Asylpolitik
SPD lehnt geschlossene Zentren für Flüchtlinge ab
Die Einigung von CDU und CSU wirft beim Koalitionspartner Fragen auf. Die SPD will keine geschlossenen Transitzentren für Flüchtlinge. Ob sie anders möglich sind, erscheint fraglich. Auch Österreich hat Bedenken und fordert Klarheit.
Mittwoch, 04.07.2018, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 05.07.2018, 20:35 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Nach der zähen Einigung von CDU und CSU in der Asylpolitik ist fraglich, ob der Koalitionspartner SPD den Plänen zustimmt. Führende SPD-Vertreter äußerten sich am Dienstag skeptisch zu den vorgesehenen Transitzentren, mit denen nach Vorstellungen der Union die Einreise von Flüchtlingen verhindert werden soll, für die ein anderer EU-Staat zuständig ist. „Wir wollen keine geschlossenen Lager“, sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil der „Rheinischen Post“. Den Begriff „Transitzentren“ halte sie für eine Provokation gegen die SPD, sagte die Migrationsbeauftragte der SPD, Aydan Özoğuz, dem „Evangelischen Pressedienst“.
Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, die Einigung lasse mehr Fragen offen, als sie beantworte. Zudem verwies sie auf den Koalitionsvertrag. Dort wurden die sogenannten Anker-Zentren vereinbart, in denen Asylverfahren von der Registrierung bis zur Verteilung oder Rückführung abgewickelt werden sollen. Von Transitzentren oder anderen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze ist darin nicht die Rede.
Der Kompromiss zwischen CDU und CSU soll den wochenlangen Streit um Zurückweisungen lösen. Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel lehnte diese Zurückweisungen ab, willigte am Montagabend aber schließlich in einen Kompromiss ein, in dem es heißt, dass Flüchtlinge aus den geplanten Zentren „zurückgewiesen“ werden sollen. Dies soll auf Grundlage von Verwaltungsabkommen mit den betroffenen Ländern, aus denen die Asylsuchenden weitergewandert sind, geschehen.
Österreicht meldet Bedenken
Mit Österreich soll es zudem eine Vereinbarung geben, nach der dann Flüchtlinge direkt an der Grenze zurückgewiesen werden sollen, die aus Ländern kommen, die solche Abkommen verweigern. Die im Beschluss genannten Abkommen würden derzeit vom Bundesinnenministerium erarbeitet, teilte eine Sprecherin des Ministeriums auf Anfrage mit.
In Österreich gibt es indes Bedenken. Mit Blick auf die geplante Vereinbarung mit dem Nachbarland sagte Innenminister Herbert Kickl in Wien: „Diese Vereinbarung gibt es bis dato nicht. Und ehrlich gesagt kann ich mir nur sehr sehr schwer vorstellen, wie es denn diese Vereinbarung geben sollte.“ Sie ginge nämlich zulasten Österreichs.
Kurz: Keine Verträge zulasten Österreichs
Kanzler Kurz selbst hatte sich auf der Pressekonferenz mit Kickl und Vizekanzler Heinz-Christian Strache, die die deutsche Asylpolitik zum Inhalt hatte, etwas allgemeiner geäußert. Zunächst müsse Klarheit geschaffen werden, was die deutsche Bundesregierung wolle, forderte Kurz. Er sei aber nicht bereit, Verträge zulasten Österreichs abzuschließen.
Kurz sagte zugleich: „Wir sind dazu bereit, nationale Maßnahmen der Deutschen auch damit zu beantworten, dass wir Maßnahmen an unseren Grenzen, insbesondere an unseren Südgrenzen setzen.“ Viele der von Österreich nach Deutschland kommenden Migranten sind zuvor über Italien oder Südosteuropa nach Österreich gelangt.
UN-Flüchtlingskommissariat: Rote Linie überschritten
Wie viele Menschen durch die Maßnahmen an der Einreise gehindert werden könnten, ist unklar. Valide statistische Daten dazu lägen nicht vor, hieß es von der Bundespolizei, die auch keine Schätzungen abgeben wollte. Von mehreren Seiten zu hören war am Dienstag, dass es sich um „wenige Hundert Menschen“ handeln würde. Von den in diesem Jahr rund 68.000 Asylerstantragstellern hatten nach Angaben des Bundesinnenministeriums rund 18.000 einen Eintrag in der EU-Registrierdatei Eurodac, die erfasst, welches Land für das Asylverfahren des Flüchtlings zuständig ist. Bereits an der Grenze werden sie aber nur erfasst, wenn sie einen Kontrollpunkt passieren, wie es sie derzeit nur an drei Punkten der deutsch-österreichischen Grenze gibt.
Der Repräsentant des UN-Flüchtlingskommissariats in Deutschland, Dominik Bartsch, zeigte sich alarmiert angesichts der Spekulationen über geschlossene Zentren. „Mit einer längeren Festsetzung von Asylsuchenden würde eine rote Linie überschritten“, sagte er. Auch Linke und Grüne wandten sich gegen solche Überlegungen. „Transitzonen bedeuten Haft und Isolation für Schutzsuchende“, befürchtet die Linken-Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut. „Das geht gar nicht“, sagte die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock dem RBB-Inforadio.
Juncker prüft Vereinbarung
CDU und CSU lassen in ihrer Vereinbarung offen, ob die Zentren geschlossen sein sollen. Die Rede ist von einer „Fiktion der Nichteinreise“. Im Aufenthaltsgesetz heißt es in Paragraf 13, dass der Grenzübertritt im Fall der Prüfung einer Zurückweisung nicht als Einreise gilt, solange beispielsweise der Polizei „eine Kontrolle des Aufenthalts des Ausländers möglich bleibt“. Die Bezeichnung „Transitzentren“ erinnert an das Flughafenverfahren, bei dem Asylsuchende, die auf dem Luftweg nach Deutschland kommen, im Transitbereich des Flughafens festgehalten werden, um das Asylbegehren zu prüfen.
Nach Einschätzung des EU-Kommissionschefs Jean-Claude Juncker ist die Vereinbarung der Unionsparteien zur Asylpolitik wahrscheinlich mit EU-Recht vereinbar. Ihm scheine sie auf den ersten Blick rechtskonform zu sein, sagte er in Straßburg. Er habe den juristischen Dienst um eine Prüfung gebeten. (epd/mig) Aktuell Politik
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