunger und Armut, also fehlende Lebensgrundlagen, treiben Menschen in die Flucht. Viele der Geflüchteten hoffen, dass sie andernorts etwas Besseres als den Tod finden könnten. Rund 70 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Es bedarf eines Masterplans zur Bekämpfung von Fluchtursachen, der den Namen verdient. Aber das ist in den politischen Diskussionen in Deutschland und in Europa derzeit leider kein Thema.

Was ist falsch am Bestreben der EU, ihre Außengrenzen für illegale Migration so weit wie möglich zu schließen?

Manfred Rekowski: Diese Politik dreht die Verantwortung um. Als die Europäische Union 2012 den Friedensnobelpreis erhielt, formulierten ihre Repräsentanten unter anderem: „Als Kontinent, der nach den Zerstörungen des Krieges zu einem der stärksten Wirtschaftsräume der Welt wurde, haben wir eine besondere Verantwortung für Millionen von Menschen in Not.“ Ich wünschte mir, dass sich das politische Handeln in Europa wieder daran orientierte. Das hieße für mich, dass Europa selbstverständlich einen angemessenen Beitrag bei der Aufnahme von Flüchtlingen leistet.

Das heißt aber auch, dass Europa die Länder verstärkt unterstützt, in denen Flüchtlinge heimatnah aufgenommen wurden. Als Christenmenschen haben wir nicht nur das eigene nationale Interesse in den Blick zu nehmen, sondern insbesondere die Interessen notleidender und hilfesuchender Menschen. Über die Ausgestaltung einer humanitären Flüchtlingspolitik kann und darf man streiten. Aber es muss einem mehr einfallen als Abschottung pur.

Wie sollte aus Ihrer Sicht eine europäische Lösung des Migrations- und Flüchtlingsproblems aussehen?

Manfred Rekowski: Zunächst wünsche ich mir einen rationalen Umgang mit den Fragen von Flucht und Migration, bei dem deutlich wird, dass wir vor großen Herausforderungen stehen, aber keinesfalls von übergroßen Zahlen überrollt werden. Von verantwortlichen Politikerinnen und Politikern erwarte ich zudem, dass in ihren Äußerungen stets der Grundton der Menschlichkeit wahrgenommen werden kann. Hier gab es manche Entgleisungen.

Ich denke schließlich, zu einer europäischen Flüchtlingspolitik, die die mit der Aufnahme von Flüchtlingen verbundenen Lasten solidarisch trägt, gibt es keine Alternative. Hier erwarte ich einen gemeinsamen politischen Willen der europäischen Regierungen. Ergänzend sollte es nationale Einwanderungs- und Zuwanderungsgesetze gegeben. Eine offene und durchaus kontroverse Diskussion über die Kriterien von Zuwanderung könnte dem gesellschaftlichen Frieden dienen. (epd/mig) Aktuell Politik

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  1. Ute Plass sagt:

    „……. Ergänzend sollte es nationale Einwanderungs- und Zuwanderungsgesetze gegeben. Eine offene und durchaus kontroverse Diskussion über die Kriterien von Zuwanderung könnte dem gesellschaftlichen Frieden dienen.“
    In diese Debatte passt das Gespräch mit dem Historiker Winkler:
    https://www.deutschlandfunk.de/historiker-winkler-im-dlf-ein-allgemeines.1939.de.html?drn:news_id=903710