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Schulmäppchen © birgitta hohenester / pixelio.de, bearb. MiG

Auch das ist Deutschland

Kippa und Kopftuch im Klassenraum erwünscht

Die Drei-Religionen-Grundschule in Osnabrück will Radikalisierung, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit vorbeugen. Dort lernen christliche, jüdische und muslimische Schüler gemeinsam und voneinander. Von Martina Schwager

Von Martina Schwager Mittwoch, 27.06.2018, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 02.07.2018, 17:41 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Sebastian und Ali kennen sich aus mit Moscheen, Kirchenliedern und Gebetsmänteln. Die beiden Neunjährigen besuchen die Drei-Religionen-Schule in Osnabrück. Kippa und Kopftuch gehören für die Kinder dort zum Alltag. Sie wissen, dass „halal“ und „koscher“ Speisevorschriften bezeichnen. Sie kennen Feste wie Chanukka, Zuckerfest oder auch Christi Himmelfahrt. Hat es wegen der Religion schon mal Streit auf dem Pausenhof gegeben? Der Katholik Sebastian zuckt die Schultern: „Nö, ich glaub‘ nicht.“

Klar hat Ali christliche Freunde. Und mit dem einzigen Juden in seiner Klasse versteht er sich „normal“. Dann wechselt der junge Muslim das Thema: „Im Sommer komm ich aufs Gymnasium“, erzählt er stolz. „Und im Ramadan faste ich – die ganze Zeit, obwohl ich noch gar nicht muss.“

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Die Religion habe für Kinder, Eltern und Lehrer an dieser in Deutschland einmaligen Grundschule einen besonderen Stellenwert, erklärt die 43-jährige Schulleiterin Birgit Jöring. Es gibt getrennten Religionsunterricht für christliche, muslimische und jüdische Schüler. Ansonsten sind die Klassen gemischt. Alle Feste werden gemeinsam gefeiert. Es gibt Projektwochen zu religiösen Themen, Besuche in den Gebetshäusern, Diskussionen über Trennendes und Gemeinsames.

Lernen, Unterschiede zu respektieren

„Jeder lernt seine eigene Religion kennen, um sich dann mit den anderen über ihre auszutauschen“, sagt Jöring. Nach ihrer Erfahrung schützt genau das vor Radikalisierung, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit. „Wer seine eigene Religion wertschätzt, kann auch die andere achten.“ Die Resonanz der weiterführenden Schulen gibt ihr Recht. Von dort komme die Rückmeldung, die Schüler seien besonders tolerant und sozial engagiert. Auch Rabbiner Avraham Radbil, dessen Söhne ebenfalls die Schule besuchen, ist überzeugt von der Idee: „Die Kinder erfahren viel übereinander und lernen somit von klein auf, Unterschiede zu respektieren.“

Die Mädchen und Jungen an ihrer Schule schätzten es, wenn manche Mitschüler religiös lebten, erklärt Jöring. „Kippa und Kopftuch sind hier ausdrücklich erwünscht.“ Sie würde es als Bereicherung empfinden, wenn auch eine katholische Nonne zum Kollegium dazustoßen würde. Es sei aber auch klar, dass im Schwimm- und Sportunterricht Mädchen und Jungen gemeinsam unterrichtet würden und dass alle teilzunehmen hätten. „Und wer Weihnachtslieder nicht mitsingen will, muss das nicht. Aber wir erwarten, dass er respektvoll zuhört. Und das klappt auch.“

Von den rund 170 Kindern sind knapp zwei Drittel christlichen und etwa ein Drittel muslimischen Glaubens. Nur neun jüdische Kinder sind derzeit an der Schule. Das ideale Verhältnis von je einem Drittel lasse sich derzeit nicht verwirklichen, weil die jüdische Gemeinde zu klein sei, sagt die Leiterin.

Entscheidend ist das Konzept

Natürlich gebe es auch Auseinandersetzungen und Hänseleien. „Es fallen auch verletzende Schimpfworte“, räumt Jöring ein. „Aber wir thematisieren das direkt.“ Die Schule in Trägerschaft der Schulstiftung des katholischen Bistums Osnabrück kann sich dafür zusätzliches Personal leisten. Etwa 20 Kinder pro Klasse werden meist von zwei Lehrkräften oder einer Lehrkraft und einer pädagogischen Mitarbeiterin unterrichtet. Es gibt eine eigene Sonderpädagogin mit voller Stelle, ab dem neuen Schuljahr noch zusätzlich einen Sozialarbeiter.

Doch entscheidend für den Erfolg sei in erster Linie das Konzept, das auch die Eltern einbeziehe und das die muslimischen Verbände und die Jüdische Gemeinde mit erarbeitet hätten, betont die Schulleiterin. „Aber natürlich entscheiden sich die Eltern bewusst für diese Schule und sind somit per se offen für ein Miteinander.“

Alis Mutter Fidaa Zeitun sind der islamische Religionsunterricht in deutscher Sprache und das halal zubereitete Mittagessen wichtig. Dafür nimmt sie in Kauf, dass ihr Sohn aus einem anderen Stadtteil täglich mit dem Bus zur Schule fahren muss. Alexandra Laermann findet es gut, dass an dieser Schule entgegen dem Trend in der Gesellschaft die Religion hochgehalten wird und dass Juden, Christen und Muslime gleich behandelt und geachtet werden. Ihr Sohn Sebastian beneidet nur manchmal seine jüdischen und muslimischen Mitschüler – wegen der zusätzlichen Feiertage: „Die haben öfter schulfrei als wir.“ (epd/mig) Leitartikel Panorama

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