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Richterpult © Daniel_B_photos @ pixabay.com (CC0), bearb. MiG

Täter oder Helfer?

Angeklagter beteuert im Schleuser-Prozess Unschuld

Ist er Täter oder Opfer? Hat Ismail G. Flüchtlinge geschleust, die dann im Meer ertrunken sind, oder hat er geholfen und wäre fast selbst ums Leben gekommen? Zeugen bringen am zweiten Verhandlungstag im Schleuserprozess nur wenig Licht ins Dunkel.

Mittwoch, 13.06.2018, 5:19 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 13.06.2018, 17:42 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Im Osnabrücker Prozess um eine tödliche Schleusung hat der 28-jährige afghanische Angeklagte seine Unschuld beteuert. Er selbst sei vor den Taliban aus seiner Heimat geflüchtet und habe 3.500 Euro an mehrere Schleuser bezahlt, um nach Europa zu gelangen, betonte Ismail G. am Dienstag in einer schriftlichen Erklärung, die von Rechtsanwalt Thorsten Diekmeyer vor dem Landgericht verlesen wurde: „Ich bin kein Schleuser, sondern ein Flüchtling, der selbst fast ums Leben gekommen wäre.“

Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, er habe zwei afghanische Frauen und ihre vier Kinder ohne Visa und gegen Bezahlung auf ein seeuntüchtiges Boot im gebracht. Durch das Kentern des Schiffes sind die Frauen und Kinder ums Leben gekommen. (AZ: 6 Ks 4/18)

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Laut Anklage soll Ismail G. Anfang 2016 gemeinsam mit zwei weiteren noch nicht identifizierten Personen eine Gruppe von Flüchtlingen innerhalb der Türkei von Istanbul nach Bodrum begleitet und dort auf das Boot gebracht haben. Darunter seien die beiden Schwestern und die vier Kinder zwischen einem und sieben Jahren gewesen. Den Auftrag soll er von einem bislang unbekannten Täter bekommen haben. Für den Schleuserjob habe er 16.200 Euro bekommen.

Eine einzige Rettungsweste

Er selbst soll ebenfalls in das erkennbar seeuntüchtige Boot gestiegen sein, das vor der griechischen Insel Kalymnos schließlich am 22. Januar 2016 gesunken sei. Von mehr als 80 Flüchtlingen auf dem Boot sollen nach dem Kentern 24 Menschen gerettet worden sein – unter ihnen Ismail G., der als Einziger eine Rettungsweste getragen haben soll. Ein Zeuge der Tragödie will ihn später als mutmaßlichen Schleuser identifiziert haben. Daraufhin wurde der Afghane im Dezember 2017 an seinem Wohnsitz in Wallenhorst bei Osnabrück festgenommen. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft.

Der Angeklagte betonte, er sei von Schleusern gebeten worden, sich um die beiden alleinreisenden Frauen und ihre Kinder zu kümmern, habe dafür aber niemals Geld bekommen. Er habe sich selbst einen Vorteil davon versprochen, weil Familien mit Kindern an den Grenzen und von den Schleusern bevorzugt behandelt worden seien.

An einem Stück Holz festgeklammert

Der Richter wies Ismail G. auf einige Widersprüche zu vorherigen Aussagen bei Polizeiverhören sowie einem Fernsehinterview kurz nach seiner Rettung in Griechenland hin. G. begründete das mit der psychischen Belastung und Verwirrung nach dem Unglück und auch nach der Verhaftung. Die Schwimmweste habe er sich selbst besorgt und getragen, sie habe ihm aber nicht geholfen. Vielmehr habe er sich an einem Stück Holz festgeklammert. Insgesamt seien nur sehr wenige Westen an Bord gewesen.

Die bisher gehörten Zeugen konnten den Angeklagten nicht eindeutig als Schleuser identifizieren. Sie hätten ihn immer wieder in der Nähe der beiden Frauen gesehen, er habe ihnen geholfen und ihnen etwas zu essen und zu trinken besorgt, erklärten zwei überlebende Geschwister, die bei dem Unglück ihre Eltern und eine jüngere Schwester verloren haben. Von anderen habe er dann gehört, dass Ismail G. zu den Schleusern gehöre und Geld bekommen haben soll, sagte einer der beiden Geschwister, ein heute 17-jähriger Junge.

Mit leiser Stimme…

Mit leiser Stimme berichtete der Junge dann, wie er zwar seine ein Jahr ältere Schwester und eine weitere Frau gerettet habe. Seinem Vater, den er kurz im Arm gehalten habe, habe er jedoch nicht mehr helfen können.

Ein Schwager der beiden ums Leben gekommenen Frauen konnte ebenfalls nicht bestätigen, dass es sich bei Ismail G. um einen Schleuser handele, der Geld bekommen habe. Nach seinen Informationen seien die beiden sehr selbstständigen und selbstbewussten Frauen mit ihren Kindern sogar ohne einen Beistand alleine gereist. Für Flucht, die sie nach Deutschland zu ihren Ehemännern hätte führen sollen, habe der Chef der Schleuser 50.000 US-Dollar verlangt, von denen die Hälfte tatsächlich gezahlt worden sei. Der Prozess wird am 18. Juni fortgesetzt. (epd/mig) Aktuell Panorama

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